Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Schilling war zunächst in Rom und dann in Nea pel als Prediger tätig, bis ihn der Ruf nach Wien er reichte, woselbst er durch 37 Jahre Prediger bei St. Michael war^). Sein Aufenthalt in Rom war für Wien nicht ohne kunstgeschichtlidie Bedeutung. Rom, die Wiege des Barocks, nahm Schilling gefangen. Er war die trei bende Kraft bei der Barockisierung der Michaelerkirche. Durch seine Tatkraft wurde die in die gotische Dreifaltigkeitskapelle eingebaute Vesperbildkapelle zu einem Kabinettstück frühbarocker Kunst in Wien''). Um Florentius Schilling als Prediger richtig zu würdigen, darf das geistige Erbe nicht vergessen wer den, das er aus dem Elsaß mitbrachte. „Da ist noch immer die gebietende Lust am Wort, die bei Gottfried aus hellen Reimen läutete, bei Tauler göttliche Ge heimnisse kostete, bei Geiler gläubige Seelen bestrickte und bei Murner wie ein streitbarer Stahl erglühte"^"). Für den Zeitraum 1636—1667 sind — soweit mir bekannt ist — nur 23 Predigten erhalten geblieben. Sie erschienen 1681 unter dem Titel „Todten-Gerüst". Sie sind eine Zusammenfassung jener Leichenreden, die Florentius Schilling einst unter zweierlei Titeln in Druck gegeben hatte: „Amara dulcis, oder je länger je lieber" und „Todten-Gerüst"^^). Es sind darin 17 Leichenreden für Verstorbene aus dem Hochadel (Ver denberg, Trautson etz.) enthalten, aber auch aus dem Bürgertum. Sie wurden zum Großteil in der Michaelergruft^'^), dann in St. Dorothea^''), aber auch in St. Stephan (Johann Wilhelm Mannagetta, Leibarzt dreier Kaiser)^"'), in der Schottenkirche^"), aber auch auf dem ..Neuen Gotts-Acker in Wienn"^^) beigesetzt. Ferner zwei Landsmannschaftpredigten für die Fran ken und Vorderösterreicher^"^) sowie vier Predigten zu Ehren des hl. Leopold, gehalten 1653 zu Klosterneuburg^®); des hl. Sebastian, 1654 bei den Schotten''"); des hl. Benedikt, 1657 bei unserer Frauen Monseraf^"), sowie 1654 aus Anlaß des Kirchweihfestes in Heiligen kreuz'"). Den Fundus seiner Predigten bildeten die antike Mythologie, die Gestalten des Alten und Neuen Testa ments, die Ereignisse der Vergangenheit und Gegen wart, Sprichwörter, Reales und Fiktives. Die Rhetorik tritt in den Bund von Poesie und MalereF-^). „Das Spiel mit Verkleidung, Namenfreude und Lautmale rei"'"^") war so wie an Fischart und Moscherosch auch das Alamanische an Schilling. Maria Caecilia v. Ver denberg ist eine „betrübte Agar", Maximiiiana v. Ver denberg eine „schmertzhaffte Rachel", Catharina Ulrich eine barmhertzige Dorcas" (Ap. 9. 36) und Dorothea Heinrichsohn eine „österreichische Ruth"''^). Dazu tritt die Blumensymbolik'^''). Maria Susanne V. Verdenberg ist eine „abgewehete Hiacinthen-Blum", Maria Susanna Febrenia v. Weissenwolff eine „gefällte Narcisse". Antike Helden scheinen auf: der n.ö. Regie rungs-Kanzler Johann Bapt. Suttinger zum Thurnhof als ein „Aristides Austriacus" und Generalfeldmarschall Adrian Graf v. Enkenvoirt als „Scipio Emeritus". Die Einbildungskraft erfährt eine gewaltige Steige rung bei der Schilderung des Fegefeuers'-^). Die Grau samkeit seiner Zeit feiert wahre Triumphe. „In die sem Feuer seynd Schwefel, Bech. Ruthen. Prügel und Radbrechen, hencken, Spiesen, sieden, braten und alle einbildliche Peyn begriffen." Nach Aufzählung dieses Folterinventars bringt er hiezu eine Erläuterung aus seinem eigenem Erlebnisbereich. In Molsheim hatte ein Student seinen Vetter, den Prior der dortigen Kartause. meuchlings ermordet. Schilling wohnte 1617 der Hinrichtung des Übeltäters bei. Der Student wurde „auf einem Laden zur Stadt hinaus zum Gericht geschleifft, unterwegs mit glüenden Zangen dreymal gezwicht, bey dem Galgen ihm die rechte Hand abge hackt, nachmalen von unten gerädert, und noch im drev-und zwantzigsten Streich schreyend gehört wor den". Nach Aufzählung ähnlicher Marteraualen macht er zusammenfassend über das Fegefeuer die Aussage: „Nehmt zusammen was Schelmen. Dieb. Rauber. Mör der, Zauberer, Hexen und alle Malefitzen, gelitten: alles was Laurentius. Bartholomäus, Sebastian, Catha rina, Lucia, Agatha und alle Märtyrer ausgestanden,so ist