Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

vor ca. 2 Jahren erfolgte Errichtung einer Zündholz fabrik in dem an die Kirche anstoßenden Hause Nr. 163 wurde nicht nur der Kirche, sondern auch der ganzen Nadibarsdiaft auf weit und breit eine wahre Kalamität bereitet, da der aus der Massaküche dieser Fabrik ent steigende Schwefel und Fosfordampf die atmosphäri sche Luft verpesteten und höchst gesundheitsschädlich wirkten, das Gepolter der die Zündhölzchen sortirenden eisernen Maschinen noch überdieß ein donnerähn liches Getöse verursachten, welches in der Sakristei, Kirche und selbst auf der Kanzel gehört, für Pi-edigt und Gottesdienst höchst störend war. Als nun der Be sitzer dieser Fabrik heuer auch noch um die Bewilli gung zur Erweiterung dieser Fabrik eingeschritten war, so wurde von Seite des Pfarrers (Paletz) und der ganzen Nachbarschaft bei der k.k. Bezirkshauptmann schaft und Statthalterei als auch (von Seiten des Kir chenvorstandes) bei dem hochwürdigsten Ordinariate eine Vorstellung wegen Nichtbewilligung eingereidit und, Deo gratias! günstig erledigt. Kaum ein Monat später wurde sogar die schon bestehende Fabrik aus finanziellen Gründen ganz geschlossen und Ottakring von dieser Kalamität ganz befreit. — -°) Ebda. — ^^) Ebda. — ^-) Ebda. — -") Ebda. — Sh. dazu eventuell die Jahresberichte. — ^) Gottfried^ Scholz. Geschichte der Pfarre Hütteldorf, S. 113 ff. — '~') Ebda. S. 113 ff. — 28) WDBl. 1887, S. 108. ~ '") Ebda. 1900, S. 60. — 28) Ebda. 1881, S. 228. — =9) Ebda. 1889, S. 168. — "®) Personalstand d. Erzd. Wien, Scholz a. a. O., S. 115. — 31) Amtliches Wiener Straßen-Verzeidinis, Wien 1953, S. 171. 27. Vom liberalen zum christlichsozialen Wien (Chronik-Bericht) Anfangs September 1880 kündigte mir Prälat Mar schall an, daß ich an die Votivkirche in Wien versetzt werde. Am 14. d. M.zog idi am Maximilianplatz Nr. 8 (heute Rooseveltplatz 8) ein. In der Seelsorge war wohl nicht viel zu tun, aber ich bekam eine Schule in Ottakring, Abelegasse, und wurde ins Vereinsleben gezogen. Ich fing an, mit der wichtigsten Zeitfrage, dem Sozialismus, midi zu beschäftigen, und hielt im Lauf von zwei Jahren nachmittags in der Votivkirche „socialistische Predigten", die auch im Druck erschie nen sind. Die Predigten waren sehr gut besucht. Unter den Besuchern war auch ein Greißler, der öfter mit Dr. Psenner zusammenkam und ihm von meinen Pre digten erzählte. Derselbe suchte mich auf und bewog mich, an der Gründung des „Christlich-socialen Ver eines" mitzuwirken, dessen Statuten 5/1 87 von der Statthalterei genehmigt wurden. Dazumal beherrschte der Liberalismus noch das ganze politische Leben. Katholische Vereine waren ohne Einfluß, zum Theil waren sie eingegangen. Aber der Liberalismus hatte einen wunden Punkt: das war der Jude. Der Jude wurde durch den Liberalismus politisdi und wirtsdiaftlidi übermächtig, die christli chen Geschäftsleute wurden zurückgedrängt und muß ten vor den einwandernden Juden in die entlegenen Stadttheile ziehen, oder gingen ganz zugrunde. So entstand der Antisemitismus, der sidi zuerst im Reformverein organisierte und riesigen Zulauf hatte. Die Bewegung kam in Folge persönlicher Zwistigkeiten der Führer bald ins Stocken. Da kam Dr. Psenner mit dem Vorschlag, eine neue Organisation des christ lichen Volkes zu schaffen. Kaum ein Dutzend einfacher Personen, von denen die meisten nie in die Öffentlich keit traten, kamen Reichsrathstraße 3(Kath. Ressource) zusammen, um die Statuten des neuen Vereines zu berathen.