Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Sorge um die Jugend Reichsverband österreichische Jugendhilfe, Wien I, Franziskanerplatz Nr.5/II. An den Wiener Industriellen Verband in Wien. Die Notwendigkeit der Jugendfürsorge braucht hier nicht ausführlich begründet zu werden;esgenügt,daraufhinzuweisen, daß die „Fürsorgebedürftigkeit der Ju gend heute größer ist als je in der Zeitdes Krieges und der Nachkriegszeit", wie Hofrat Dr. Moll vor einigen Tagen in der Tagungder Österreichischen Gesellschaft für Bevölkerungspolitik ausgeführt hat, daß die Verwahrlosung, Verhetzung und Radikalisierung der heutigen Jugend de mentsprechend ständig fortschreitet und immer mehr zu einer Gefahr für den Fort bestand der Gesellschaft sich auswächst, daß der österreichische Sozialismus diese traurige Lage der Jugend weidlich für seine Agitation ausnützt und durch kräf tige Jugendarbeit es verstanden hat,über 200.000 Jugendliche organisatorisch zu er fassen und diese zu einem sicheren Reser voir seines Parteinachwuchses heranzu bilden, daß die bedeutendste Organisa tion der sozialistischen Jugendarbeit,die „Kinderfreunde", die allein über 90.000 Kinder erfaßt, im Jahre 1929 über S 4,100.000 für ihre Jugendlichen verwen den konnte! Die politische und wirtschaftliche Lage Österreichs ist gegenwärtig außerordent lich labil und eine wesentliche Änderung dieser Lage ist für die nächste Zeit kaum zu hoffen; um so notwendiger erscheint also die Jugendarbeit, damit der Sozia lismus bei dergroßen Radikalisierung der Jugend,die ja Wasser aufseine Mühle ist, nicht mit den Stimmen dieser nachwach senden Jugendlichen in einigen Jahren doch Österreich erobere; würde dasje ge schehen,so würdenja nicht die gemäßig ten,sondern die radikalen Führer desSo zialismus den Sieg davontragen, was hier nichts anderes bedeuten würde als Bol schewismus. Die Notwendigkeitder Jugendarbeitals solche wird daher auch vonjedem einge sehen.WoistaberdasgeeigneteMittel,die rechte Methode,um wirklich erfolgreiche Jugendarbeit leisten zu können? Die öffentliche Fürsorgetätigkeit kann es nicht sein, weil sie in den christlich-so zial regierten Ländern sehr mangelhaft und in dem sozialdemokratisch regierten Wien eben sozialistisch eingestellt ist.Die private JugendWohlfahrtspflege hat es bisher auch nicht leisten können,weil sie an vielen Organisationsfehlem leidet. Da ist vor allem die ungeheure Atomisierung in eine Unzahl von kleinen Vereinen und Organisatiönchen; nicht nurin Wien,son dern im ganzen Land. Wenn über 100 Ju gendfürsorgevereine in Wien S 67.000,- jährlich einnehmen,wie estatsächlich der Fall ist,so ist klar,daß kein einziger dieser Vereine mit seiner Einnahme etwas Gan zes leisten kann,weil der allergrößte Teil dieser Einnahmen für die Bezahlung der Bettelbriefe, Kuverts, Post- und Kanzlei gebühren wieder darauf geht; wenn aber eine einzige Organisation in Wien S 700.000,- einnähme,so würde ihr die Erfüllung aller fürsorgerischen Aufgaben in kurzer Zeit möglich sein, obwohl die Öffentlichkeit gar keine Mehrbelastung zu tragen hätte. Dazu kommt noch der Umstand, daß für kleine Vereine und engbegrenzte Zwecke weder von privater noch weniger von öffentlicherSeite große Subventionen zu haben sind.Ein anderer sehr bedauerlicher Fehler der bisherigen privaten Jugendfürsorge ist die vielfach geübte konfessionelle oder gar par teipolitische Abgrenzung, die sich ebenso bös auswirkt, als die Teilung in verschiedene Gebiete der Jugendfürsor ge. Ebenso verkehrt ist es, die Jugendar beitnuraufdasrein Fürsorgerischezu be schränken,wodurch nur ein sehr geringer ProzentsatzderJugend erfaßt würde,und das wäre überdies nur jener Teil, der am wenigsten wertvoU ist.Man wird vorallem eine Jugendbewegung schaffen müssen, die dazu bestimmt und auch geeignet ist, die große Masse der Jugendlichen zu er fassen; es ist auch eine Art von Verwahr losung,wenn derjunge Mensch ohne von Ideen innerlich ergriffen zu sein auf wächst. Die Folge davon ist der sooft be obachtete Mangel jedes Gemeinschafts bewußtseins,ein arger Bildungsfehler. Der Reichsverband österreichische Ju gendhilfe hat nun die Aufgabe übernom men,unter Beachtung der nun genannten Gründe solche Jugendfürsorgevereine zu gründen,welche„dieGrundsätze einer re ligiös-sittlichen