Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

klar dargethan hat: ich hatte aber dabey auch den Grundsatz, dass in den letzten Jahrhunderten und be sonders in unseren so verderbten Zeiten tausenderley Arten von Betrügereyen gemacht werden und herzlicn zu wünschen wäre, dass selbige nicht durch die Einfalt so vieler Mönche und Priester unterstützet würden. Diese meine Grundsätze zog ich vernünftig zu Rathe, und es war mir nicht schwer, oft zu entdecken, dass Betrug dahinter stäche; und wenn ich das wusste, zeigte ich ihn in seiner Blösse. Wenn ich daher von der Verstellung solcher Personen überzeugt war, so stellte ich meine Krankenwärter, jeder mit einem tüchtigen Eimer Wasser bewaffnet, in eine ordentliche Schlacntordnung, und liess in dem Augenblicke, wenn bey An hörung des verehrungswürdigen göttlichen Namens oder bey den Namen der Heüigen der verstellte Teufel in dem Körper des Besessenen seine gewöhnlichen Ver zückungen oder andere Ausbrüche seiner Wut veran staltete, sogleich einen ganzen Eimer Wasser auf das Gesicht und die Brust des vergeblich Besessenen mit eineraale schüttten, und zwar so, dass wenn der erste Eimer Wasser nicht die Wirkung that, dass der Anfall aufhörte, alle übrigen Krankenwärter nach der Ord nung jeder seinem Eimer auf den Besessenen giessen mußten. Freylich brauchte ich das erstemal ein ziem lich grosses Fass Fasser, als aber die Leute sahen, dass alle ihre Verzückungen das nämliche Schicksal zu gewarten haben würden, so Hessen sie es nachmals blei ben, Verzückungen zu spielen und zeigten sich als voll kommen gesunde Menschen""). In diesen Texten sind zweiPassagen bemerkenswert. Zunächst betonte de Haen, daß es seiner Überzeugung nach echte Besessenheit geben könne. Ferner scheint die Schilderung der primitiven Therapie der „Convulsionen" die Annahme zu erlauben, daß es sich dabei um hysterische Manifestationen gehandelt habe. Anton de Haen widmet der Besessenheit ein gan zes Kapitel. Er gibt eine Reihe von Krankengeschich ten wieder, die hysterische bzw. psychotische Zustandsbilder schildern. Dennoch betont de Haen: „Ich bin aus den Schriften der Evangelien und der Apostel geschichte überzeugt, dass viele Menschen vom Teufel besessen gewesen sind, und weis(s) ebenso gewiss, dass viele in den ersten Jahrhunderten der Christenheit und unzählige Heilige die Kraft gehabt haben, den Teufel auszutreiben. Ich zweifle endlich nicht, dass es auch jetzo noch hin und wieder wirklich Besessene gibt... Aber die Bosheit niederträchtiger Menschen ist so gross, dass sie theils sich stellen, als ob sie vom Teufel besessen wären, theils die verehrungswürdigen Gebräuche der Kirche und die ehrwürdigen Diener derselben dem Spott aussetzen. Dieses nun zu ver hüten, und die Ehre der allerheiligsten Religion und der heiligen Diener derselben zu erhalten zu suchen, ist meines Erachtents Pflicht eines jeden, der auf den Glanz und den Ruhm seiner Religion etwas hält." De Haen will „verstellte und erdichtete Krankheiten von wahren unterscheiden" und hat sich bemüht, „dass ich mir schon seit Jahren die Kennzeichen bekannt zu madien gesucht habe, woran man gründlich und ge wiss unterscheiden kann, ob es wahr oder Verstellung ist: dass auf diese Weise die wirklich vom Teufel be sessenen der Kur der Kirche übergeben, und die Ver stellten ihres Betrug überführt werden können""). Diese kleine Skizze sollte zeigen, wie man sich zur Zeit der Aufklärung um die Unterscheidung zwi schen Besessenheit und Pseudobesessenheit bemühte, ohne die Existenz eines personalen Bösen prinzipiell zu leugnen; man betonte aber, den