alles nichts gegen der Peyn des Feuers." Für die Aclelsgeschichte und die des Dreißigjähri gen Krieges ist das Predigtwerk Schillings eine her vorragende historische Quelle. Abgesehen davon, daß er selbst vielfach Augen- und Ohrenzeuge des Ge schehens war, sind seine in die Predigten eingestreu ten Notizen das Ergebnis sorgfältiger Prüfung. Auf schlußreich für seine Arbeitsweise mag gelten, was er 1654 anläßlich des Todes der Maria Gräfin v. Verden berg niederschrieb. „Als mir diese Leichenpredigt zu halten vorgestellt und angetragen, hab ich nit allein bey Geistlichen, sondern auch Weltlichen... glaub würdigen Bericht eingenommen"'*'"). Als er 1663 die Leichenrede für Johann Franz Trautson halten mußte, ließ er sich von einem angesehenen Theologen aus dem Jesuitenorden, der durch 15 Jahre hindurch Beichtvater des Verstorbenen gewesen war, einen schriftlichen Be richt über den Toten geben'-''^). So berichtet u. a. Schilling'-"'), Kaiser Ferdinand II. habe seinem Sohn (Ferdinand III.) Joh. Franz Traut son als würdigen „Condiscipel" oder „Schul-Geselln" beigegeben. Sie studierten gemeinsam Philosophie, Mathematik und Politik. Diese Vertrauensstellung war die Grundlage des mächtigen Einflusses, den Trautson unter Kaiser Ferdinand III. und Leopold I. ausübte. Aus Treue zum Kaiserhaus lehnte Trautson das An erbieten der Schweden ab, die Herrschaften Falken stein, Poysbrunn und Laa brandschatzen zu lassen^"). Einblick in das Kriegswesen des 17. Jhs. gewährt die Leichenrede, die Schilling 1664 für den General feldmarschall Adrian Reichsgraf von Enkenvoirt (1603 bis 1663) hielt-''"). Dieser entstammte einem berühmten niederländischen Geschlecht. Wilhelm Kardinal Enken voirt war der vertrauteste Ratgeber Papst Hadrians VI. Als Bischof von Utrecht hat er Karl V. zum Kaiser gesalbt. Der Vater Adrians, Wilhelm v. Enkenvoirt, hatte für das Haus Habsburg auf eigene Kosten zwei Kompanien Kürassiere aufgestellt, Adrian jedoch hat aus eigenen Mitteln ein Regiment von 3000 Mann ge worben. In der Schlacht bei Lützen (1632) wurde er schwer verwundet unter den Toten hervorgezogen. Zweimal geriet er in Gefangenschaft: drei Jahre, drei Monate und drei Wochen verblieb er bei den Franzo sen, anderthalb Jahre bei den Schweden. Seine Kriegs taten werden aufgezählt: Den Feinden hatte er die Klause und den Paß Pregnitz abgenommen und die Stadt Memmingen eingenommen, zu Bernburg ent setzte er die von den Schweden eingeschlossene kai serliche Armee, ebenso befreite er Freiburg i. Breisgau. In diplomatischer Mission reiste er zum Kardinal Infant in den Niederlanden, zu Karl von Lothringen, fer ner nach Kurbayern, Kursachsen und Kurköln. Seinen letzten Ruhm erwarb er in Italien. Er entsetzte die Festung Alexandria und hielt sie gegen die Franzosen bis es zwischen Spanien und Frankreich zum Frieden kam. Adrian v. Enkenvoirt starb am 3. Juni 1663 zu Ledetsch in Böhmen. Sein Leichnam wurde 1664 nach Wien überführt und — da eine Verdenbergerin seine Frau war — in der Gruft derselben zu St. Michael bei gesetzt. In der Gruft seiner Ahnen zu Utrecht wollte er nicht bestattet werden, weil die Stadt vom katholi schen Glauben abgefallen war"'). DasElsaß,die Heimat Schillings, wurde in der letzten Phase des 30jährigen Krieges (1635—1648) durch den Kriegseintritt Frankreichs unter Kardinal Richelieu überaus hart getroffen. „Wer das Unheil des ver dammten Kriegs... wolte beschreiben, müßte die Dinte mit lauter Augen-Wasser... ja mit Christlichem Blut, dessen ein ganzes Meer vergossen worden, billich anmachen, sonst könnte er mit lebendigen Farben solches nicht entwerfen"^"). „O Breysach... die Bur ger verjagt, die Bauren erschlagen, die Edelleit ver trieben, die Handwercker erwürgt, die Stadt zerrissen, die Schlösser zersprengt, die Dörfer zerstört... schier nit mehr Elsaß, sondern Bettelsaß: die Ertzgruben ver wandelt in Mördergruben, die Weingärten in Irrgärten, die Felder in Wüsten"^^). Viele, die dem Verderben entfliehen konnten, fanden damals in Niederösterreich und besonders in Wien eine Zuflucht und brachten es 26

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