Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Zentrum dieser mit der Zeit unüberseh baren Bewegung des sog^ „Güntherianismus" war ein einfacher, bescheidener Weltpriester und Privatgelehrter in Wien! Sein philosophisch-theologisches Sy stem war ein dualistisches (Natur-Geist; Welt-Gott), das allein er für geeignet er achtete, dem Pantheismus seiner Zeit Einhaltzu gebieten.Der Mensch ist nach ihm das „Vereinwesen" von Natur und Geist und deshalb Individuum und Gat tungswesen zugleich. In dieser seiner Grundverfaßtheitsieht Günther nichtnur die Ermöglichung einer Erbschuld, son dern auch eines Erbverdienstes. Günther war aber nicht nur ein tief gründiger Denker,sondern auch ein Mei ster in der literarischen Formgebung sei nerGedanken"'.Alsein Beispieldafür mag hier seine Reflexion über den Humor Platz finden: „Es geht seit dem großen Risse in der Schöpfung,derden GeistmitGottund die Natur mit dem Geist entzweit, ein wun derlicher Gesell aufErden herum,traurig und lustig zugleich, weinend und lä chelnd, mit einem trockenen,einem nas sen Auge, in gleichen Schalen wägend Leid und Lust.Dieser seltsame Zeuge der angeborenen Zweiheit und der verschul deten Entzweiung im Menschen, aber auch der Möglichkeit der Versöhnung derselben, die für den, der mit ihm ver trautist,zurWirklichkeitgeworden-esist der Humor. Ein lustiger Kreuzträger auf dem großen Weltmarkt,nimmter den Wi derspruch, der diesen allenthalben durchkreuzt, getrost wie der gute Hirte das verirrte Schafaufseine Schultern und zeigt ihn lächelnd der Menge, nicht aus boshafter Lust am Wehe der Menschheit, sondern bewegt vom siegenden Bewußt sein der Versöhnung.Er braucht den Wi derspruch nicht zu fürchten, er braucht sich ihn nicht zu verhehlen, denn er hat das Dritte, Höhere gefunden, in dem die Gegensätzesich versöhnen.Erleugnetdie Natur nicht, um dem Geist zu schmei cheln,noch verneint er den Geist,um die Naturzufrieden zu stellen,sondern beide anerkennend erfaßt er das Verhältnis der selben in der Unterordnung unter das Höchste, unter Gott. In diesem allgegen wärtigen Bewußtsein des Ideals stellt er diesem kühn die Wirklichkeit gegenüber und lacht, wo die Menge bewundernd niedersinkt, und lächelt, wo sie trostlos jammert."® Dieser Humor,der in allen seinen Schrif ten durchschlägt, wurde freilich auch als Galgenhumor gedeutet, denn je größer sein Einfluß wurde, desto zahlreicher wurden auch seine Gegner,die ihm einen Bruch mit der orthodoxen (=scholastischen)Theologie und damit Häresie vor warfen. Einer der einflußreichsten auf dieser Seite war der Dogmatiker an der Wiener theologischen Fakultät J. Schwetz, der für Kardinal Rauscher ein (negatives) Gutachten über die Lehre Günthers erstellte. Neben Wien,war Köln unter Erzbischof Geissei das zweite Zen trum der Günther-Gegner.Derzum Teilin sehr gehässiger Form geführte Kampf,in dem sich v.a.F.J. Clemens,P.Volkmuth, J.P.Oischinger,J.Kleutgen und H.Denzinger als Verteidiger des „rechten Glau bens"einen Namen machten,erreichte in den Jahren 1852-1856 seinen Höhepunkt und endete schließlich 1857 mit der Indi zierung der Werke Günthers und einiger seiner Schüler®. Günther unterwarf sich dem Spruch Roms „laudabiliter", wußte aber sehr wohl um die kirchenpolitischen Hinter gründe der ganzen Auseinandersetzung. Er hatte es gewagt, mit seiner neueren Theologie die in ihrer Begrifflichkeit und damit auch in ihrem Denken erstarrte scholastische Theologie in Frage zu stel len, er wollte auf die Fragen seiner Zeit auch eine zeitgemäße Antwort geben, ohne damit etwas von der Substanz des christlichen Glaubens aufzugeben. Als Reaktion daraufformierten sich die Neu scholastiker, die sich hinter der „Theolo gie der Vorzeit"(J. Kleutgen) verschanz ten und von hier aus trotz der Interven tionsversuche verschiedener Kardinäle das GüntherscheSystemzuFallbrachten. Man warf ihm neben theologischen Irr tümern die Verletzung der„sanaloquendi forma"vor,d.h.das Abgehen von der ver alteten scholastischen Terminologie'. Es ist kein Zufall, daß gleichzeitig mit der Verurteilung der Güntherschen Lehre die erste kirchliche Empfehlung der Neu scholastik erfolgte. 