Erziehung vertreten, par teipolitisch unabhängig sind, ihr Tätig keitsgebiet auf mindestens einen Ge richtsbezirk erstrecken, in ihrer Fürsorgätätigkeit Kinder und Jugendliche ohne Unterschied derKonfession und Re ligion und der Parteizugehörigkeit ihrer Eltern zu erfassen suchen und in ihrem Zweck nicht nur Teilgebiete,sondern alle Aufgaben der Jugendfürsorge organisch umfassen"(§ 4). So könnte nicht nur alle Zersplitterung vermieden werden, man fände vielmehr auch den innigsten An schluß an die öffentliche Fürsorgetätig keit, die ja auch im Bezirke (Bezirksju gendämter)gegliedert ist. Im oben angegebenen Sinne sind be reits einige Bezirksgruppen in Österreich tätig. So war es z.B.in dem zweidrittelsozialistischen St. Pölten im Laufe von drei Jahren möglich, vom Kleinkinderheim, Kindergarten, mehreren Jugendhorten (für Schulpflichtige), einer Tagesheim stätte,dem Ferienerholungsheim,der Ar beitsvermittlung und Berufsberatung bis zur Förderung verschiedener Gruppen der Jugendbewegung alle Gebiete derJu gendarbeit durchzubauen, ein Tatsa chenbeweis,daß mit unserem System die gewünschten Erfolge tatsächlich erzielt werden können. In dieser Weise soll nun in möglichst vielen Bezirken Österreichs gearbeitet werden. Vor allem kommen da schon be stehendeVereinein Betracht,wie z.B.der Wiener Verein Kinderschutzstationen, der gewillt ist, sich durch eine geringfü gige Statutenänderung unserem Ver bände einzugliedern; es gibt jedoch sehr viele Bezirke, in denen noch gar nichts Erwähnenswertes an Jugendarbeit gelei stet wurde,wo man also auch keine beste henden Vereine findet, die zu einer even tuellen Statutenänderung bereit wären. Es ist nun sehr schwer möglich, einen Verein zu einer Statutenänderung zu be wegen, wenn man ihm nicht handgreifli che Vorteile in Aussicht stellen kann. Noch weniger klug wäre es, aufs Gerate wohl hin neue Bezirksgruppen zu grün den,ohne ihnen ein gewissesGründungs kapital zur Eröffnung ihrer Fürsorgetä tigkeit geben zu können.Denn würde ein neugegründeter Verein durch Aufnahme eines Darlehens, wie es meistens ge schieht, seine Wirksamkeit beginnen, so würde man zu einer wirklichen Fürsorge arbeit überhaupt nicht mehr kommen, weil die jeweils eingehenden Mitglieds beiträge zur Zinsenzahlung verwendet werden müßten;würde ein neugegründe ter Verein seine Mitgliedsbeiträge aber snjsammensparen,biserohne Darlehenzu irgend einer praktischen Arbeit die Mittel beisammen hätte,so würde er nie in diese glückliche Lage kommen,weil seine Mit glieder sehr bald die Lust zu ihren Zah lungen verlieren würden,wenn „nieetwas geschieht". Unter der Voraussetzung, daß Öster reich und damit Mitteleuropa vom Bol schewismus und von Sozialistischer Par teiherrschaft nurdadurch gerettet werden kann,daß die heutezurMehrheitim sozia listischen Lagerstehende Jugend von uns erfaßt und mitanderen Ideen erfüllt wird, bleibt für alle jene, die die genannten Zu stände nicht wünschen, überhaupt keine andere Wahl,als in ausreichendster Weise unsern Reichsverband österreichische Jugendhilfe zu unterstützen, weil er nach den genannten Gründen das einzige Mit tel und die richtige Methode ist, um zur Jugend heranzukommen. Es braucht wohl nicht daraufhingewiesenzu werden, daß auch die sozialistischen „Kinder freunde"die reichen ihnen zurVerfügung stehenden Mittel nicht selbst aufbringen, sondern 8/9 ihres Jahreseinkommens aus Subventionen der wirtschaftlichen Kor porationen des Sozialismus(Göc, Arbei terbank, Sparkasse der Gemeinde Wien, der Gemeinde Wien selbst), etwa S 3,500.000,- aufbringen, wie der „Kinder freunde"-Fachmann P.Fischer nachge rechnet hat. Der Reichsverband österr. Jugendhilfe muß also in kürzester Zeit überjene Mit tel verfügen, die zur Erreichung seines Zweckes, bestehende Vereine durch gro ße Förderung zu Statutenänderungen zu bewegenund neueBezirksgruppenzugrün den,um so wirklich tragfahige Organisa tionen derJugendarbeitzu schaffen,uner läßlich notwendig sind.Ausdiesem Grun de hatderReichsverband nicht nur als or dentliche Mitglieder seine Bezirksgrup pe,sondern als unterstützende Mitglieder alle jene, die die Notwendigkeit unserer Arbeit erkannt haben und sie durch ihren eigenen Beitrag fördern wollen. 25

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