Die Reform des Gottesdienstes zur Zeit des Josephinismus in Österreich (Auf Bitten der Redaktion stellt Prof. Dr. Hans Hollerweger, Linz, sein von ihm bei Pustet,Regensburg, 1976 heraus gebrachtes Buch vor,das einen wichtigen Beitrag zur Wiener Diözesangeschichte bildet.) Es gab wohl kaum einen Abschnitt in der Geschichte Österreichs, in dem die große Monarchie mehr auf die Vorgänge in Wien ausgerichtet war und die Umwäl zungen in der kaiserlichen Hauptstadt mehr von den übrigen Ländern beobach tet wurden als zur Zeit Josephs II. Was Aufsehen erregte waren vor allem die kirchlichen Neuerungen, die der reformwillige Kaiser in die Wegeleitete: die Auf hebung der Klöster, die Regulierung der Pfarrgrenzen, die Gottesdienstordnung. Er begiündete seinen Entschluß, die Re form in der Residenzstadt zu beginnen, mitdem Hinweis,dadurch„demLandeso wie den übrigen Städten und Provinzen ein Muster darzustellen". Wie kaum eine andere Initiative waren die Pfarregulierung und die Gottesdienstordnung von Wien das persönliche Werk des Kaisers, die er im September 1782 in die Wege lei tete und bis zum Inkrafttreten am Oster sonntag, dem 20.4.1783, mit Entschie denheit vorantrieb. Die Reform wurde eingeleitet mit einer Befragung über die Zahl und die Art der Gottesdienste in der Stadt. Das Ergebnis zeigt ein sehr reges liturgisches Leben.So waren z. B. in St. Stephan täglich zwei Amter und eine Litanei mit Instrumen talmusik. Wenn man bedenkt, daß das Konsistorium der Meinung war, der Got tesdienst wäre in Wien bereits geordnet und die gegenwärtige Ordnung wäre zu belassen,kann man sich denken,daß eszu einer Konfrontation zwischen dem Kaiser und Kardinal Migazzi (1757-1803) kom men mußte.Es warein hartes Ringen,und erst nach energischen persönlichen Pro testen wich der Kardinal der Macht des Kaisers, der von ihm verlangte, die neue Gottesdienstordnung zu empfehlen:„Wie könnte ich gegen das Volk eine Sprache führen",antworteteihm Migazzi,„welche mit der Sprache meines Herzens nicht übereinkommt und das Publikum... wi der meine Überzeugung belehren?" Die Durchführung der Reform bedeu tete für Wien das Ende der barocken Tra dition, die dort wie nirgends sonst einge wurzelt war:Beschränkungdesfestlichen Gottesdienstes auf ein Mindestmaß, zweckmäßige Einteilung der Messen,um der religiösen Pflicht gut nachkommenzu können. Uniformierung des vielfaltigen Andachtswesens auf die Litanei, Verbot aller Prozessionen (mit Ausnahme jener fünf des Missale), Verbot aller Wallfahr ten,auch jener nach Mariazell. Durch die neue Pfarreinteilung und die Gottes dienstordnung bekam das katholische Wien ohne Zweifelein neues Gesicht.Un ter der Leitung der Niederösterreichi schen Regierung wurde die Ordnung von Wien nach 1783 für die Hauptstädte und für das Land adaptiert, wobei die in Wien angewandten Grundsätze maßgeblich blieben. Neben der eigentlichen Gottesdienst ordnung, die bis 1850 in Geltung war, konnte keine der übrigen Reformmaß nahmen aufdie Hauptstadtohne Wirkung bleiben.Die Aufhebung der Bruderschaf ten,dasVerbotaller besonderenFeiernim Laufe des Kirchenjahres(z. B. die Dank sagung zum Jahresschluß und die Aufer stehung zu Ostern) und die Ablehnung des religiösen Brauchtums (z. B. die Krippe oder das Hl.Grab)führtenzu