1879 folgte dann die umstrittene Thomas-Enzyklika®. Letztlich war es eine Auseinanderset zung zwischen dem letzten großen ideali stischen Systementwurf und dem vom positiven methodischen Bewußtsein ge prägten Denken;zwischendemfreien,der eigenen Genialität vertrauenden Selbstdenkertum und der Schule bzw.Orthodo xie; zwischen der objektiven Methode (derScholastik),dieden Erkenntnisgrund möglichst weitgehend aus dem Subjekt heraus in das an sich vorgestellte Objekt hinein verlegte, und der subjektiven, transzendentalen Methode(Günthers)mit der „Idee" als Ausgangspunkt. Nach Günther war die „Begriffs"-Spekulation der Scholastik in den äußeren Erschei nungen der objekthaft gegebenen (=Wort-) Offenbarung steckengeblieben und hatte den Bezug dieser Offenbarung zum Menschen aufdie doktrineU-intellektualistische Ebenereduziert(Offenbarung als Locutio Dei). Günther hingegen wollte die Offenbarung personalverstanden wis sen: Der Gott-Mensch Jesus Christus ist die Offenbarung Gottes! Nicht was er ge sagt und tradiert hat(Wort und Lehre),sei das Wesentliche, sondern was er war (Gott-Mensch) und getan hat(Erlösungs werk).' Günther setzte nun nicht beim Objekt (Christus-Offenbarung) an, sondern ent wickelte seine Offenbarungsspekulation vom Subjekt her, das existentiell davon betroffen sein muß.Diese Frage nach der Bedeutung der Offenbarung kann sich ja nicht in deren Analyse erschließen, son dern nur in der Analyse des erkennenden Subjektes,für das all undjede Bedeutung existiert. Mit einem Wort: Günther ge langte auf philosophisch-anthropologi schem Weg zu einem Vor-Verständnis („Idee") einer Erlösungsoffenbarung, ohnefreilich damitaufdie Faktizität einer solchen Offenbarung in Christus verzich ten zu können oderzu wollen.Seine Spe kulation verstand sich immer als ein „Nach-Denken einer Voraus-Setzung", als eine „ideelle Re-Konstruktion des po sitiven Christentums",nicht aber als eine rationale Konstruktion oder ein rationali stisches „Voraus-Wissen" der einzelnen Dogmen der Kirche. Diese unumstößlich gegebene Voraussetzung seiner Spekula tion war die Offenbarung Gottes in Adam (=erste oder Schöpfungs-Offenbarung) und Christus(=zweite oderErlösungs-Of fenbarung)'®. Das Anliegen derWienerTheologischen Schule, auf diesem Wege Glauben und Wissen, Theologie und Philosophie zu vermitteln,wurde von Anfang an mißver standen,und bis in unsere Zeit betrachtet man Günther als Rationalisten, der die Glaubensgeheimnisse zu bloßen Ver nunftwahrheiten verflacht und den Glau ben in Wissen aufgelöst habe". Erst seit den Forschungen im Rahmen des Wiener Fundamentaltheologischen Instituts, die der leider 1977 verstorbene Institutsvor stand Univ.-Prof.D.J.Pritz mit viel Ener gie und Sachkenntnis vorangetrieben hat, läßt man Günther und seinem Werk mehr Gerechtigkeit widerfahren und rühmtihn nunmehr sogar als „Wegbereiter heutiger Theologie"", während die Neuscholastik heute allgemein als überwunden angese hen wird. Anmerkungen: 'An einführender Literatur vgl. J. Pritz, Glau ben und Wissen bei A.Günther,Wien 1963(mit einer sehr nützlichen Auswahl von GüntherTexten);ders.,WegweisungzurTheologie,Wien 1971; K. Beck,Offenbarung und Glaube bei A. Günther,Wien 1967;J. Reikerstorfer, Kritik der Offenbarung. Die „Idee" als system-theoretisches Grundprinzip einer OfTenbarungstheologle, theol. Habil. Wien 1976(ungedr.); E. Mann, Idee und Wirklichkeit der Offenbarung, Wien 1977. 'Vgl.E.Mann,Das„zweite Ich"A.Günthers:J. H.Pabst,Wien 1970. 'A. Günther, Peregrins Gastmahl, Wien 1830; ders., Süd- und Nordlichter, Wien 1832; ders., Janusköpfe für Philosophie und Theologie, Wien 1834; ders.. Der letzte Symboliker, Wien 1934;ders.,ThomasascrupuIis,Wien 1835;ders., Die Juste-MUieus in der deutschen Philosophie gegenwärtiger Zeit,Wien 1838;ders.,Euristheus und Herakles, Wien 1843; J. H. Pabst, Der Mensch und seine Geschichte,Wien 1830; ders., Adam und Christus, Wien 1835; ders.. Gibt es eine Philosophie des positiven Christentums? Wien 1832. * Vgl. J. Pritz, Zur literarischen Form des Schrifttums A. Günthers, in; J. Reikerstorfer (Hrsg.), Anton Günther,Späte Schriften, Wien 1978, 197-226. ® A.Günther/J. E.Veith, Lydia 5(1854)426 f. * V. a. Denzinger polemisierte fanatisch gegen diese „Seuche" und drängte in Rom jahrelang auf eine Verurteilung. Als verläßliche Rücken deckung im Kampf gegen jene ,,Zeitirrtümer", veröffentlichte er1854das„EnchiridionSymbolorum"(=DS). 'DS 2831. ®DS 3135-3140. 'Vgl. J. Pritz, Offenbarung. Eine philoso phisch-theologische Analyse nach A. Günther, in; Zeitschr.f. kath.Theologie95(1973)249-285. '® Ders., Glauben und Wissen,a. a. O.97(1975) 253-281. "V. a. E. Winter,L.Orban,Th.Schäfer und P. Wenzel haben sich mit ihren Arbeiten recht zweifelhafte Verdienste erworben. "Eine Aufnahme Günthersin die gleichnamige Reihe(hgg.von H.Fries und J.Finsterhölzl)ist vorgesehen. 18

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