Um die Existenz der christlichen Presse in Wien,1922 Euer Eminenz! Wien, 19. August 1922 Hochwürdigster Herr Kardinal! Der außerordentliche Emst der Lage möge mich entschuldigen, wenn ich es wage, Euer Eminenz, selbst in der kurz bemessenen Erholungsfrist Euer Emi nenz, nachstehende Därlegungen zu un terbreiten.DieungeheureIndexzifferhat, wie in hundert anderen Betrieben, auch bei uns ihre schwersten Nachwirkungen. Alle Preisaufstellungen sind damit über den Haufen gerannt. Selbst die mit 15. August erhobene Nachzahlung reicht nicht mehr aus, um diesen ungeheuren Ausgabenzuwachs zu decken,zumal das Geld nicht wie bei anderen Geschäftsleu ten sofort, sondern immer erst im Ver laufe von Wochen,zum Teile erst inner halb Monatsfrist, einfließt.So ergibt sich die Tatsache, daß wir durch die neue Teuerungswelle plötzlich für 1. Septem bervoreinem Auszahlungstermin stehen, der allein für die an diesem Tage fällig werdenden Löhne und Gehalte samt den bis dorthin notwendig werdenden Mate rialzahlungen eine Summe von 180 Mil lionen erfordert Von dieser Summe sind rund 100 Millionen ungedeckt 30 Millio nen dieses Defizits werde ich durch die Hilfe des Herrn Prälaten Seipel decken. Bei der höchsten Anspannung der Druckerei, bei den größten, bereits durchgeführten Ersparungsmaßnahmen im Zeitungsbetriebkann nichtannähernd mehr eine dauernde Hilfe gegen solche Abgänge gefunden werden. Rasche und einschneidende Entschlüsse sind also notwendig.Ich habe deshalb den Verkauf des „Neuen Montagblattes" verfugt das eine erhebliche Passivpost darstellt Die Käufer, für die als Herausgeber der Sportsmann Rudolf Marold,ein gewese nes Piusvereinsmitglied, zeichnen wird, geben dieZusicherung,daß an dergrund sätzlichen Haltung des Blattes nichts ge ändert wird. Sie werden daraus ein Blatt machen, das namentlich wirtschaftlich und sportlichen Interessen dienen soll. Der Druck bleibt bei uns, der Verkaufs preis ist 10 Millionen, und das Blatt wird vom 1. September an von den neuen Ei gentümern übernommen. Außerdem stellen wir den „Burgenländischen Volksfreund" ein, der das trau rige Schicksalder burgenländischen Par teiverhältnisse zu spüren bekam und der ebenfalls eine sehr erhebliche Passivpost (jede der letzten Nummern 800.000 Kro nen)darstellt. Drittensaberist wohljetztauch die Ein stellung der „Wiener-Stimmen" nicht mehr zu umgehen. Das Passivum, mit dem bei einem Abendblatte immer ge rechnetwerden mußte,wächstjetzt,nicht durch die Höhedes Abonnentenrückgan ges,sondern deshalb,weil es einfach un möglich ist, die gesamten Kosten auf die Abonnenten zu überwälzen, zu einer Summe von monatlich zirka 30 Millionen Kronen. Posten, die früher überhaupt nicht zählten,sind jetztzu großen Ziffern angeschwollen. Allein die Straßenbahn fahrt für jene 100 Austräger, welche die weiteren Bezirke zu versehen haben, be trägt täglich bei den „Wiener-Stimmen" allein 45.000 Kronen.Diese Kosten müß ten jedes Nachmittagblatt erdrücken. Tatsächlich stellt auch der „Wiener Mit tag"sein Erscheinen ein,so daß nur noch außer den selbständig erscheinenden Abendblättern das „Neue Wiener Tag blatt"und die„Neue FreiePresse" mitei nerzweiten Ausgabe übrig bleiben. Auch diese Blätter sind übrigens schon in har ter Bedrängnis, da ihre Haupteinnahme, die Inserate, namentlich bei der „Neuen Freien Presse" versiegt. Wir müssen uns jetzt auf das Notwendigste, unter allen Umständen Unentbehrlichste zurückzie hen und diesessorgsam zuerhaltentrach ten. So schwer es also ankommt, bleibt wohl nichts übrig,als die genannten Am putationen zu vollziehen. Ich habe mit Herrn Generaldirektor Fried darüber schon beraten. Er stimmt überein und es obliegt mir nun. Euer Eminenz, diesen Antrag zur Genehmi gung zu unterbreiten, soweit Euer Emi nenz nicht schon früher Ihre Uberein stimmung damit