Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

gestaltimg der Innenräume, die meist kurzfristig be endet wurden wie z. B. 1416 die Errichtung eines Altares im Hauptchor"). Das mag auch einer der Gründe gewesen sein, weshalb der Bucharzt Hans Seitz 1399 die Dreifaltigkeitskapelle an der Südseite des Langhauses stiftete und der Bucharzt Christian Poltner^^) 1430 die Lukaskapelle an der Nordseite. Wäre noch eine Kapelle im Bereich der Chöre zu errichten gewesen, so hätte sich wohl keiner der Stifter diesen bevorzugten Platz entgehen lassen. Auf Grund dieser Indizien habe ich schon 1951 die Mitte des 14. Jahrhunderts als Bauzeit der nördlichen Chorkapelle angenommene^). Den Beweis für die Rich tigkeit meiner Annahme erbrachte die Innenrestaurie rung der Michaelerkirche in den Jahren 1972/74. An der Südwand der nördlichen Chorkapelle wurde das Brudistück einer Wandmalerei freigelegt, das stüistisch und thematisch dem zweiten Viertel des 14. Jahrhun derts, spätestens aber der Zeit von 1350—1360 an gehört^®). Dieses zeitlich bestimmbare Bildfragment gehört aber jener gotischen Chorkapelle an, die trotz ihrer Barockisierung das alte Mauerwerk fast noch zur Gänze erhalten hat, wie dies die gotischen Fenster bogen über den barocken Gewölben im Dachraum be zeugen^''). Zusammenfassung. Die Jahreszahl 1476 bezieht sich nicht auf die Errichtung der nördlichen Chorkapelle, sondern auf ein Verzeichnis der damals in der Michae lerkirche vorhandenen Altäre und Meßstiftungen. Ur kundliche Hinweise sowie die gotischen Fensterbogen im Dachraum und vor allem das freigelegte Fragment einer Wandmalerei haben den Beweis erbracht, daß diese Kapelle Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden sein muß. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war die nörd liche Chorkapelle bereits vollendet, als Stiborius Chrezzel 1350 die südliche stiftete. Anmerkangen: Bruno Thomas, Die Wiener Michaelerkirche des 13. Jahrhunderts. In: Mitt. Ver. Gesch. d. Stadt Wien, 1937, S. 3; dazu Anm. 11. B. Tho mas dürfte mit der Spätdatierung von 1476 den Anfang gemacht haben. Ginhart tadelt an ihm die „barock übersteigerte Spätdatierungsmode". Karl Ginhart, Die romanische Bildnerei in Wien.In: Gesch. d. bild. Kunst in Wien, 1. Bd., Wien 1944, S. 190. Alois Kieslinger, Der Bau von St. Michael in Wien und seine Gesdiichte, Son derdruck aus d. Jb. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt Wien, Bd. 10 (1952/53), Wien 1953, S. 61. Dehio-HandbuchWien, 6. Aufl. 1973, S. 32. Elga Lanc, Die neuauf gedeckten Wandmalereien der Michaelerkirche in Wien. In: österr. Zeitschrift f. Kunst u. Denkmalpflege, XXIX, 1975, S. 2. — 2) Anonym, Die k. k. Hof-StadtPfarr- und Collegiums-Kirdie St. Michael in Wien, 1861. Abk.: Anonym 1861. Der anonyme Verfasser ist nach Thomas (S. 18) — ohne nähere Angabe der Gründe — W.Reichel. Jedoch spricht vieles dafür, daß es sich um den Barnabiten Don Severin Wachtelhofer (1823—1865)handelt. Er war Dr. phil. et med., Verfasser der Series P. Barnabitarum... Dieses Manuskript um faßt die Personaldaten aller seit 1626 in Österreich wei lender Barnabiten. Wachtelhofer war mit dem Kollegs archiv als auch mit der Ordenstradition der Barnabi ten vertraut. Im Kirchenführer von 1861 wird überdies die Familie Wachtelhofer als Stifter des Kreuzwegs in der Michaelerkirche genannt (S. 52). — ®) Anonym 1861, Vorwort. — ^) Hormajn-s, Wien I., Urk. Buch, S. LXX—LXXI,zitiert v. Karl Lind, Die Midiaelerkirche zu Wien. In: Ber. u. Mitt. Altert. Ver. Wien, 1859, S. 9. Anm. 43. — ®) Kieslinger, S. 61. — ®) Kirchenund Pfarrprotokoll der Kays. u. Erz-Landes-Fürstlichen Residenzstadt Wienn, I. Teil, pag. 20 f. Abschrift der Originalurkunde p. 86 ebenda. Michaeler Kollegs archiv, Abk.: MiKA. — ') Lind, S. 4 u. Anm. 16. — ®) Kirchen- u. Pfarrprot. I., p. 21 u. 87. Abk.: Prot. — ®) Prot., p. 