Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

(Beispiel für Ernteberichte jedes Jahr, diesmal: die Ernte mittelmäßig, Wein besser als 1879,aber wenig. Viel Heu). (Weitere Berichte über Kirchenbauverein, Audien zen, Festfeier anläßlich der Widmung des Platzes zur Erbauung der Kirche...) Kirchendiener: Mit Aprü ist H. Meißner, früher erster Kirchendiener bei St. Stefan als Kirchendiener eingetreten. Es haben sich 6 Personen um diese Stelle beworben. Zur Sittengeschichte. 16. Juli 1882. Trostlose Zu stände. Das VI. Gebot ist im ehel. bes. im ledigen Stande fast aufgehoben. Die Bekanntschaften beginnen bald nach den Schuljahren mit den traurigsten Folgen. Die Concubunate sind zahllos. Die verheirateten Män ner wissen nichts als Zoten und unsaubere Anspielun gen zu reden. Bei den meisten Eheschließungen müssen Kinder, zuweilen 5—6 legitimiert werden. Die meisten Bräute treten im letzten Stadium der Schwangerschaft an den Altar. Im Jahre 1882: 382 Trauungen (die größte Zahl), gestorben 1389, getauft wurden 1553. Um mit dem Kirchenbau bald zum Ziel zu kom men, sollte eine Effekten-Lotterie veranstaltet werden. Es fanden deshalb Audienzen bei Sr. Majestät, beim Finanzminister, beim Fürsterzbischof statt. Wegen ge ringer Aussieht eines günstigen Resultates wurde das Projekt wieder aufgegeben. Die Teilnahme der ganzen Bevölkerung ist eine viel zu geringe. Neue Schule. Mit dem Schuljahr 1882—83 wurde die 7. Volksschule in der Seitenbergg. eröffnet, und zwar im neuerbauten Armenhaus, weil das neue Schulhaus erst September 1883 fertig werden wird. Der Cultusminister erschien zur Einweihung, die Schul inspektoren, Abgeordneter Exner etc. Der H. Bürger meister hielt eine Anspradie, worauf ich vom Altar aus über den Vorzug dieser Schule wegen ihrer herrlichen Lage, von dem guten Einvernehmen zwischen Priester und Lehrer sprach — ich flocht das Beispiel der Mutter der Grachen ein, die ihre Kinder als ihre kostbarsten Perlen betrachtete — das sollen die Kinder auch für eine Gemeinde sein, deshalb soll man sich nicht zu viel beklagen, wenn die Schulbauten große Opfer kosten. — Der Hr. Minister hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu und erwiderte in gehobener Stimmung durch eine längere Rede — er anerkannte es lobend, daß Ottakring so große Opfer bringe für die Schule und anknüpfend an den von mir betonten Schulzweck: religiös-sittliche Bildung, bei dessen Erreichung Schule und Kirche zu sammenwirken muß — verbreitete er sich aus innerer Überzeugung und mit Wärme über diese Thema. — Die Gäste mit Ausnahme des Ministers gingen dann in das schöne und zweckmäßige Armenhaus — nach einer kurzen Ansprache nahm ich die Einweihung vor — Ab geordneter Exner sprach wieder nicht; er sagte, daß man nach mir nicht sprechen könne, weil ich das Thema zu erschöpfen pflege. Das Jahr war ein ziemlich gesegnetes besonders in Obst und Wein, der ausnahmsweise .in einem Monat schon goldgelb war und einen so lieblichen Geschmack hat. Trauungen waren 408, Leichen 1257, Taufen 1638, Totgeburten 79. — Die Bevölkerung wächst „rapid", es sind fast 100 neue Häuser gebaut worden, ebenso im verflossenen Jahr. 1884 Über die geglückte Kirchenrenovierung... September. Nahezu 2000 Wallfahrer gingen unter Führung des Pfarrers nach Mariabrunn. Aus Anlaß des Jubiläums der Zurückbringung des Gnadenbildes wurde