Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Werdenktdanichtan Lueger,deressich trotz Überfülle von Arbeit und mangeln der Gesundheit nicht mehmen ließ, bei jeder „Goldenen", den glückstrahlenden ,Aiten", das Geschenk der Stadt Wien persönlich zu überreichen, natürlich je desmal miteiner von Herzen kommenden und zu Herzen gehenden, launigen An sprache. Ja, beide waren so echt wiene risch und das letzte, noch mit vollem Bewußtsein gesprocheneWortdesKardinals klang so ganz wienerisch: „Herr Hofrat, ich glaube,es war ein Schlagerl." Kardinal Piffl und der große Wiener Bürgermeister fühlten sich zusammenge hörig mit allen undjeden,und keinerließ auch nur das geringste Bewußtsein der natürlichen Distanzaufkommen.Beidem Kardinalgab es keineHerablassung,denn sofort fühlte man sich hinaufgezogen, emporgehoben zu ihm.Von diesem einzi gen Verhältnis zum Volke lieferte Kardi nal Piffl noch am vorletzten Sonntag sei nes Lebens einen rührenden Beweis. Nachdem er im Arbeiterbezirk Favoriten ein Jugendheim eingeweiht hatte, wurde er,als er durch die dichtgedrängte Menge schritt, von allen Seiten stürmisch be grüßt. Unter den Leuten war auch eine Mutter mit einem kleinen Buben aufdem Arm,derganz besonderslautin dieBegei sterungsrufe einstimmte. Der Kardinal, dem der laut rufende Kleine auffiel, drückteihmim Vorbeigehen die Hand.Im selben Augenblicke schlang der Kleine seine Arme um den Hals des Kardinals und küßte ihn herzhaft auf die Wange. Nun nahm der KirchenfürstdasKind und gab ihm unter dem Jubel aller einen Kuß auf den Mund. Wem fallen da nicht ver schiedene Szenen aus dem Leben Luegers,desvielfachen Firmgöden,ein,wie z. B.jene,da der Bürgermeistereinst mitei nigen Freunden in einem Vorstadtgast hauszusammenkam und aneinem Tische Platznahm,woein ehrsamer Maurereben sein Krügel Bier trank.Sobald dieser den berühmten Bürgermeister erkannte, ver ließ er sofort aus Scheu den Platz.Lueger ließ dies nicht zu, fragte ihn, wer er sei, und sagte dann:„Seh'n S',Sö san a Mau rermasterund i bin da Burgermaster.Also g'hörn ma z'samm." Und der Maurer mußte sitzenbleiben. Als Luegervom Kaiserzum geheimen Rat, also zur Exzellenz, ernannt worden war, nahmen viele seiner aufrichtigen Verehrer diese Ehrung nicht einmal mit ungeteilter Freude auf; man fürchtete,es könnte seine beispiellose Popularität in derFolge leiden. Weraber das meinte,der kannte den Lueger nicht. Die Exzellenz stiegihm nichtin den Kopfund derExzellenz-Lueger war genau derselbe, wie der Lueger ohne Exzellenz und jetzt freute man sich erst recht darüber.- Als Piffl Eminenzgeworden war,änderte das bloß seine äußere Tracht, die er aber auch, wenn sich nur Gelegenheit bot, gern ab legte,so daß er wiederholtfür einen einfa chen Landpfarrer gehalten wurde. Seine Einfachheit und Demut allein war schon eine Seelsorgegrößten Stils,wennerauch sonst nichts gewirkt hätte.Und er hat viel gewirkt, dieser weitherzige Förderer alles Guten und Edlen. Als Lueger Bürgermeister geworden war,da kam Leben in die Stadt.In unun terbrochenerFülle entstanden Schöpfun gen von größter Bedeutung und die Stadt Wien hob sich in ungeahnter Weise in je der Beziehung. Wie war das Wien, das Lueger hinterließ, gegen jenes, das er übernommen hatte!Undes hub alsbald an ein Grünen und Blühen, daß es eine Freude war, Wien wurde eine Licht- und Gartenstadt und in dem steinernen Häu sermeer der Millionenstadt entstanden viele entzückende Oasen,eine Wonne für Aug'und Lunge.-Als Kardinal Piffl das Steuerruder dergewaltigen WienerDiöze se übernommen hatte, da gab es auch alsbald ein Sprossen und Grünen und Blühen. Es herrschte Leben; aber nicht etwa in großen, prunkvollen Manifesta tionen,deren praktische Erfolge oft nicht im Verhältnis stehen zu ihrer Aufma chung, sondern es begann große und kleine und stille Arbeitaufallen Gebieten, besonders auf sozialem. Nichts blieb un beachtet, nichts blieb brach liegen und der Kardinal freute sich,in seinem Klerus und in den Laien tüchtige Mitarbeiter zu haben,und förderte ihre Pläne und Arbei ten in jeder Weise mit seiner kraftvollen Begeisterung. Gern ließ er sich belehren, von wem immer,- und wenn er einen vom Fach vor sich hatte, der ihn befragte, er widerte er: „Das müssen Sie besser wis sen." Darum arbeitete jeder mit Freude, weil man wußte,daß die Arbeit geschätzt und gefördert wurde. Ja, es begann ein Sprossen und Grünen in der Diözese,und vielleicht dieschönste Fruchtdieses herr lichen Gartens ist das Wiener Kirchen blatt, diese