21. — ^®) Lind, S. 10. — Ebenda, S. 4. — ^®) Prot. II., p. 1320. Niclas hieß auch der Sohn Chrezzels (Prot. II-, p. 1318). —")Lind, S. 7. In der Weihe inschrift von 1416 heißt es „consummatum est opus aedificationis altaris et chori". Daraus schließt Ginhart, um 1416 wäre nur ein neuer Altar und die Chorbemalung entstanden. Der Hauptchor sei aber einheit lich zwischen 1321 und 1340 erbaut worden. Karl Ginhart, Buchbesprechung über A. Kieslinger, Der Bau V. St. Michael... In: Mittig. d. G. f. vgl. Kunstfor schung, S. 103. Dazu Kieslingers Baubefund:„Das ganze Bauwerk des Chors ist aus einem Guß" (Kieslinger, S. 38). — ^^) Lind, S. 6f. — ^®) Waldemar Posch, Die Michaelerkirche in Jahreszahlen. In: Michaeler-Pfarr brief, Nr. 7, 1. Jg., 1951. — ^®) E. Lanc, S. 18; dazu Anm.57 u. 58. Da Lanc das Baujahr 1476 für die nörd liche Chorkapelle mit dem freigelegten Fragment der Wandmalerei aus der Mitte des 14. Jhs. zeitlich nicht in Einklang bringen kann, so nimmt sie zur Hypothese der „Existenz eines früheren Kapellenraumes" Zuflucht. Diese Hypothese ist aber hinfällig, da 1476 als Baujahr nicht in Frage kommt. Das Fragment der Wandmalerei stellt dar: Kopf eines Mannes in einer Fensteröffnung. Darüber in einer erkerartig vorspringenden Dachkon struktion mit Konsolen eine Frau mit Kopftuch. Beide sind Zuschauer einer heute nicht mehr erkennbaren Hauptszene. — ^^) Kieslinger, Anhang, Bild 24. 54. Zur Gründung des Wiener Dominikanerklosters vor 750 Jahren P.Dr.Isnard W.Frank OP. Nach einem Bericht aus dem endenden 17. Jahr hundert soll es sich mit der Gründung des Klosters fol gendermaßen verhalten haben:„Auf dem Generalkapi tel zu Bologna (1221) sandte der heilige Dominikus den Bruder Paulus, welcher lange als Laie zu Bologna kanonisches Recht gelesen hatte, sowie Bruder Sadok, ausgezeichnet durch sein Tugendleben, zusammen mit zwei anderen Brüdern nach Ungarn, um dort als Glau bensboten zu wirken. Auf ihrem Weg kamen sie nach Raab. Da sie dort aber keine Niederlassung erhalten konnten, wandten sie sich zu Beginn des Jahres 1226 nach Wien... Herzog Leopold wies ihnen hier einen Platz zur Bleibe an." Der Bericht, der an dieser Stelle keiner eingehen den Prüfung unterzogen werden kann, ist ein Gemisch aus Dichtung und Wahrheit. Seine zuverlässigen Nadirichten sind darum von anderen Zeugnissen her abzu stützen. Wir fragen kurz nach der Veranlassung, der Herkunft der ersten Brüder und dem Gründungsjahr. Zum Gründungsjahr 1226 In mehreren handschriftlichen Aufzeichnungen aus dem Spätmittelalter wird einhellig davon gesprochen, daß Wien ungefähr ums fünfte Todesjahr des heiligen Dominikus gegründet worden sei. Dominikus starb am 6. August 1221. Man käme also auf das Jahr 1226. Diese Angabe fügt sich gut ein in die Reihung des Wiener Konventes in den ältesten Verzeichnissen deutscher Dominikanerniederlassungen. Die Reihe der ersten Klöster lautet: Friesach, Köln, Straßburg, Trier, Wien, Würzburg usw. Trier wurde 1224/26, Würzburg erst um 1227 gegründet. Herkunft der ersten Dominikaner Keinerlei Glaubwürdigkeit darf die Nachricht von den ungarischen Brüdern Paulus und Sadok als Grün der beanspruchen. Keine frühere Überlieferung weiß von den beiden, deren Leben in der späteren ungari schen Ordensgeschichtsschreibung legendär ausgestal tet wurde. Paulus von Ungarn wurde zwar von Domi nikus 1221 nach Ungarn gesandt und war zum erfolg reichen Gründer der ungarischen Ordensprovinz ge worden. Mit Wien jedoch hatte er nichts zu tun. Nach 1223 verliert sich übrigens jede Nachricht über ihn; wahrscheinlich war er um diese Zeit schon tot. Auch der selige Sadok, den die spätere Legende zu einem der Märtyrer von Sandomir (Polen) machte, war nicht in Wien. Erst ein eifriger Legendenschreiber des 17. Jahr hunderts, dem viel daran lag, den Ruhm der ungari34

RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=