von hohen Balken herab verlegt werden. Zeitweise schlug der Wind heiße Luft in die Augen der drei sich bemühenden Helfer durch die noch offenen Jalousien, so daß sie im zunehmenden. Abenddunkel fast nichts mehr zu sehen vermochten. Beschmutzt und ermattet von den ungewohnten Anstrengungen mußten sie schließlich die Arbeit beenden, denn die vorrätigen Ziegel im Dach waren in großem Umkreis aufgebraucht. Beim Abstieg war noch zuunterst ein Fenster zu ver decken, dann kehrte der Kurat in den Luftschutzkeller zurück mit dem Gedanken, ob nicht alle Mühe vergeb lich war und das viele Turmholz während der Nacht doch Feuer fangen und verbrennen würde. Nach Rei nigung und Abendessen löschte bleierner Schlaf auf dem dürftigen Notlager alle weiteren Überlegungen aus. Auch ein neuerlicher Feueralarm für den Haupt turm wurde leider überschlafen und erst beim Tages anbruch erfahren. Am Morgen des Montag, den 9. April 1945 standen die Häuser in der Rotenturmstraße vollkommen aus gebrannt. Der Stephansdom war diesesmal noch von den Flammen größtenteils verschont geblieben. Anders aber am folgenden Mittwoch, den 11. April, als die Häuser an der Westseite des Stephansplatzes von unten her ausbrannten. Das Renovierungsgerüst auf dem nördlichen Halblurm geriet wieder dui'ch Funkenfiug in Brand und die abstürzenden, brennenden Balken entzündeten mangels ausreidiender Löschmöglichkeit das hölzerne Riesenziegeldach. Von den vier Türmen verloren drei die Glockenstühle, und von ihnen stürzten geschmolzen die Glocken ab oder zerbarsten. Eigenartigerweise jedoch blieb der nördliche Hei denturm mit seinem hölzernen Innengerüst und den darin hängenden Glocken vom Feuer verschont. Zwar wäre er noch eine Woche später beinahe ein Raub der Flammen geworden. Seit dem großen Dachbrand glomm in einem Balkenwinkel der Läutestube ein Glutnest weiter. Rauch drang aus den Spalten und alarmierte am Dienstag, dem 17. April, die auf dem Stephansplatz vorbeigehenden Leute. Sakristeidirektor Kodeischka und die Schwestemoberin Egger eilten in den Turm und entfernten nach harter Mühe den Brand herd, indem sie die glosenden Balkenenden abhieben. Nach dem raschen Fortgang der Aufräumungs arbeiten im Dom entstand die Hoffnung, daß schon zu Weihnachten 1945 wenigstens im rückwärtigen Teil, dem Langhaus, der Gottesdienst würde abgehalten werden können. Sie erfüllte sich nicht. Doch ergab sich bei genauer Prüfung die Möglichkeit, das Geläute der fünf Glocken im nördlichen Heidenturm wieder instandzusetzen, so daß die Weihnacht wenigstens mit festlichen Glockenklängen einbegleitet würde. Durch das Feuer der Riesenorgel war ein großes Stück der elektrischen Zuleitung verbrannt. Sie mußte erst er setzt werden. Auch sonst gab es infolge der langen und starken Hitzeeinwirkung verschiedene Störungen an der Läuteanlage. Noch am Vormittag des Heiligen Abends wurde an der Behebung der Schäden gearbei tet. Am Nachmittag jedoch, zur Zeit der Kardinals vesper in der Kirche Am Hof, erklang der weite Raum des Stephansplatzes von feierlichem Geläute. Mit frohem Herzen vernahmen die Menschen diese erste Botschaft von dem Wiederaufbau des Gebäudes zu St. Stephan. Wann aber werden sie zum ereten Gottes dienst ihre rufende Stimme erheben, die vom Brand verschonten Glocken? Gebe Gott, daß es bald sein könne. 20. Jänner 1946. Nachtrag im November 1975: Der so alte Glocken stuhl mit den fünf Glocken wird noch immer, wenn auch seltener, benützt, obwohl seit Allerheiligen 1960 elf neue Glocken im südlichen Hochturm das Geläute übernahmen. Trotzdem aber erweisen sich die Heidenturmglocken als gut dienlich, weil sie, vom Innern des Domes weiter entfernt, Ansprachen an einem der vor deren Altäre weniger übertönen. Domkurat (Ehrenkanonikus) Josef Göbel. 