bekundet haben. Leider ergibt sich noch die schwere Frage,wie wir über dasfurchtbare Erfor dernis des 1.September hinwegkommen. Für30 Millionen des Abgangeshabeich in mühsamen Verhandlungen Zusagen er reichen können. Aber da fehlt noch im mereine sehr großeSumme.Wir können aufden Ankaufvonzwei WaggonsPapier und auf die Beschaffung von zwei Wag gons Koks verzichten. Das bedeutet aber bei der dann im nächsten Monat unum gänglichen Beschaffung einen Millionen verlust,den wir durch die mit 1.Septem ber zu erwartenden Preiserhöhungen zu verzeichnen haben werden,wie ja über haupt der Mangel an Geldflüssigkeitjetzt das größte Hemmnis ist, da nur durch eine ausgiebige Vorratswirtschaft den jä hen Folgen der Preissteigerung begegnet werden kann. Ich bin mir vollkommen bewußt, wie kühn es ist, wenn ich Euer Eminenz nun nochmals in dieser Lage komme und die Bitte unterbreite, ob es möglich wäre,in dieser Situation 1000 Dollarszu erhalten. Es handeltsich um die Vermeidung einer sehr schweren Krise, aus der ich sonst keinen Ausweg wüßte. Esist mir wohlklar,daß diesegroßeIn anspruchnahme der Mittel EuerEminenz von selten des „Herold"-Unteniehmens auch eine geschäftliche Gegenlage erhal ten muß. Ich denke daran, daß sich der Verein „Herold" am besten dazu ent schließen wird, den Wert des Hauses für die erhaltenen Gelder irgendwie einzu stellen. Es hätte ja für die Zukunft viel leicht sogar gewisse Vorteile, wenn zum Beispiel die Hälfte des Hauseigentums beim katholischen Zentralblatte in den Händen des hochwürdigsten Ordinarius der Wiener Diözese liegen würde.Solche Fragen werden jetzt in nächster Zukunft wohl entschieden werden müssen, denn die Hauptsache ist doch wohl, mit den wichtigsten und lebensnotwendigsten Organen des katholischen Organismus diese entsetzliche Krise zu überstehen, hen. Ich bitte Euer Eminenz nochmals, mir zu vergeben,daß ich im Namen des„He rold" mehrmals als Bittender erscheinen muß.Aber,zu wem soll ich mich flüchten in dieser Not,als zum väterlichen Hirten. In tiefster Ehrerbietung Euer Eminenz ganz ergebenster Friedrich Funder NS.: Dieser und die zwei folgenden Briefe sind auf Papier mit dem Kopf „Reichspost" geschrieben und gehören zu den DAW Bischofsakten Piffl 1922 u. 1924. Mit Bleistift vermerkt: 1000 Dollar wurden Msgr. Wagner am 25.d. überge ben. Wien,26. August 1922 Euer Eminenz! Hochwürdigster Herr Kardinal! Meine Finger mögen wohl etwas gezit tert haben,als ich den Briefaus Kranich berg öffiiete - Euer Eminenz haben mich abermals von schwersterLastbefreit.Ich danke im Namen des ganzen Hauses aus tiefstem Herzen. Der jetzt durchzufüh rende Entschluß ist schwer, aber die Notwendigkeit ist gebieterisch. Viel we niger,weilich den Abonnentenausfall in folge der nun notwendig werdenden ho hen Preise fürchte-die Abonnentenzahl hat sich bisher immer noch erstaunlich gut gehalten und selbst von den Absagen kommen nach kurzer Zeit wieder viele zurück-.sondern die Hauptsache ist,daß jede Zeitung heute ein unfehlbar passiver Betrieb ist imd, wenn man mehrere Zei tungen häuft,bei denjetzigen Verhältnis sen zu Summen gelangt, die ungeheuer lich sind. Auch die „Neue Freie Presse" lebt heute nicht von den laufenden nor malen Einnahmen mehr.Es ist ja vor al lem das ganze Inseratengeschäftzerstört, das früher das Rückgrat gerade der gro ßen Blätter war. Der September-Voran schlag für „Reichspost'-Morgenblatt all ein,ist nach den in den allerletzten Tagen eingetretenen Veränderungen auf 230 Millionen berechnet,ohne daß man noch den Index vom 15. September in Rech nung stellen konnte. Nach der jetzigen Preisaufstellung werden wir bei größter Sparsamkeit diese Summe aufbringen. Die Gefahr sind nur die außerordentli chenErhöhungen,diejeder Vorbereitung 36
RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=