Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Zeugungen), wie selbst am Anfang sie gebraucht, seit her das (daß) Gott vor (für) uns gestorben und erlöst hat, man nicht mehr in evangelio von Besessenen was gehört; glaube, daß es keine mehr gibt"-'). Die zweite handschriftliche Notiz der Kaiserin findet sich in einem Akt aus dem Jahre 1758, in dem berichtet wird, daß ein conte P. zu den Franziskanern in Wien gebracht werden sollte, um dort einem Exor zismus unterzogen zu werden, aber knapp vorher als Patient zu dem kaiserlichen Leibarzt Dr. Anton de Haen gebracht wurde. Die Situation ergibt sich aus folgendem Abschnitt des Aktes selbst: „Die Transferierung des jungen P. zu dem Doctorem Haen ist gestern eben noch zu rechter Zeit geschehen... ansonsten der Tag bestimmt ge wesen wäre, allwo der Kranke P. von seinen Eltern zu denen Franziskanern in das Kloster geführet, und ein neuer Exorcysmus bey einer mess, jedoch ihrem vor gehen nach in einer separierten Capelle in aller Stille hätte vorgenommen werden sollen''^- P. wird seitens der Sanitätsbehörde als Kranker bezeichnet und folgerichtig zum Arzt gebracht. Dem Akt ist eine Schilderung des Zustandsbilds zu entneh men, die der Vater des Patienten gegeben hatte: „Der Vater desselben, der bereits durch zwey Jahre sich allhier aufhaltet,... und dem obbemel(d)ten kranken Sohn den Aufenthalt auf Credit genüsset, hat die Sache folgendermassen verz(a)ehlet. ... mein Sohn bereits durch 6 Jahr mit einer ausserordentlichen Krankheit geplaget wurde, welche von den medici in Neapel, Rom und Padua noch die allhiesigen in Wien bis nun zu erkennen hätten... selber sich jederzeit gesund und bey guter Vernunft befindet, manichmal aber mit ganz grässlichen Äng sten, Herz-Klopfen und Convulsionen dergestaltet an gerissen wurde, dass er gleichsam in dem Zimmer her umfliehe und durch seine besonderen Stellungen alle anwesenden zum Lachen bewegete. Die Ursache dieses traurigen Zustandes soll der Vater dahero leiten, dass sein Sohn vor 6 Jahren mit einer Hauptmanns-Tochter in Neapel auf einem Bali in bekanntschaft gerathen wäre, bey solcher Gelegen heit diese Hauptmanns-Tochter eine solche Lieben gegen seinen Sohn gefasset, dass sie ihn auf allen Wegen Sie zu heyrathen zwingen wollte,... nachdem nun dieser sein Sohn kurtz darauf bey seiner Ankunft in Rom sogleich mit diesem Übel befallen worden, so könnte er sich nichts anderes einbilden, als dass den selben durch diese Weibs-Person einige Zauberey beygebracht seyn worden müsse. Den allerheftigsten Anstoss hievon aber habe er in Padua folgendermassen erlitten. Er hätte nemlichen Vor mittag seine Andacht mittelst der Heiligen Beicht und Communion verrrichtet und die Noven(e) zu dem Hei ligen Antonio angefangen. Den ganzen Tag über war Er bey vollkommener Gesundheit gewesen, in der Nacht aber um halber 12 Uhr wäre er gählings erwacht und mit vielem Geschrey und diesen Worten «Wieviele Teufeln seyend um mich» herum aus dem Beth ge sprungen und gleichsam fliehend zu seyn des Vaters Böth gekommen, wobey Er mit Fäusten zu schlagen sich angestellet hätte. Er der Vater wie dessen Ehe gattin wären zwar sogleich aus dem Beth gesprungen und hätten ihn solange gehalten, bis er auf ihr Zurufen und das Geschrey und Heillen (Heulen) ihres Sohnes mehrere Leute in dem Wirthshauss dazu gekommen und ihn endliche wieder in das Beth gebracht hätten. Bei dieser Gelegenheit hätten sie mit erstaunen ge sehen, dass dieser ihr Sohn mehr als ein halb Ellen in der freyen Luft aufgehoben worden sey und mit Hilfe mehrerer Personen und dem grössten Gewalt wiedei'um niedergehalten werden müssen'"*)- Die Kaiserin hatte am 21. 6. 