ein wertvolles Missale geopfert. Oktober. Es wurde die neue Schule in der Payerg. (bereits die achte in Ottakring) feierlich eingeweiht. Es sind 7000 Schulkinder in Ottakring, deren Zahl im Laufe des Jahres wieder um mehrere Hundert zu nimmt, weshalb der Bau einer neuen Schule notwendig sein dürfte. Privatschule. Eine aus Deutschland infolge des teuflichen Culturkampfes gekommene Ordensschwe ster, die einige Zeit bei den Schulschwestern in Mar burg sich aufhielt, aber wie sie sagte, wegen zu großer Strenge nicht aushalten konnte, errichtete auf dem Yppenplatz eine Privatschule. Anfangs kam sie einige mal um Rat und Beistand zu mir; auf einmal blieb sie aus. Sie hatte einen Anstand wegen Behandlung eines Kindes, der in den Blättern wahrscheinlich übertrieben wurde, auch der Pfarrer von Neulerchenfeld sprach sich gegen sie aus. Statistik 1884 1885 1886 Taufen 1800 2002 2065 Leichen 1500 2014 1606 Trauungen 442 450 497 Kirchenbau: Mit der Geldsammlung geht es lang sam vorwärts. Bei der heurigen Generalversammlung ernannten wir Se. Eminenz und den Hr. Cultusminister zu Ehrenmitgliedern. Uns schadet, daß nach unserem Beispiel überall Kirchenbauvereine entstehen — so in Weinhaus, Gerst hof, unter den Kaisermühlen, Hernais, Währing. Auch herrscht im Ausschuß nicht der nötige Eifer. H. Jordan und H. Willemans, Erbauer des Justiz palastes, haben Ende Juni ihre Pläne abgeliefert. In der letzten Ausschußsitzung wurde endlich eine Schuld der Dankbarkeit abgestattet. Ich sprach zuerst mit dem Bürgermeister und mehreren Herren der Ge meindevertretung, daß H. Kanonikus Dechant Paletz durch Gründung der Kinderbewahranstalt, durch das Geschenk der Schuluhr, durch sein 28.iähriges ver dienstliches Wirken, durch sein Wirken im Armen wesen und in der Gemeindevertretung sich große und hervorragende Verdienste um das Wohl der Gemeinde erworben habe und den gerechtesten Anspruch darauf habe, daß die neue Gasse ihm zu Ehren Paletzgasse heißen soll. Der Referent M... wollte einen anderen Namen vorschlagen — ich kündigte ihm lebhafte Opposition an — ich begründete in öffentlicher Sitzung diesen Antrag, der, ich glaube, einstimmig angenom men wurde. (Von aufregenden Gemeindewahlen...Kampf zwi schen Buschenschänken und Wirten... Glanzvolle Weihe der Friedhofskapelle... Ausstellung der Kir chenbaupläne... Differenzen mit dem Bürgermeister wegen Friedhofs... Auseinandersetzungen wegen des Kirchenbaus, die zum Rücktritt des Pfarrers als Prä sidenten des Kirchenvereines führten ...). 1886 Am 30. Jänner starb der Kirchenvater J. L. im 89. Lebensjahr; er war 50 Jahre Kirchenvater, ein see lensguter fleißiger religiöser Mann aus der guten alten Zeit. Als sein Nachfolger wurde Th. H..., Gemeinderat und Armendirektor bestellt, aber er starb schon am 17. Okt. 1886. Am 19. war sein Leichenbegängnis unter größter Teilnahme der Bevölkerung, die er endlich ver dient hat, da es nur wenig Leichenbegängnisse gab, denen er nicht beiwohnte. Ich hielt ihm einen warmen Nachruf am offenen Grab. R. i. P. Herausgeber, Verleger und Eigentümer: Erzb. Ordinariat, Wien I, Rotenturmstraße 2. — Verantwortlicher Schriftwalter: Archivdirektor Univ.-Prof. Dr. Franz Loidl, Wien I, Rotenturmstraße 2. — Druck und Versendung: Mechitharisten-Buchdruckerei, Wien VII, Mediitaristengasse 4. 40

RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=