Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

nenen Erfahrung"®. Epileptische Psycho senfanden sich nicht unter den Priestern, weil Epilepsie ein Weihehindemis ist, wohl aber unter Klostemovizen und Kan didaten derTheologie.Demzufolge waren alle Anfallsleiden epileptischer Art früh zeitig diagnostiziert worden. Eine offenbar damals aktuelle Frage war die nach luetischen Erkrankungen, insbesondere nach dem Vorkommen der progressivenParalyse,alsluetischerSpät erkrankung des Zentralnervensystems. Dazu wird auch einige Literatur angege ben®.Im Krankengut des Autors war die progressive Paralyse außerordentlich sel ten. Unter 62 geisteskranken Priestern waren nur 2, d. h.3,22% paralytisch, wäh rend der Prozentsatz vonParalytikern un ter den Gesamtaufnahmen in Mittel europa damals um 20-30% gelegen war'®. Eine paralytische Nonne wurde nicht ge funden. Geistes- und psychiatriegeschichtlich besonders bemerkenswert ist folgender Schwerpunkt der zitierten Abhandlung. Hysterien (Psychoneurosen), Angstneu rosen und andere neurotische ZustandsbUder kommen nur „selten und auf kei nen Fall häufigervorals beianderen Beru fen"". Pilcz betont dieses Ergebnis aus drücklich gegenüberder SchuleSigmund Freuds. Sehr früh, nämlich schon 1913, hat man dieses Problem, die Frage von Bewältigung und Nichtbewältigung der Sexualität bei geistlichen Berufen, stu diert; Fragen des inneren Zusammen hangs und der widerstreitenden innersee lischen VorgängevonPsychoneurose und ZölibatSchonJohannPeterFrank(17451824), der hier nicht zitiert wird, hat ein ausführliches Kapitel „von dem geistli chen Cölibatsleben" in seiner „medicinischen Polizey" geschrieben und die Not wendigkeit der Reife für ein eheloses Le ben, für ein Leben ohne geschlechtliche Aktivität, betont,dieses aber nicht als na turwidrig bezeichnet'®. In der Frühzeit der Auseinandersetzun gen der klassischen Psychiatrie mit der Psychoanalyse und ihren pansexualitischen Interpretationen bzw. Schulva rianten wird vonder klinischen Erfahrung her ein wesentlicher und fundierter Bei trag geliefert. A. Pilcz vergleicht zu dem mit einer inhaltlich gleichartigen Arbeit von Hatschek'® und schreibt expressis verbis: „In Übereinstimmung mit Hatschek kann ich auch behaupten,daß jene Psychoneurosen, welche gerade bei ka tholischen Priestern und Nonnen beson ders häufig und von besonders schweren Formen zu erwarten wären, wenn die Freudschen Lehren zutreffen würden,in Wirklichkeit nur ziemlich selten vor kommen"'"*. Zweifelsohne kann man sagen,daß be wältigte Sexualität nicht krank macht,- wohl aber unbewältigte Sexualität pathogen wirken kann. A.PilczführtPatienten mitkonstitutio neller Neurasthenie (mit einer konstitu tionsbiologischen Minusvariante der psychophysischen Dimension desMenschen) an, Patienten „von abnormer leichter Er müdbarkeit,Stimmungsmenechen,emp findlich, leicht übelnehmerisch, übertrie ben ehrgeizig, auch religiös übertrieben skrupelhaft, meist Hereditarier, schon während der Gymnasial-, bzw. früheren Jugendzeit.nervös'"und fährt fort;„Nur bei dieser Gruppe hörte ich präzis Klagen über stärkere subjektive Beschwerden durch die sexuelle Abstinenz. Klagen über Wallungen, Kopfdruck, Unruhe, Schlafstörung, Denkerschwerung und dgl.Zwei Fälle dieser Artsind mir beson ders in Erinnerung, weil dieselben nach Wechsel des Berufes,mit der Möglichkeit des vollen Sichauslebenkönnens quoad vitam sexualim,über genau dieselben Be schwerden klagten wie vordem"'®. Pilcz schrieb ferner; „Wer über wirkliche Er fahrung in geistlichen Kelsen verfügt, weiß, daß es darunter viele ethisch hoch stehende,sehr gewissenhafte Charaktere gibt, die das Keuschheitsgebot wirklich ernst nehmen und unter Aufbietung ihrer ganzen Willenskraft halten. Gewisse ge genteilige Erfahrungstatsachen dürfen da absolut nicht zu generalisierenden Schlüssen verleiten"'®. Fürden Bereich der Pastoralpsychiatrie als proprium Viennense erweist sich die genannte und in ihren Schwerpunkten re ferierte Arbeit als ein weiterer Beitrag derartige Bemühungen im Grenzgebiet von Theologie und Psychatrie,sowohl in praktischer wie in theoretischer Hinsicht, und nicht zuletzt als ein früher Beitrag zum Problemkreis von Zölibat und Psy choneurose. 