Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Schlüsse besondere Höflichkeitsformen üblich waren,undauch an den Schluß von Schreiben aus besonders feierlichen An lässen, zum Beispiel Glückwunsch- und Anerkennungsschreiben, zu setzen. Im rein dienstlichen Schriftverkehrzwischen Behörden, sei es der eigenen oder einer außenstehenden Verwaltung, soll der Gruß unterbleiben,desgleichen auch son stigen Empfängern dienstlicher Schrei ben gegenüber, selbst wenn diese ihrer seits herkömmlicherweise oderim Einzel falle den Gruß im Schriftverkehr anwen den. Dies gilt auch für den dienstlichen Schriftverkehr der Behörden mitden Par teidienststellen, den Gliederungen der Partei und den angeschlossenen Verbän den". Der Führer und Reichskanzler (Hoheitszeichen Hakenkreuz) Berlin, den 2. Mai 1938 Sehr geehrter Herr Kardinal! Für die Glückwünsche zu meinem Ge burtstag, die mich besonders erfreut ha ben, spreche ich Eurer Eminenz meinen herzlichen Dank aus. In aufrichtiger Hochschätzung mit deutschem Gruß TT ♦ A. H. Kuvert: Präsidialkanzlei Berlin W 8 Voß Straße 1 Poststempel: Berlin W 2. 5.38 18-19 k 8 k Seiner Eminenz Herrn Kardinalerzbischöflnnitzer in Wien DAW, Bischofsakten, Innitzer 18. Origi nal. Als Menschen Freiwild waren... Wenn die Tagebuchaufzeichnungen von Gertrud Steinitz-Metzler nach 20 Jah ren erneut erscheinen,so deshalb,um das Geschehen jener Jahre nicht in das Dun kel der Vergessenheit gleiten zu lassen. „Hildegard", die Autorin des authenti schen Tagebuchs, verzichtete ursprüng lich auf Ortsangaben und ersetzte die Na men der handelnden und leidenden Per sonen durchPseudonyme.Um der größe ren Authentizität willen erschien es je doch angebracht,in einem Geleitwort das Geheimnis der Identität zu lüften. Jeder Interessiertesollsich überzeugenkönnen, daß es sich nicht um erfundene Gestalten handelt, sondern um Menschen von Fleisch und Blut,die immer wieder die ei gene Angstüberwanden,um den Verfolg ten beizustehen.Und dieJugend,die stets auf der Suche nach Vorbildern ist, soll wissen, daß es in den dunkelsten Jahren der gemeinsamen deutsch-österreichi schen Geschichte nicht nur Schuld und Versagen gab, sondern daß da, „wo die Sünde größer wurde,die Gnade sich noch überschwenglicher erwies"(Rom 5, 20) Es ist ein eigentümliches Phänomen, daß vielen Zeitgenossen die Schattensei ten menschlicher Existenz interessanter erscheinen als die Lichtseiten. Jedoch, wie die „Aufzeichnungen am Rande des Zeitgeschehens"deutlich machen,besitzt das Gute eine eigene Faszination,der sich schwerlichjemand entziehen kann,der in ihren Bannkreis geraten ist. Wenngleich sich häufig gerade diejenigen, die sich vorbehaltlos für die einst Geächteten ein setzten, den Vorwurf machen, sie hätten zu wenig getan oder gar versagt,so offen bart sich dem unparteiischen Beobachter in der jahrelangen Arbeit der Hilfsstelle ein Heroismus der Nächstenliebe, dem jegliches Pathos fremd ist und der sich zugleich der eigenen Schwäche und Un zulänglichkeit bewußt bleibt. Die Ereignisse, von denen das Tage buch berichtet, trugen sich im Wien der Naziära zu. Kardinal Innitzer, der dama lige Erzbischofvon Wien,hatte in seinem Palais die „Erzbischöfliche Hilfsslelle für nichtarische Katholiken" geschaffen. Hier sollten die Verfolgten und Geächte ten nach dem Willen des Wiener Oberhir ten Unterstützung und Hilfe finden. Es war eine verschworene Gemein schaft, die sich hier zusammengefunden hatte, um schier ausweglose Not zu lin dern, und soweit möglich, Menschenle ben zu retten. Da ist zunächst „der Pater", Ludger Born aus dem Jesuitenorden, der, getra gen von der Gemeinschaft und Anteil nahme der Mitbiüder, die Hilfsstelle