Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Leute, denen nach der laut und offen ausgesprochenen Tendenz der Macher dieser Bewegung der Abfall zum Protestantismus nur die einstweilige Ubergangsstation zum Abfall von jeder dogmatischen Religion zur kompleten Religionslosigkeit sein soll (,Wif erachten die Zeit dazu noch nicht für gekommen' — .Unverfälschte deutsche Worte'), die sollen ein Gewinn sein für den Protestantismus? Daß die den Protestantismus voll ends zersetzen, steht außer Frage. Und mit solchen Leuten werde paktiert?"®®) Zum eigentlichen Thema überleitend erinnerte nun Stauracz daran, daß sich bereits 1897 gegen die „von dem in der danzen Welt gepriesenen, geistig hochste henden, als Diplomaten geachteten" Papst Leo XIII. herausgebrachte Kapisiusenzyklika ein Sturm im pro testantischen Lager erhoben, weil darin Ausdrücke wie Verderbtheit oder Verkehrtheit des Irrtiyns, Pest der Häresien u. ä. vorkamen, obwohl sie nur die Sache, den Gegensatz zur dogmatischen Wahrheit kennzeich nen wollten, also rein sachlich und nicht persönlich gemeint waren, so sei es auch diesmal wiederum®'). Ungeachtet der Hl. Vater Pius X. den hl. Karl Borro mäus nur als den großen Vorkämpfer der katholischen Wahrheit gegen die protestantische Reform in dem durch das tridentinische Konzil gekennzeichneten Zeit punkt preise, um dann analog und vor allem vor der tödlichen modemistiischen Bewegung der Gegenwart zu warnen, die einen allgemeinen Abfall vom Glau ben und von der kirchlichen Lehre herbeizuführen trachte und deren Gefährlichkeit deshalb so groß sei, weil sie im Innern der Kirche verborgen schwele, ver kündete man nun, die ganze Enzyklika richte sich ge gen den Protestantismus. In Wirklichkeit werde die sog. Reformation nur schwach gestreift, nur ein ver schwindend kleiner Passus, vielleicht ein Fünfzigstel des ganzen Dokuments befasse sich mit den vor 400 Jahren gegen die katholische Kirche Revoltierenden Und zwar sei es der seit 12 Jahren „Los-von-Pi.omschreiende Evangelische Bund" in Deutschland, der diese Enzyklika jetzt zum Anlaß einer wilden Hetze gegen Papst und katholische Kirche genommen habe®'^). Der Autor bezeichnete es deshalb als dankenswerte Tat, daß Erzbischof-Koadjutor Dr. Franz Nagl den lateinischen Wortlaut, den authentischen Text, im Wiener Diözesanblatt®®) abdrucken ließ, was übrigens auch er in seiner Schrift und dazu in deutscher Über setzung tat®^). Genau den wirklichen Hergang und historischen Ablauf schildernd, -wies Stauracz nun wei ter nach, daß der Hl. Vater aus eigener Initiative noch vor der preußischen Note in den diesbezüglichen Diö zesen, wo sich die nicht durch, sondern anläßlich der Enzyklika hervorgerufene Erregung zeigte, Weisun gen gegeben habe, die Veröffentlichung zu unterlassen, demnach von keiner Zurücknahme der Enzyklika zu reden sei; befaßte sich sodann mit den oben genannten Interpellationen, dem „liberalen Blättersturm", den „Hauptrufern im Streite"®®), erwähnte auch die „Erre gung der Wiener Protestanten", d. i. der Senioratsversammlung®'), vergaß auch nicht auf das Einlenken einsichtiger Protestanten zu vemeisen®®), und schloß mit dem aufrichtigen Wunsche des Papstes: „der aus Anlaß der Enzyklika heraufbeschworene Sturm möge die treuen Söhne der Kirche um so inniger an das Oberhaupt der Kirche binden, den außerhalb der Kirche Stehenden, die guten Willens sind, den Weg zur Kirche zeigen"®®). Über all den angedeuteten und behandelten Zeit problemen, weltanschaulichen Strömungen und poli tischen Bewegungen übersah Möns. Stauracz keines falls das nicht minder aufwühlende, längst akuteste Anliegen: die soziale Frage, die dringender denn je ihre Lösung verlangte®®). Mit ihr setzte er sich daher nicht bloß theoretisch-schriftstellerisch auseinander, sondern wirkte durch seine bis zum Äußersten ge hende Selbstlosigkeit und tägliche-praktische Sorge und Hilfe, die er vornehmlich seinen jungen Leuten zuwandte, an deren Teillösung mit. Das kurze Lebensbild dieses edlen Menschen freundes wäre aber nicht nur unvollständig, sondern unrichtig, wollte man außer achtlassen, daß er stets und in erster Linie sich als Priester fühlte, als solcher leibte und lebte. „Wer ihm näher stand, konnte sich überzeugen, wie er mit der äußeren Tätigkeit das in nere Gebetsleben zu vereinigen -wußte. Den Exerzitien oblag er wohl alljährich. Der Rosenkranz war oft an seiner Hand.In den letzten Monaten wurde beobachtet, daß er das Rosenkranzgebet, das ihm wegen seines Augenleidens als Ersatz für das Brevier dienen mußte, oft vervielfältigte. Zweimal pilgerte er ins Heilige Land"®'). Nachdem dem vielen Studieren und Schreiben, auch zur Nachtzeit, schon sein Augenlicht beinahe zum Opfer gefallen und Stauracz in den letzten Jahren der Erblindung nahe war, zwangen schonungsloser Kräfte verbrauch, da er sich kaum oder nur ganz ungenü gende Erholung vergönnte, Berufsaufregungen und mangelnde Ernährung in den Kriegsjahren den schwer Leidenden endlich auszuspannen. Nur mehr einem Schatten gleich begab er sich nach Hofgastein, war je doch den Anforderungen der Kur nicht mehr gewach sen und erlag des nachts am 28. Juli 1918 einem Herz schlag, nachdem er am vorhergehenden Morgen noch die hl. Messe zelebriert hatte. Der Verstorbene wurde unter großer Anteilnahme von Priesterfreunderu Kurgästen und Gläubigen auf dem Ortsfriedhof in Hofgastein „unter der besonders stimmungsvollen Kreuzigungsgruppe" beigesetzt. Ah nungsvoll hatte Stauracz in seinem Testament be stimmt, wenn er in der Fremde sterben sollte, wolle er in der Fremde auch begraben werden®®). Die große Trauergemeinde in Wien konnte ihre Anteilnahme beim Requiem bei Maria Stiegen beweisen. Uberblickt man noch einmal Leben, Wirken und Leistungen dieser in ihrer Art großen und für diese Periode typischen Priesterpersönlichkeit, so -wird na türlich klar, daß mit dieser Kurzbiographie und Werkenennung nur darauf aufmerksam gemacht werden konnte. Erst recht warten Mann und Werk auf eine eingehende, verdiente und abschließende Bio graphie und Leistungsbewertung. Quellen und Literatur:Eoa,Personal-Tabelle VII 301 f.; Personalstand der Erzdiöz. Wien; Wiener Diözbl.; Eoa, Kleruskartei; Correspondenz d. assoc. pers. 1919, Nr. 5, S. 78/80; Reiter Ernest, Fünfzig Jahre Katho lischer Jünglingsverein, Wien 1907;; Keiter, Kathol. Literatui'-Kalender (1897) 223; Kosel, Deutsch-österi'. Künstler- und Schriftsteller-Lex. (1902) 475; Castle Ed., Geschichte d. deutschen Lit. in Österreich-Ungarn im 67

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