12. Das Wiener Priesterseminar Seine Entstehung im Jahr 1758 und sein Wandel durch die Jahrhunderte*) Leopold Mathias Vorliegende Arbeit über das Wiener Priestersemi nar gibt einen Abriß von der 220jährigen Geschichte des Wiener Alumnates. Die breite Themenstellung der Arbeit machte das Setzen eines Schwerpunktes erfor derlich: die Arbeit will besonders die mehr als 20 Re genspersönlichkeiten darstellen und von ihnen her die Ei*ziehungsprinzipien im Priesterseminar verständlich machen. Für den ersten Abschnitt der Alumnatsgeschichte (1758—1783) spielte Kardinal Migazzi die wichtigste Rolle. Er war es, der schon im zweiten Jahr seines Bischofsamtes in Wien im Jahr 1758 aus kirchenpolitlschen Motiven das Wiener Priesterseminar gegründet hatte. Er wollte den Einfluß der Jesuiten schmälern und ihnen das Anrecht auf die Priesterausbildung in ihren Anstalten nehmen. Deshalb beherbergte er seine sieben Alumnen bei sich auf dem Stephansplatz im f. e. Churhaus. Mit der Seminarleitung wurden junge, vom Jansenismus inspirierte Priester betraut. Bald aber vollzog Migazzi eine radikale Wendung vom Jan senismus weg hin zu den Jesuiten; nun aber hatte der Kardinal gegen sein Seminar und dessen Vorstehung zu kämpfen. Da die Vorsteher den Standpunktwechsel ihr*es Erzbischofs nicht nachvollzogen, wurden sie ge schickt langsam von Migazzi ausgewechselt (1773 bis 1777). Kaiser Joseph II. löste für sieben Jahre (1783 bis 1790) das Wiener Seminar ganz auf und schuf zentrale Generalscminarien, auf die der Hof mehr Einfluß neh men konnte. Doch das Experiment hielt sich nicht lange: rückläufige Nachwuchszahlen, schlechte Semi narleiter und der Widerstand der Bischöfe und eines Großteiles des gläubigen Volkes bereiteten dem Unter nehmen kurz nach dem Tode Josephs II. ein rasches Ende. Von den Jahren 1790 bis 1863 ist die Wiener Semi nargeschichte vom Aufblühen des katholischen Vereins lebens in der nachjosephinischen Ära Franz' II. ge prägt. Die Vergrößerung der Wiener Erzdiözese machte ein größeres Alumnat und mehr Priesternachwuchs er forderlich. Die Regentes dieser Zeit waren größtenteils unbe deutende Personen, deshalb wissen wir von ihnen auch wenig. Erzbischof Hohenwart (1803 bis 1820) scheint es sich zur Gewohnheit gemacht zu haben, absichtlich schwächere Persönlichkeiten zu Alumnatsleitern ge macht zu haben, um von ihnen keine Schwierigkeiten zu bekommen. Mit Regens Ernest Müller (1863 bis 1885) nahm die Alumnatsgeschichte eine entscheidende Wende. Er, der Systematiker, reflektierte sehr viel und schrieb all das nieder. Durch ihn wurde das Amt des Regens erst zu dem, was es heute ist. Kardinal Rauscher sah in Pro fessor Müller einen Vertrauten und überließ ihm sehr viel Eigenverantwortung. Interessant ist der Stand punkt Müllers zur Unfehlbarkeitsfrage des ersten Vatikanums. Regens Gustav Müller (1885 bis 1922) prägte auf seine Weise 37 Jahre hindurch die Priesterausbildung in der Wiener Erzdiözese. Er übernahm neben der gro ßen Aufgabe eines Regens noch viele andere seelsorg liche Arbeiten (als Religionsprofessor, regelmäßige Vor träge für Vereine, Exei-zitien usw.). Und doch bewahrte er das Alumnat vor Unruhen, die durch den Liberalis mus und Modernismus entstanden. Er führte das Haus sicher durch die Wirren des Ersten Weltkrieges und *) Dissertation an der Kathol.-theol. Fakultät, Wien 1975. 437 Seiten. — Dazu: Franz Loidl. Regesten des alten fürsterzbischöflichen Alumnates auf dem Ste phansplatz. Beiträge zur Wiener Diözesangeschichte. 1960, I, 2/15—16; I, 3/19—24: I, 4.'30—32: 1981. II, VS—8; II, 2/11—12; II, 3/16; II, 4/19—24. 15
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