1758 dem Akt hand schriftlich hinzugefügt, dass Conte P. in das Bürger spital zu Dr. Haen zu überführen wäre: „man solle also gleich den conte P. völ(l)ig isolieren von allen leuten, besonders von seine Eltern, dass niemand mit ihm reden und dem Doctor de Haen ins Bürgerspital übergeben"ÜDas Problem des nidit angemeldeten Exorzismus durch P. Eusebius, der Schriftverkehr mit dem erz bischöflichen Ordinariat usw. ist für \inser Anliegen weniger von Bedeutung. Geistesgeschichtlich bemer kenswert aber ist, daß Kaiserin Maria Theresia der Meinung war, es liege hier keine Besessenheit vor, son dern eine Krankheit, zumindest müsse man ärztlicher seits diese Frage prüfen. Allerdings hatte die Kaiserin schon 1755 festgehalten, dass es eine Besessenheit nicht mehr geben könne. Es erhebt sich nunmehr die Frage, woher Maria Theresia diese theologische Interpreta tion genommen habe; immerhin handelte es sich ja um eine mit Nadidruck niedergeschriebene Auffassung. Der „Leitfaden für die in den k.k. Erblanden vor geschriebenen deutschen Vorlesungen über die Pasto raltheologie" von Franz Giftschütz®^) enthält eine Stelle, die unübersehbar Parallelitäten aufweist, sodaß ein innerer Zusammenhang zwischen der Notiz der Kaiserin und diesem Text angenommen werden kann: „Was hier immer in Ansehung der Möglichkeit der Sache oder den wirklichen Besitzungen (Besessenhei ten), zu den Zeiten Christi und der Apostel für Meinun gen gelten mögen, so lässt sich insgeheim zu reden, in unseren Tagen annehmen, dass solche Personen ent weder betrügen wollen, oder eine kranke und zerrüt tete Phantasie haben. Also sind folgende Klugheits regeln brauchbar. 1)Es wäre niemals erlaubt, eigenmächtig, ohne Anfrage bey der höheren Obrigkeit und derselben Befehl Exorzissmen vorzunehmen. 2) Man sagt das erstemal, da man einen solchen zu sprechen kömmt, man soll sich in seinem Urtheil nicht übereilen, man wolle hoffen, dass eine andere Ursache, als eine körperliche Besitzung zum Gnmde liege; übrigens sey keine Macht gegen Gott; ihn allein soll man fürchten. 3) Man suchte den Zulauf des Volks so viel möglich zu verhindern, und meldet die Sache alsogleich der welt lichen Obrigkeit. Die Unterredungen nehme man mit einer Person vor. Das erste ist nöthig, um leichter auf den Grund zu kommen; das zweyte, damit man sich über sein betragen rechtfertigen könne. 4) Man lasse einen solchen Unglückseligen allein reden, habe alles auf genau Acht, um seine Absicht zu erken nen, und die Umstehenden leicht zu überzeugen, und fertige ihn mit kurzen Antworten ab; man setze in zwischen unvermuthete Fragen an ihn, und gebe Adit, ob er sich nicht selbst durch sein Reden verfängt. Ist der vermeintlich Besessene des Betruges überzeugt, so hält man ihm das Abscheuliche einer solchen Verstel lung vor, man zeige ihm, wie er sich selbst Unruhe da durch zuzieht und verfährt, wie mit anderen Laster haften. Gehört er unter die Wahnsinnigen, so besteht die Hauptsache darinn, dass man ihm Muth einspridit, und seine Einbildungskraft auf andere Gegenstände zu lenken sucht, bis man ihm etwa nach und nach selbst begreiflich machen kann, dass er sich in Ansehung der Teufelsbesitzung betrogen habe"®). Daß Kaiserin Maria Theresia den Conte P. zu Anton de Haen schickt, hat seinen besonderen Grund; denn letzterer schreibt dazu in einem Kapitel über „die Epilepsie und den Verzückungen": „Wir müssen aber auch noch einer anderen Art von Convulsionen erwähnen, die vom Teufel herrühren sollen, und bey deren Erzählung mir der Schauer auskommt. Ich habe dergleichen bey beyden Geschlechtern gesehen. Unsere glorwürdige Kaiserin hat viele Weibspersonen, von denen nicht nur der Pöbel, sondern auch selbst die Priester zuverlässig glaubten, dass sie vom Teufel be sessen wären, in das praktische Krankenhaus schaffen lassen, um sie zu untersudien. Nun hatte ich zwar bey dieser Untersuchung daran keinen Zweifel, dass wirk lich Menschen vom Teufel besessen seyn können, wie dieses durch unwiderlegliche Beweise theils aus dem neuen Testament, theils aus der ächten Kirchen geschichte. theils aus den Lehren der heiligen Kirchen väter unzweifelhaft dargestellt werden kann, auch unser berühmter Präsident Cap. de Epilepsia sonnen43

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