bis über das Kriegsende hinaus mit Klugheit, Umsicht und kühner Entschlossenheit leitete. Heute lebt er im Altersheim des Ordens in Münster/W. Schwester „Moni ka" ist schon zu Lebzeiten zur fast legen dären Gestalt geworden. Auch sie lebt noch und ist mit78Jahren nach wie vorim Dienst der Armen tätig.In der Caritas socialis, der sie seit Jahrzehnten angehört, ist sie allerdings unter ihrem Ordensna men Schwester Verena bekannt. „Viktoria", die Jugendfreundin „Hilde gards",weilt ebenfalls noch unter den Le benden.Abersie batausdrücklich darum, ihre Anonymität zu wahren, und so müs sen wir ihren Wunsch respektieren. Gertrud Steinitz-Metzler, die feinsin nige Autorin dieses überzeitlichen Do kuments der Menschlichkeit, hat um ihre Erlebnisse und deren Niederschrift schwer gerungen. Wenige Monate nach Erscheinen ihres Tagebuchs ging sie in die Ewigkeit. Kurz vor ihrem Tod schrieb sie an P.Born;,,Es bewegt mich sehr,daß ich denen,dieich liebte-nein,liebe,denn lieben ist doch ein Wort,das man nicht in der Vergangenheit gebrauchen kann daß ich ihnen ein Denkmalsetzen konnte. Sie haben kein Grab und keinen Stein, aber sie haben nun doch ihrDenkmal und manch einer wird vielleicht weilerwirken durch sein Beispiel. Wissen Sie, was ich tue, wenn ich das erste Honorar für das Buch bekomme? Ich kaufe fürjeden von ihnen einen Baum in Israel. Es ist mir ein so lieber Gedanke,daß im Heiligen Land Bäume im Winde rauschen werden, von denen jeder den Namen eines mir lieben Toten trägt." Wenn Gertrud Steinitz-Metzler mit ih ren Aufzeichnungen denen,die sie liebte, ein Denkmal setzen wollte, so hat sie un beabsichtigterweise diesauch fürallejene getan, die seinerzeit, als Mitleid und Er barmen gegenüber „rassisch Minderwer tigen" Verbrechen waren,den Verfolgten zur Seite gestanden haben.Das waren zu nächst einmal die im Laufe der Jahre ins gesamt 23 Mitarbeiterinnen der Hilfsstel le. Unterihnen ragte Liselotte Fuchs,oder Lotte,wie siezu Hause genanntwurde,die Tochter eines Generaloberstabsarztes, heraus, den „der Dank dos Vaterlandes" mit seiner Familie in das Konzentrations lager brachte. Lotte, die „Anneliese" des Tagebuchs, konnte nach ihrer Deporta tion noch zweiJahre in Theresienstadt,ih rem Geburtsort, segensreich unter den Gefangenen wirken,bis auch sie einesTa ges den Weg in die Gaskammer antreten mußte. Von ihr schrieb ein ehemaliger „Schützling", daß sie „zum Symbol des Christen schlechthin" wurde. DasTagebuch wurdeauchzum Zeugnis der Nächstenliebe all der Klöster und Or denshäuser, die dem Appell Kardinal Innitzers folgten und zugunsten der verfolg ten Juden für diese Ärmsten der Armen hungerten, um ihnen durch ihre Lebens mittel- und Geldspenden ihr schweres Los ein wenig zu erleichtern. Obwohl nicht wenige Klöster, wie etwa das Mut terhaus der Caritas socialis, von den da maligen Machthabern aufgehoben wur den, ergab eine Uberprüfung, daß 51 na mentlich erfaßte Klöster die Arbeit der Hilfsstelle tatkräftig unterstützten. Dabei waren die Klöster selbst verschärfter Überwachung unterworfen.So hießen die Karmelitinnen in der Töllergasse allge mein „die Judenschwestern". Esliegt in der Natur privaterTagebuch aufzeichnungen, daß für gewöhnlich mehr die rein persönlichen Erfahrungen festgehalten werden.Es scheint aber hilf reich,einen gewissen Gesamtüberblickzu geben,um dem Leser einen einigermaßen zutreffenden Eindruck zu verschaffen, was in diesem wohl einzigartigen Werk christlicher Caritas an Hilfe geleistet wur de. Tagaus,tagein wurden Kranke besucht, Verzweifelte aufgerichtet-und dies alles im Schatten der allgegenwärtigen Gesta

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