einer Uniformitätdes Gottesdienstes,gegen die sich das Volk zur Wehr setzte, Durch die napoleonischen Wirren wurden zwar manche Vorschriften nicht mehr in der früheren Strenge urgiert, eine der auffal lendsten Verschärfungen der Situation ist jedoch das Verbot der weihnachtlichen Mette durch die Initiative von Erzbischof Hohenwart (1803-1820), das anderswo kaum eine Nachahmung fand. Erst nach seinem Tod konnte die Mette wieder um Mitternacht gefeiert werden.Wie hart die Gegensätzesein konnten,zeigte sich auch beim Nachdruck des Wiener Diözesanrituale vom Jahre 1774, das manche in deutscher Sprache wünschten, von Jo seph II. aber strikte in lateinischer Spra che verlangt wurde,denn um gut zu sein, müsse der Ritus in allen Ländern gleich sein. Die Reformen Josephs II. waren jeden falls ein wichtiger Einschnitt in der öster reichischen Liturgie- und Frömmigkeits geschichte. Manche Probleme der gegen wärtigen liturgischen Erneuerung werden erst verständlich, wenn man die Wurzeln der Zustände kennt. Alle diese Vorgänge konnten in meinem Buch auf Grund des reichen Archivmate rials genau aufgezeigt werden. Sie sind daher ein wichtiger Beitrag zur Wiener Stadt- und Diözesangeschichte. Hirtenworte an Abgefallene 1919 An Frl. Marie H...* Dem Oberhirten der Erzdiözese, wel chem der allgegenwärtige Gott die Sorge und die Verantwortung für die ihm anver trauten Seelen übertragen hat, ist zur Kenntnis gekommen,daß Sie den gefahr lichen Schritt gemacht haben, die hl. ka tholische Kirche zu verlassen,und sich so der Gefahr aussetzen, an Ihrem Seelen heile Schaden zu leiden. Wenn der gute Hirte, wie unser Heiland Jesus Christus in einem seiner Lehrvor träge ausführt, die neunundneunzig Schäflein seiner Herde auf der Weide zu rückläßtund demeinen verlorenen Schäf lein nachgeht, um es zu suchen und zur Herde zurückzubringen,so muß auch ich als der von ihm bestellte Hirte in seinem Namen sorgen,daß der Gläubige,welcher von Jugend aufin der hl. katholischen Re ligion erzogen ist,aufden verhängnisvol len Schritt der Verleugnungdes Glaubens aufmerksam gemacht werde, und mit Anwendung aller Mittel, die die Gnade Gottes an die Hand gibt,trachten,das ver irrte Schäflein der katholischen Kirche wieder zuzuführen. Indem daher der Unterfertigte Sie ver sichert, daß er im täglichen Gebete die verirrten Gläubigen besonders dem lie benden Erlöserherzen empfiehlt und ih nen die Gnade der Bekehrung erfleht, richtet er in liebevoller Absicht, einge denk dessen,daß er dem gerechten Gott, der das Gute belohnt und das Böse be straft, einmal auch für Sie Rechenschaft geben muß, an Sie diese väterliche Er mahnung,damitSie wieder als gutesKind zur Mutter der hl. katholischen Kirchezu rückkehren und, soviel an Ihnen ist, Ihr ewiges Seelenheil sich sichern. Hören Sie diese Stimme des besorgten Bischofs,so lange es noch Zeit ist und der Rückweg sich leicht gestaltet. Der liebe Gott gibt Ihnen gewiß die Gnade, damit Sie die Wahrheit erkennen und jene Vorkehrungen mit Hilfe Ihres katholischen Seelsorgers treffen können, welche Ihnen die Ruhe des Gewissens wieder verschaffen. Wien,28.8. 1919 t Friedrich Gustav, Fürsterzbischof von Wien * Name bekannt ~ DAW, Bischofsakten Piffl 1919. 35
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