Wie alljährlich, wurde auch von Samstag, den 13., bis Montag, den 15. August 1938 eine Wallfahrt zur „Großen Mutter Österreichs" durch den Maria-ZellerProzessionsverein Simmering, zu dessen zahlreichen Mitgliedern hauptsächlich Gärtner zählen, veranstaltet. Diesmal war die Beteiligung besonders groß im Gegen satz zu den vorausgehenden Jahren, in denen die Ge müsegärtner in einen ausgesprochenen Notstand ge raten waren. Infolge der allgemein verbreiteten Arbeitslosigkeit und von Einfuhren, vor allem aus Italien, war eine große Absatzschwierigkeit für Ge müse eingetreten. Dazu strömten in den Frühlings- und Sommernächten Scharen von Arbeitslosen meist aus dem 10. Wiener Bezirk auf die Simmeringer Heide, plünderten die Gemüsebeete und schleppten die Beute sackweise mit sich fort. Zur Bewadiung standen nur Streifen von zwei Polizisten für das ganze Anbaugebiet zur Verfügung. Wurde ein Gemüsedieb, manchmal unter Lebensgefahr für den Wachebeamten,festgenom men, so erfolgte vom Gericht nur eine lächerlich ge ringe Bestrafung, weil die geraubte Ware sehr niedrig eingeschätzt wurde. Als die Gärtner zur Selbsthilfe griffen und selbst nächtliche Feldhüter aufstellten, wurde gleich in der ersten Nacht einem Gärtnerbur schen von Gemüseräubern die Kehle durchschnitten, ohne daß die Mörder ausgeforscht werden konnten. Nunmehr seit der Besetzung durch das Dritte Reich, eröffnete sich ein größerer Absatzmarkt und damit eine materielle Besserstellung der Gärtner. Dies und das günstige Wochenende mit einem Sonntag und Feiertag hatte eine starke Erhöhung der Teilnehmerzahl an der Wallfahrt 1938 zur Folge. Bei dem immer noch öster reichisch gesinnten Polizeikommissariat Wien XI,Dorf gasse, wurde die geplante Wallfahrt ordnungsgemäß angemeldet und auch genehmigt. Die erhebliche Zahl der gemeldeten Teilnehmer bedingte aber die Beschaf fung von Extrawaggons bei der Straßenbahn und der Reichsbahn. Bei diesen beiden Stellen wurde um die Beistellung von Extrawaggons für einen „Ausflug der Simmeringer Gärtner nach Mariazell" angesucht und diesem Gesuch auch entsprochen. Nach einer heiligen Messe mit Ansprache um 4 Uhr 15 Minuten in der Pfarrkirdie St. Laurenz (Altsimme ring) erfolgte der Auszug unter Glockengeläute und mit Kirchenfahnen bis zur Straßenbahnremise Simmering und dann die Fahrt mit Sonderzügen der Straßenbahn bis zum Westbahnhof. Hier erregte die Ankunft von Wallfahrern mit Vereinsfahne keine geringe Verwun derung bei den Bahnbediensteten. Doch konnten die Sonderwagen nach Mitterbach-Mariazell ohne Hinder nisse bestiegen werden. In Mitterbach wurde für alle, die einigermaßen gut zu Fuß waren, eine Herz-JesuAndacht mit Predigt gehalten, während die gehbehin derten Teilnehmer bis Mariazell durchfuhren. Der grö ßere Teil der Wallfahrer zog betend zu Fuß von Mitter bach nach Mariazell. Dort sollten alle ihr Quartier auf suchen und sich dann um 15.30 Uhr zum feierlichen Einzug vor dem Armenhaus versammeln. In Mariazell kam indessen der biedere Obmann Johann Haumer mit einem Teil des Ausschusses dem geistlichen Leiter mit der Meldung entgegen, der Einzug sei verboten worden. Der geistliche Leiter war der Meinung, er brauche ein solches Verbot, auf eine bloß private Mitteilung hin, nicht zur Kenntnis zu nehmen und erklärte:„Ich habe in Mitterbach verkündet, daß der Einzug stattfindet und dabei bleibt es." Die Nachricht, daß ein feierlicher Ein zug bevorstehe, verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Mariazell, wo sehr viele Püger, namentlich auch aus der Slowakei, anwesend waren, die auf einen solchen Einzug hatten verzichten müssen. Daher sammelte sich eine Menge von gegen tausend Personen in Viererrei hen vor dem Armenhaus an. Ein Gendarm, der auf einem Motorrad daran vorbeifuhr, wendete nichts ein. Um 16.00 Uhr setzte sich, unter lautem Gesang, der mächtige Zug in Bewegung. Die Geistlichkeit der Basi lika kam jedoch nicht in der gewohnten Weise ent gegen, sondern erwartete den Zug beim Hauptportal der Kirche. Der Sakristeidirektor äußerte zu dem Ge fertigten: „Ihr traut's