Großmacht. Lueger und Piffl, den sozialen Bürger meister und den sozialen Bischof, ver band die GleichheitihrerGrundsätze.Das Leitmotiv Luegers, „Mach'ma ihm die Freud'", war auch das des verewigten Kardinals,und das Motto des Kirchenfür sten,„Nicht meiner Ehre,sondern der Ar beit seien meine Kräfte geweiht", hat Lueger in großartiger Weise wahr ge macht. Luegerund Piffl: beide trugen eine Ket te: der eine die goldene Prachtkette des Oberhauptes der Stadt Wien, der andere die Bischofskette mit dem Kreuz-beide so würdevollund doch so tief bescheiden! Beide innerlich jedem Prunke abhold! Aber wie konnte der gemütliche Lueger als Herr der Weltstadt Wien und des prachtvollen Rathauses repräsentieren! Bei den unvergeßlichen Festversamm lungen der großen Katholikentage und den darauffolgenden feierlichen Empfän gen der Stadt Wien im glanzvollen Fest saal des Rathauses!Da fühlte man es;Das ist wer! Und dabei sprach der Hausherr des gothischen Rathauspalastes so lieb und humorvoll, so herzlich und wiene risch und man stand dennoch im Banne dieses großen Repräsentanten. Er wollte nicht repräsentieren und repräsentierte um so mehr. Er schien bei solchen Gele genheiten wie ein Fürst,ja mehr als ein solcher; denn welcher Fürst war je eines Reiches so würdig wie er?-Wie lieb, wie natürlich und bescheiden,wie echtwiene risch war Kardinal Piffl! „Lassen S'diese G'schichten!" konnte man hören, wenn man dem hohen Herrn ehrfürchtig die Hand küssen wollte.Er wollte keine Aus nahme, keine Bevorzugung, er wollte nicht bedientsein,sondern nur dienen.Er fühlte sich dort wohl,wo es ungezwungen zuging, wo die Gemütlichkeit zu Hause war. Daher stockte bei seinem Eintritt nicht etwa die Unterhaltung und machte einer eisigen SteifheitPlatz, wie es in sol chen Fällen oftgeschieht;im Gegenteil,es kam eine freudige, gehobene Stimmung hinein.Er war häufiger und stets erkann ter Gast auf der Plattform der Tramway, die er einmal dem früheren Erzbischof von Paris auf dessen Frage,als sein Auto vorstellte. Und doch: Wer ihn je gesehen hat, wie würdig, wie erhaben und tief fromm der Kardinal seine kirchlichen Funktionen hielt, der hatte einen gewalti gen Eindruck, dem kam es mächtig zu Bewußtsein: Das ist ein wahrer Kirchenfürst. Er wollte nichtimponieren und im poniertegerade dadurch.Werihnje in der Karwoche, besondem am Karfreitag, bei der wunderschönen Prozession mit dem enthüllten Kreuze im Stephansdom sah, der wird diesen rührenden und zugleich erhabenen Eindruck nichtmehrvergssen. Was für eine Anstrengung war doch die letzte Karwoche für den greisen Kardinal! Am Mittwoch war er bei der übermäßig langen Goethefeier der Bundesregierung, nachmittags hielt er die über zwei Stun den währende Trauermette im Ste phandsdom, abends wohnte er der Fest vorstellung von Goethes Egmont im Burgtheater, inmitten der Bundesregie rung, bei, in einfachem Schwarz, wie ein gewöhnlicher Priester,ohnejedes Abzei chen seiner Würde, und harrte trotz der übermäßigen Dauer und der unerträgli chen Hitze bis zum Schlüsse, gegen Mit temacht, aus, in den Pausen immer mit seinen Nachbarn plaudernd. Dann folgte der anstrengende Gründonnerstag und der Karfreitag mit seinen lang dauernden Zeremonien,den letzten,die erso vorbild lich schön hielt. Alles das mußte mit Be sorgnis erfüllen,um so mehr,als den Kar dinal schon vor Jahren ein leichter Schlaganfall heimgesucht hatte. Und nun ist diese Besorgnis Wirklich keit geworden und dieser große Natur freund, der in Wien seine früheren Spa ziergänge in Gottes freier Natur so sehr vermißte, hat seine gütigen Augen für immer geschlossen und ruht,fernab vom Getriebe der Großstadt, in würziger Waldnatur. Und nun zeigt sich wieder die Parallele zwischen Lueger und dem seli gen Kardinal. Der Tod beider hat tiefste Trauer ausgelöst,eine Trauer,die so echt ist wie lauteres Gold,eine Trauer bis hin ein in das versteckte Dachstübchen, bis hinunter zu den Kleinsten und Ärmsten, eine Trauer, die das Paradebett mit den kostbarsten Perlen heißer, aufrichtigster Tränen schmückte.Nun ist er nicht mehr unser: ein hartes, bitteres Wort. Und als der Leichenwagen die Grenze der Millio nenstadt passierte, war es, als ob ein mil der Schutzgeist uns verlassen hätte. Wür dig hat Kardinal Piffl seinen Purpur ge tragen und Österreich darf stolz darauf sein,dem heiligen Kollegium eine solche Zierde gegeben zu haben.(Korrespon denzblattfür den kath.Klerus,1932,Nr. 9.S.79f.) 24

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