'Alexander Pilcz: Über Nen'en- und Geistes krankheiten bei katholischen Geistlichen und Nonnen.Jahrb. d.Psychatrie 34(1913)367—375. ^ Gottfried Roth: Pastoralpsychiatrie als pro prium Viennense. Beiträge zur Wiener Diözesangeschichte 17(1976)42—44. 'Anton de Haen: Heilungsmelhode. Leipzig 1780, II, S.295 ff. 'Bruno Schön: handschriftliche Predigttexte 1854-1855. - Briefe über Geistesgestörte für Seelsorger, Eltern, Lehrer und Freunde der Menschenkunde. Wien 1861.- vgl. G.Roth: Solatio aegrorum. Die Irrenseelsorge im 19. Jhdt in: Auftrag und Verwirklichung.(Fest schrift) Wien 1974,299-323. * Anselm Ricker: Pastoral-Psychatrie zum Gebrauch der Seelsorger. Wien 1888(1. Aufl.), 1889(2. Aufi.), 1894(3. AuH.). ® Ignatz Familler: Pastoralpsychatrie. Ein Handbuch für die Seelsorger der Geisteskran ken. Freiburg im Breisgau 1898. 'Alexander Pilcz: Nervöse und Psychische Störungen.Freiburg im Breisgau 1935. « Pilcz(1913): S.370 f. ® Pilcz(1913): S.367. '0 Pilcz(1913): S.370. "Pilcz(1913): S.375. "Johann Peter Frank: System einer voll ständigen medicinischen Polizey. Wien 1786 (3. Aun.)132-171. "Pilc2{1913): S.374; vgl.: ZurPraxis der Psy chotherapie. Wien. Klin. Wschr.(1913)1015 ff. "Pilcz(1913): S. 374. '® Pilcz(1913): S. 373. '® Pilcz(1913): S.374. Die Pfarrkirche Großrußbach vor 1904 Karl Keck,Senning Im Jahre 1904 wurde auch in Großruß bach dem seit ca.1860einsetzenden Drang die Inneneinrichtvmg der Kirchen dem ursprünglich gotischen Baustil', der in der Barockzeit oft verändert worden war, anzupassen,gefolgt.In der Stadtpfarrkir che Korneuburg wurde 1869 die Kirche zum großen Teil neugotisiert. Es folgten andere Kirchen, darunter St. Valentin, fastzur Gänze neu eingerichtet.Wertvolle Altarbauten, Statuen, Bilder und Schnit zereien wurden entfernt und in alle Winde zerstreut. Der Hochaltar, Statuen, deren Vergoldung noch 1920 wie vor 200 Jahren war, Schnitzereien und schmiedeeiserne Türaufsätze kamen auf Umwegen in den Besitz des Wiener Sammlerpaares Gröblinger, der sie in der von ihnen angekauf ten Burg zu Laa aufgestellt hatte. Ais die zweite Gattin des Rechnungsrates Gröblingerzum dritten Male heiratete und dem neuen Gatten alles verschrieb, kam es in der Folge so weit,daß alle die wertvollen Altertümer,die mit Liebe und Opferfreu digkeit von den Erstbesitzern gesammelt und betreut worden waren, verklopft wurden.Darunter waren auch die Rußba cher Sachen. Die einst so wohlhabende Frau warsogargezwungen,der Mutterdes Gatten einen Zins für die Wohnung in der Burg zu zahlen. Heute ist die kunstleere Burg in anderen Händen und nur einige Photosin den Landessammlungenzeigen einiges von der alten Zeit®. In Rußbach selber haben sich nurein Immaculatabild, zwei harte Beichtstühle in der Kirche und die Reliefs„Buße des Königs David"und „Anbetung desJesukindes durch die Wei sen aus dem Morgenlande" im katholi schen Bildungsheim erhalten. Überdie Einrichtung derKircheim Mit telalter und im 15.-17. Jh. wissen wir fast nichts. Der im Jahre 1614 verstorbene Pfarrer JohannLotter(sein Grabstein kam wieder in das Gotteshaus)® ließ eine steinerne Kanzel, einen Altar samt Antependium und Bildhauerarbeiten aufstellen"*. 1631 ist die Rede von6 Altartüchem auf6 Altä ren. Aber nur ein vorderer Altar (wahr scheinlich Hochaltar St. Valentin)und ei ner zu Ehren der Lieben Frau werden na mentlich genannt®.1689/1690 gab esin der Kirche 4 Altäre®.Einer stand wohl in der jetzigen Sakristei. Diese ist entstanden, indem man den Eingang von der Kirche aus um 1700 vermauerte, einen Plafond einzog und so den hohen Raum,in dessen Oberteil noch gotische Malereienzusehen sind, niedriger und auch wärmer machte, auch wurdeim Altarraum des Hochaltares eine Tür ausgebrochen. Aus dieser Zeit, vor 1600, bestand wohl ein Blasiaftar, der noch 1728 ausgebessert werden mußte' und ein Sebastianaltar, der 1712 be schenkt wurde® und 1832 noch bestand. Das Bild wird 1869im Inventarder Kirche ausgewiesen. 22

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