krankhaften und be trügerischen Charakter der damals zur Beobachtung gelangenden Phänomene. Man war um eine pastoraipsychiatrische Differentialdiagnose bemüht, um eine discretio spirituum acquisita. Geistesgeschichtlich ge sehen sind diese Bemühungen im Bereich der öster reichischen Medizin auch bemerkenswert für unsere Gegenwart hinsiclitlich des Wildwuchses pseudoreli giöser Erscheinungen. Aber auch die Geschichte der Pastoralpsychiatrie in Wien erfährt dadurch eine Er weiterung. Anton de Haen ist schon vor Anselm Rikker zu deren Vertretern zu zählen®); um so berechtigter kann von der Pastoralpsychiatrie als einem Proprium Viennense gesprochen werden. ^) Heinrich Schipperges: Zur Psychologie und Psy chiatrie des Petrus Hispanus. Confinia psychiatric. 4 (1961) 137—157. ^) Gottfried Roth; Epilepsia est morbus non possessio. Confinia psychiatr. 13 (1970) 67—72. •') Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Kultus ns.") (11. 2. 1755). •') Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien. Acta No 11, Gener. N.ö. Fase. 180, Kultus 1758 (21. 6. 1758). Herrn Generalstaatsbibliothekar Univ.-Prof. Dok tor W. Goldinger sei für die Vermittlung dieser Texte herzlich gedankt. ") Franz Giftschütz: Leitfaden für die in den k.k. Erb landen vorgeschriebenen deutschen Vorlesungen über die Pastoraltheologie, Wien 1785. S. 249 ff. ") Anton von Haen kaiserlichen Leibarztes Heilungs methode in dem Kaiserlichen Krankenhause zu Wien. Leipzig 1780. II, S. 295 ff. — Vgl. auch: Anto nius de Haen: De magia liber. Wien 1775. Ders.: De miraculis liber, Frankfurt — Leipzig, 1776. ') Ebendort VII, S. 107. Elisabeth Koväcs — Gottfried Roth: Anselm Ricker imd seine Pastoralpsychiatrie, Wien 1973. ") Gottfried Roth: Pastoralpsychiatrie. Mitt. Ärzte kammer Wien, 27 (1975)4—5. ^") In der sorgfältig geführten Bibliothek des medi zinhistorischen Institutes der Universität Wien fand sich eine Studie über Anton de Haen, in wel cher dargelegt wurde, „dass es für einen verantwortungsbewussten Christen vereinbar ist, in der Zeit der Aufklärung ein fortschrittlicher Kliniker zu sein." — D. Cichon: Antonius de Haens Werk „de magia" (1775). Münstersche Beiträge zur Ge schichte und Theorie der Medizin, No. 5, Münster 1971. ") Erna Lesky: Magie und Aufklärungsmedizin — Das Dilemma des Anton de Haen. Osterr. Arztezeitung 31 (1976), II. 42.Zum Tod Kaiser Franz Josephs I. vor 60 Jahren Schönbrunn, am 22. November 1916. Euere Eminenz Hochwürdigster Herr Kardinal Fürsterzbischof! Es drängt mich, Euerer Eminenz mitzuteilen, daß das Ableben Seiner Majestät ein höchst erbauliches war. Seine Majestät verrichtete bei vollständig klarem Bewußtsein um 10 Uhr vormittag die hl. Beichte und empfing die hl. Kommunion. War ganz ruhig und ge faßt. Am Abend wurde ich gerufen, Ihm die letzte Ölung und die Benedictio Apostolica in articulo mortis zu spenden. Ich war mit allem fertig, da entschlum merte Seine Majestät sanft und friedlich, das Sterbe kreuz in der Hand. Ich betete das „Subvenite Sancti Dei" und dann mit den Anwesenden für den im Herrn Entschlafenen. Es war ein schöner christlicher Tod. Aus tiefster Seele danke ich dem gütigen Gott für die große Gnade, die er dem edlen Herrscher zuteil werden ließ. Traurig und doch heiliger Freude voll küsse ich im Geiste ehrerbietigst die Hände Euerer Eminenz. Der treugehorsamste Burgpfarrer Dr.Ernst Seydl. Anm.: Empfänger Kardinal Friedrich Gustav Piffl. — Ein Blatt im Oktavformat, zweiseitig beschrieben. — Diözesanarchiv Wien, Bischofsakten, F. G. Piffl. Dr.F.L. 44

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