euch etwas zu tun. Der Einzug ist ja doch verboten." Ihm wurde erwidert: „Jetzt ist es schon geschehen." Es folgte die feierliche Segens andacht am Gnadenaltar. Dann hörte der geistliche Leiter bis in die späten Abendstunden Beichte, ohne daß etwas Besonderes erfolgt wäre. Aber der Bürger meister hatte sich mit einem Teil des Gemeinderates auf die Kunde vom Einzug hin zornfunkelnd beim Rundgang um die Kirche eingefunden und das Ganze beobachtet. Am Sonntag,dem 14. August, erhoben sich die mei sten Gärtner als gewohnte Frühaufsteher schon um 4.00 Uhr. Ab 5.00 Uhr wurde wieder Beichte gehört,und vormittags hielt der geistliche Leiter in der gesteckt vollen Kirche Predigt und Hauptgottesdienst. Dann wurde bis nachmittags für Privatandachten oder kleine Ausflüge, besonders zum sogenannten „Ursprung", frei gegeben. Um 16.00 Uhr war wieder Maiandacht am Gnadenaltar. Inzwischen hatte sich aber Gendarmerie beim Sakristeidirektor eingefunden und verlangt, der geistliche Leiter müsse sich noch am selben Tag bei der Gendarmerie melden, sonst werde er verhaftet. Der Sakristeidirektor machte darauf aufmerksam, daß der genannte Priester noch bis spät abends Funktionen habe. Darauf der Gendarm, dieser müsse sich stellen, und wenn es Mitternacht würde. Davon setzte der Sakristeidirektor den geistlichen Leiter in Kenntnis und bemerkte dazu, die Gendarmerie sei ihm günstig gesinnt und schreite lediglich auf ausdrückliches Ver langen des Bürgermeister hin ein. Der Gefertigte rief jetzt schnell die Ausschußmitglieder in der Sakristei zusammen und trug ihnen auf, bei einem Verhör ein hellig zu sagen, daß ausschließlich er die gesamte Ver antwortung für die Wallfahrt trage. Sollte er von der Gendarmerie nicht zurückkommen, müßten sie erklä ren, daß niemand sonst imstande sei, die große Wall fahrt wieder geordnet nach Wien zurückzuführen. Nach der Marienandacht und neuerlichem Beichthören war abends noch im großen Saal bei Feichtegger eine „Fest versammlung" mit einer Rede des Unterzeichneten. Anschließend verfügte er sich nach 20.00 Uhr zur Gen darmerie. Das kleine Gebäude war geschlossen. Aber im ersten Stock war ein Fenster beleuchtet. Auf ein Glockenzeichen öffnete sich das Fenster und der Beamte rief herunter:„Ah,Sie sind es. Kommen sie nur herauf." Beim Betreten des Zimmers grüßte der Gefertigte mit „Guten Abend". Der Gendarm, der bereits Papier und Schreibmaschine für ein Protokoll gerichtet hatte, dankte vorschriftsmäßig mit „Heil Hitler". Er fragte jetzt, ob die Wallfahrt in Wien vorschriftsmäßig ge meldet worden sei und ob dort ein öffentlicher Auszug stattgefunden habe. Auf die bejahende Antwort er klärte er, in Mariazell sei eben der Einzug verboten gewesen und Mürzzuschlag sei zuständig. Dort hätte die Sache angemeldet werden müssen. Der Vorgeladene äußerte dazu, das sei bis jetzt nie vorgeschrieben ge wesen. Der Gendarm: Der Auszug sei auf jeden Fall verboten wegen der Verkehrsbehinderung. Auf den Einwand, der Einzug sei so ordnungsgemäß auf einer Straßenseite verlaufen, daß keinerlei Verkehrsbehinde rung entstanden sei, diese wäre vielmehr eingetreten, wenn die zahlreichen Wallfahrer in ungeordneten Gruppen zur Kirche gegangen wären, wurde geäußert: „Darin mögen Sie ja zum Teil recht haben. Aber der Auszug bleibt verboten." Darauf der Schreiber dieses Berichtes: „Das wird zwar Verwunderung bei den Wallfahrern hervorrufen. Aber wir müssen uns dieser Anordnung dennoch fügen." Mit einem „Grüß Gott" verließ der Verhörte den Amtsraum. Innerlich war er von Hochachtung und Dankbarkeit gegenüber dem Gendarmeriebeamten erfüllt, weil dieser absichtlidi kein Protokoll aufgenommen und ihn so vor dem Zugriff der Gestapo bewahrt hatte. Der glücklich dem Verhör entronnene suchte sein Zimmer im Hotel Feichtegger auf. Dort klopfte Herr Franz Reidinger mit seiner Frau Rosa, geborenen Fabsits, an. Diese war mit ihrem Mann nach mehreren schweren Operationen nach Mariazell gefahren. Das Ehepaar hatte aber kein Quartier gefunden und wandte 36
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