Beiträge ZUT Wiener Diözesangeschidite BEILAQE DES WI ENER DIÖZESANBLATTES Nr.9 (September 1976) 114. Jahrgang Nr.5 Wien, am 1. September 1976 17.Jahrgang Inhalt: 33. Das Baujahr der nördlichen Chorkapelle von St. Michael in Wien. — 34. Zur Gründung des Wiener Dominikanerklosters vor 750 Jahren. — 35. Kanonikus Carl Rondonell (t 1955). Von den Agrariern zu den Proletariern. — 36. Eine abenteuerliche Wallfahrt des Maria-Zeller-Prozessionsvereins Simmering im Sommer 1938. — 37. Johann Thomas von Trattner (1717—1798). Gläubiger Fabriksgründer.— 38. Die Entstehung des St.-Georgs-Kollegs in Konstantinopel. — 39. Kanonikus Karl Dittrich als Pfarrer von Altottakring (1874—1889). S5. Das Baujahr der nördlichen Chor kapelle von St. Michael in Wien F.Dr.Waldemar Posch „Anläßlich der Restaurierung der Midiaelerkirdie stellte es sich erneut heraus, daß die Forschung bezüg lich der nördlidien gotischen Chorkapelle in bezug auf das Baujahr derselben im Dunkeln tappt. Einige Uberlegungen sowie urkundliche Hinweise und nicht zuletzt neue Entdeckungen haben midi veranlaßt, das Baujahr in die Mitte des 14. Jahrhunderts zu verlegen und nicht erst an das Ende des 15. Jahrhunderts, wie es bisher geschah. Da nach dem endgültigen Abschluß der Restaurie rungsarbeiten verschiedene Arbeiten über die Michaelerkirche entstehen werden, so möchte auch ich einen kleinen Beitrag dazu leisten." (Begleitbrief vom 2. März 1976) Die Publikationen des 20. Jahrhunderts über die Michaeierkirche geben fast allgemein 1476 als Baujahr der nördlichen Apsiskapelle (Erasmus-und-Georg-, Krippen- oder Verdenbergkapelle) an^). Diese Datie rung beruht auf einer falschen Interpretation einer An gabe im Kirchenführer von 1861^). Dort ist zu lesen: „Diese Kapelle mit dem Altar des hl. Erasmus und Georg war bereits im Jahre 1476 vorhanden." Der anonyme Verfasser nennt als seine Quellen die Be schreibung der St. Michaelskirche von Dr. Karl Lind und die Aufschreibungen der Barnabitenkongregation^). Bei Lind heißt aber diese Stelle unter Berufung auf Hormayr"'): „Daß die Anzahl der Altäre in der Kir che um das Ende des 15. Jahrhunderts bereits sehr be deutend war, beweist ein Verzeichnis der Altäre und Meßstiftungen in dieser Kirche vom Jahre 1476, worin folgende Altäre genannt werden: der Altar auf dem Lettner (Lettner, lectorium), der Altar Corporis Christi, des heil Sigismund, des h. Nicolaus, h. Andreas, h. Kreuzes, der heil. Dreyfaltigkeit, hh. Erasmus und Georg, der h. Maria, der Zwölfbothen, der heil. Dreikönige, h. Dorothea und Barbara, des heil. Ulrich und der s. g. Pfeifferaltar (fistulatorum)." Das Verzeichnis zählt die 14 Altäre auf, die 1476 bereits vorhanden waren, ohne einen einzelnen besonders hervorzuheben oder gar das Baujahr seines Standortes anzugeben. Der Altar des hl. Erasmus und Georg in der nördlichen Chorkapelle wurde im Kirchenführer von 1861 nur des wegen erwähnt, weil er einst auf dem Platz des späte ren Krippenaltars stand. Die Chorkapelle selbst wurde im Auftrag des Grafen J. B. Verdenberg 1627/29 unter weitgehender Beibehaltung des gotischen Baubestandes barockisiert®). Über den Bau der nördlichen Chorkapelle liegt nahezu völliges Dunkel. Doch können gewisse Uberlegungen auf die richtige Spur führen. Es fällt auf, daß im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts — nicht zuletzt wegen des Kirchenbaus — verschiedene Urkunden zu gunsten der Pfarre St. Michael ausgestellt werden. Am Dreikönigstag 1341 schenkte Herzog Albrecht II. (1330 bis 1358) der Michaelerkirche ein an den Pfarrhof an stoßendes Haus, das er von Conrad dem Peyer, Käm merer seines Bruders Herzog Otto, um 60 Pfund Wiener Pfennig gekauft hatte®). Unter dem 2. März 1343 gab Herzog Albrecht in Gedenken an seinen verstorbenen Bruder Otto 40 Pfund Wiener Pfennig, „die man ze Pawe an die selben chirchen legen soll"''). Am Mitt woch vor dem Palmsonntag des Jahres 1343 bestimmte Albrecht, daß die Wagenmaut aus ihren Einnahmen dem Pfarrer jährlich 8 Pfund,für den Bau der Michae lerkirche aber 2 Pfund Wiener Pfennig zu überweisen habe. Diese Zahlung wurde bis 1433 gewährt^). Inter essant dazu ist die Bemerkung des Protokollschreibers von 1775, aus all diesen Urkunden gehe hervor, „daß Herzog Albrecht zwar etwas beygetragen habe, die Kirche aber durch die Beysteuer verschiedener Gutthäter vergrößert worden sei"®). Vieles spricht dafür, daß während der Regierungszeit Albrechts II. die romanische nördliche Apside zur gotischen Chor kapelle erweitert wurde. Noch 1547 stand die Mic±Laelerkirche frei am Platz'^®). Der Pfarrhof selbst lag hinter der Kirdie. Der Zugang vom Pfarrhof zur Kirche erfolgte — genauso wie heute — von der Nordseite. Die vermauerte roma nische Tür im linken Querschiff sowie das gotische Portal links in der nördlichen Chorkapelle befinden sich nicht von ungefähr an dieser Stelle. Diese Portale stellten die kürzeste Verbindung zum Pfarrhof her. Als am 25. August 1350 die Kirche von einer Feuersbrunst heimgesucht wurde, erließ der Passau ische Offizial Ulrich von Lisereck einen Aufruf zur Hilfeleistung. Das Ergebnis der Sammlung war derart groß, daß nicht nur die Brandschäden behoben, son dern auch ein neuer Fronleichnamsaltar errichtet wer den konnte"). Wäre damals die nördliche Chorkapelle noch nicht ausgebaut gewesen, so hätte man das über schüssige Geld bestimmt für den Weiterbau derselben und nicht für die Errichtung eines zusätzlichen Altars verwendet. Allerdings gab es noch eine „Baulücke" — die süd liche Nebenapside war noch nicht erweitert worden. Es war aber nicht nötig, Sammelgelder für deren Aus bau zu verwenden, da hier ein überreiches Stiftungs kapital zur Verfügung stand. Als Dank für den Frei spruch vom Verdacht der Giftmischerei hatte 1350 der herzogliche Küchenmeister Stiborius Chrezzel 300 Pfund Wiener Pfennig für die Erbauung einer Kapelle zu Ehren der Heiligen Niclas, Stephan und Katharina, sowie zur Errichtung eines Erbbegräbnisses für seine Familie gestiftet^^). Mit diesem Geld, das weit alle Zuwendungen Albrecht II. für St. Michael über traf, wurde die südliche Chorkapelle erbaut. Wir dürfen nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß mit der Stiftung der Nikolauskapelle der Ausbau der Chorpartien im Sinne der Gotik im wesentlichen seinen Abschluß fand — unbeschadet weiterer Aus33
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