Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

sich nun an den Zurückgekehrten. Da ihn die tapfere und treu katholische Frau bei der Betreuung der blühenden Kinderkongregation Altsimmering bis zu deren erzwungenen Auflösung unterstützt hatte, war ihm an einer Lösung der Quartierfrage besonders ge legen. Es gelang denn auch nach einigen Bemühungen, ein Zimmer für das Ehepaar Reidinger aufzutreiben. Inzwischen warteten aber die übrigen Wallfahrer in den beiden Speisesälen voll Bangen auf die Rückkehr des geistlichen Leiters. „Der kommt nimmer", hörte er sagen, als er sich zunächst unbemerkt unter das Publikum mischte. Die Stimmung schlug sofort um, als man seine Ankunft wahrnahm. „Wir haben eben einen Wallfahrtsleiter, der sich nicht fürchtet", wurde nun festgestellt. Montag, der 15. August, wurde wieder mit einer Bet-Sing-Messe am Gnadenaltar begangen.Dann bestieg der Gefertigte die Kanzel zu einer Abschiedspredigt in dem überfüllten Gotteshaus und vermeldete zum Schluß: „Der Auszug kann nicht in der geplanten Weise stattfinden, da er von der Behörde verboten worden sei. Jeder möge sich einzeln zum Bahnhof be geben." Ein lautes „Pfui" tönte durch die Kirche. Der Bürgermeister von Mariazell samt einzelnen Gemeinde räten beobachtete mit schadenfrohem Lächeln, wie sich die Reihen vor der Kirche auflösten. Der Schreiber war froh, als sich das Züglein nach Wien in Bewegung setzte. So war er einer neuerlichen Vorladung ent ronnen, für den Fall, daß das „Pfui" dem Gemeinderat zu Ohren gekommen wäre. Die Rückfahrt mit der Bahn und mit den Son derzügen der Wiener Straßenbahn bis zur Remise Simmering verlief ohne Abenteuer. An der genannten Stelle empfing eine große Volksmenge, darunter viele Kinder, die Wallfahrer mit Blumen und Kirchenfahnen, die dann unter Glockengeläute samt ihren Angehörigen in die Pfarrkirche St. Laurenz einzogen. Dankandacht und Dankansprache kamen diesmal aus besonders be wegtem Herzen. Es war die letzte Wallfahrt der Sim meringer nach Mariazell, deren geistliche Leitung der Berichterstatter innehatte. Dr.KarlBinder 57. Johann Thomas von Trattner (1717—1798) Gläubiger Fabriksgründer*) Der Gründer der Papierfabrik Franzensthal bei Ebergassing, Niederösterreich, Johann Thomas Tratt ner, war der Sohn unvermögender Landleute. Seine Mutter starb, als sie ihn zur Welt brachte, der Vater zwei Jahre nachher. Eine Verwandte nahm sich des verwaisten Knaben an und sorgte für Erziehung und Unterricht. Als Achtzehnjähriger trat er bei einem Buchdrucker in Wiener Neustadt in die Lehre, die er in vier Jahren vollendete. Nun zog es ihn nach Wien. Hier arbeitete Trattner zunächst als Setzer in einer angesehenen Hofdruckerei und kaufte sich schließlich im Jahre 1748 eine alte Druckerei im Schottenhof, wozu ihm ein Freund das nötige Kapital von 4000 f. vor streckte. Obwohl Trattner völlig mittellos war, verteilte er, um sich des göttlichen Segens zu versichern, die Ein nahmen seiner ersten Arbeit unter die Armen. Diese erste Druckarbeit war ein Gebet, das der damalige Amtsverwalter des Stiftes Melk, Urban Hauer, ver faßt hatte. Diesem ersten Gönner aus dem Kreise der Geistlichkeit bzw. der Jesuiten schlössen sich später Aus der Geschichte der Neusiedler Aktiengesell schaft für Papierfabrikation. Wien 1953, S. 26/28.