(Ende 1886) als der Verein einen Namen erhal ten sollte und der Name „Chrlstlich-socialer Verein" beantragt wurde, erregte dieser Antrag Bedenken, weil man fürchtete, das Wort „Christlich" könnte unsere Bestrebungen beim Volk discreditieren. So traurig stand es noch dazumal mit dem Christenthum. Der Name des Vereines war zugleich sein Programm: Die Lösung der socialen Frage nach christlichen Grundsät zen. Als der Verein constituiert war (Psenner Präsi dent, ich 1. Vicepräsident etc.) begann er mit Ver sammlungen in den Vororten. Ich wurde sozusagen gezwungen, als Redner aufzutreten. Früher hatte ich keine Ahnung, daß ich ein Redner sein könnte. Jetzt in der Noth mußte ich es sein, denn wir hatten keine berühmten Redner bei uns. Unsere Redner waren wir und Männer aus dem Volke, Schuster Tuma, Schlosser Tisdiler (später Gemeinderath), Drechsler Ramharter, Einspänner Seif. Die späteren Führer des christlichen Volkes ließen sich bei uns nicht blicken. Wir gründe ten eine Gewerbesection nach der andern, zuerst in Ottakring beim „Ludisen" mit Wersan als Obmann und hielten fleißig Versammlungen. Die Rothen halfen durch versuchte Sprengungen mit, uns berühmt zu machen. Wir wurden eine Macht, mit der man rechnen mußte. Es kam das 50jährige Priesterjubiläum des Hl. Vaters Leo XIII. Die Section beschloß eine Resolution, worin der Bürgermeister von Wien aufgefordert wurde, dem Hl. Vater bei dieser Gelegenheit die Huldigung der Stadt Wien darzubringen. Psenner sagte es Dr. Geßmann, der mich zu Psenner rufen ließ, wo ich mit Geßmann zum ersten Male zusammenkam. Derselbe hatte allerhand Zweifel über die Opportunität dieser Sache und meinte, wir sollten alles ihm und seinen Parteigenossen im Gemeinderathe überlassen. Ich aber entgegnete, daß die Unsrigen von der Action nicht zu rücktreten wollten, sondern fest entschlossen seien, den Stein ins Rollen zu bringen. Darauf hin stellte der kleine antisemitische Club den Antrag in unserem Sinne im Gemeinderathe und siehe, die Liberalen ver faßten am selben Tage einen noch schwungvoller ab gefaßten Antrag und so war der Wiener Gemeinderath einig in der Huldigung des Papstes. Bürgermeister Uhl bekam einen päpstlichen Orden dafür. Darauf wurde versucht, alles was christlich war, zu vereinigen, dazu wurde wieder das Papstjubiläum benützt. Ein großes Fest mit Musik, Reden und Banquet wurde arrangiert — ich wurde zum Obmann des Festcomites bestellt, die Arbeiten machte aber Dr. Geß mann — zu dem die Spitzen der christlichen Gesell schaft in Wien eingeladen wurden. Die offizielle Welt entschuldigte sich, aber Cardinal Gangibauer, Nuntius etc., die katholischen Adeligen, Advocaten, Studenten, Handwerker, Arbeiter, sie alle kamen in die Harmo niesäle, Wien I, Helfersdorferstraße (dem Rothschild gehörig, seit jener Zeit geschlossen). Dort hielten die beiden Prinzen Alfred und Alois Liechtenstein, Dok tor Lueger etc. begeisterte Reden. Es war ein herr liches Fest, der Geburtstag der vereinigten Christen. Für dieses Fest erhielt ich das Ehrenkreuz Pro ecclesia et pontifice. Man nannte sich Christ in negativer Beziehung, insoferne man kein Jude war. Unter dem Begriff „Ver einigter Christ" lief gar mancher mit, der vom Chri stenthum wenig an sich hatte, deswegen wurde das Wort „Vereinigter Christ" besonders in geistlichen Kreisen mit einer gewissen Verachtung ausgesprochen. Aber es war nicht mehr liberal. Christ bedeutete soviel wie Antisemit. Im Frühjahr 1889 wurde im 3. Wahlkörper des IX. Bezirkes ein Gemeinderathsmandat frei. Meine Freunde stellten mich als Candidaten auf, obwohl ich auf einen Erfolg nicht rechnen konnte. Die Anti semiten sahen es nicht gerne, daß ein Geistlicher zu ihnen kommen und sie in die Gefahr brächte, als Clericale verschrien zu werden. Nichts desto weniger hieß es: Candidieren. Die Kosten der Wahl wurden durch Sammlungen aufgebracht. Ich mußte fleißig Reden halten; das Publicum wurde aufgeweckt, die Säle wur den zu klein, alles lief uns zu; die Zeitungen schimpf ten, was sie konnten, über mich, und doch wurde ich gewählt. Ich trat dem Bürgerclub bei. Es ging unter Uhl und später unter Dr. Prix oft sehr scharf her. Als es sich um die Schaffung von „Großwien" handelte, mußte ich fest mithalten. Meine längste Rede 30

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