(Fest schrift zum 70. Geburtstag von Generaldirektor DipLIng. Dr. techn. Emil Linhart.) — Biographisches, sh. Wurzbach 46, S. 285—288. Dr.F.L. zahlreiche namhafte Persönlichkeiten an, die dem be gabten und unternehmungslustigen Trattner jene För derung zuteil werden ließen, die seinen erfolgreichen Aufstieg begünstigte. 58.Die Entstehung des St.-GeorgsKollegs in Konstantinopel Beiträge zur Geschichte der Tätigkeit der öster reichischen Lazaristen in der Türkei Franz Rangier CM. In dieser Diplomarbeit für die theol. Magister würde an der kath.-theol. Fakultät Graz, 1975, 110 Sei ten, heißt es im Vorwort: „Seit mehr als acht Jahrzehnten leiten die öster reichischen Lazaristen das St.-Georgs-Kolleg in Istan bul. Es ist daher wohl an der Zeit, den wechselvollen Weg dieser Institution niederzulegen und aufzuzeigen, wie aus einem Waisenhaus für Kinder der österrei chisch-ungarischen Monarchie ein großes Kolleg ent stehen konnte, das versucht. Brücken zu schlagen zwi schen Österreichern und Türken und dadurch auch hoffen kann, das Gespräch zwischen Islam und Chri stentum zu fördern." — Da u. a. von einem Wiener Diözesanen gehandelt wird, sei kurz darauf hingewie sen: Es ist der Lazarist Karl Flandorfer, am 3. Mai 1837 in Großrußbach, Niederösterreich, geboren, seit 1860 in Wien eingetretener Lazarist, 1864 zu Paris zum Priester geweiht, vorerst in das Missionshaus in der Kaiserstraße, Wien VII, versetzt, vom 8. September 1871 bis 2. Februar 1874 in Konstantinopel tätig. Wie derum nach Wien zurückberufen, wirkte er hier als Beichtvater und Katechet und starb am 12. April 1911 im 74. Lebensjahr. Anm.A. a. O. S. 25 f., 37 u. na. Dr.Franz Loidl 59. Kanonikus Karl Dittrich als Pfarrer von Altottakring (1874—1889) Dr.Franz Loidl Als Ergänzung zur Kurzbiographie*) dieses ersten Rektors des von Kardinal Rauscher gegründeten Kna benseminars (1856/1874) sei das Folgende vorgelegt, und zwar aus dem von ihm selbst geschriebenen „Ge denkbuch der Pfarre Altottakring"(Band II, 1871/1953). Dieser auf 45 Großseiten abgefaßte Bericht offenbart eine vorbildliche Art der stofflichen Auswahl und sach lich-objektiven Darstellung einer Pfarrchronik und bietet daher einen erwünschten Einblick in Gescheh nisse und Leben in und um eine so aufstrebende Wiener Pfarre, wie es die Arbeiterpfarre Altottakring ist Wegen der Beschränkung muß ein eventueller Biograph unbedingt diese Chronik im Original einsehen und auswerten.(Dr.Franz Loidl.) Curriculum vitae: Dittrich wurde i. J. 1822 den 23. Jänner, in Merkersdorf, Niederösterreich, Stocker auer Dekanat, geboren. Als er kaum ein Jahr alt war zogen seine Eltern nach Böhmen und übernahmen das Gasthaus und die Fleischhauerei in Osseg, welche dem Cistercienserorden gehörten. Dittrich wurde für das Gewerbe des Vatep bestimmt; der i. J. 1833 erfolgte Tod des Vaters hinderte dieses; die zwei geistlichen Brüder des Vaters führten ihn den Studien zu. Die ersten vier Gymnasialjahre studierte er in Brüx unter den Piaristen, die Humanitäts- und philosophischen Jahre (am Altstädter Gymnasium) in Prag (durch alle Jahre Prämient), die Theologie in Wien. Durch zwei einhalb Jahre war er Cooperator in Hausleuthen, durch zweieinhalb Jahre in Lanzenkirchen, durch fünf Jahre bei St. Leopold in Wien II. Nach zehnjähriger seelsorglicher Tätigkeit (er wurde 1846 ordiniert) wurde er 37

RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=