notwendig und gewünscht war, die Fülle des zur Ver fügung stehenden Materials historisch zu sichten, zu erfassen und aufzuarbeiten. Erst von diesem Ansatz aus war es möglich, den enormen Wandlungsprozeß dieser Jahrzehnte, dem auch die kirchliche Verwaltung unter worfen war und ist, in seiner historischen EntwicIdung, in seiner Bindung an das Kirchenrecht und in seinen Wechselbeziehungen zum Wachstum und Aufbau des großstädtischen Lebens zu erfassen und darzustellen. Diese einem Dissertanten fast unzumutbare Auf gabe konnte infolge der Aktenlage nur jemandem über tragen werden, der das Vertrauen des ErbischofsKoadjutors besaß und den auch sämtliche kirchliche Ämter in ihre zum Teil noch unregistrierten bzw. unarchivierten Dokumente Einsicht nehmen ließen, der aber auch aus unmittelbarer Nähe die Arbeitsweisen des kirchlichen Bauwesens beobachten und festhalten konnte. Dazu brauchte es immerhin genügend Idealis mus und Einsatzbereitschaft, denn es waren 58 Archive zu benützen, 29 mündliche und 27 schriftliche Inter views vorzunehmen und sämtliche Forschungsergeb nisse mit 463 Titeln, die die Bibliographie ausweist, zu konfrontieren. So war dem Verfasser nicht nur Arbeits eifer, Fleiß und Organisationstalent abgefordert, son dern er mußte auch aus den Stößen der „noch im Leben befindlichen" Akte und Bidefe, die noch nicht mit dem Prozeß der Archivierung Ordnung und Wertung erfahren hatten, das heutige Bild der kirchlichen Ver waltung in der Perspektive auf den Kirchenbau hin herauszeichnen und alle allgemeinen Vorgänge jeweils im Detail nachweisen. Aus dieser Themenstellung ergab sich für den Ver fasser eine Zweiteilung seiner (nunmehr auf 1129 Sei ten angewachsenen) Arbeit. In einem allgemeinen Teil wurde die historische Linie der Kirchenbaubewegung von 1750, dem Jahr des Beginns der Theresianischen Kirchenreformen, bis zum Zweiten Weltkrieg gezogen. In Parallelsichten wurden die städtebauliche Entwick lung Wiens und die kirchlidie Bautätigkeit von 1945 bis zur Gegenwart untersucht, wobei die veränderte Stellung der Kirche in der heutigen Welt sehr empirisch zum Ausdruck kommt. Schließlich war es nötig, den Ablauf eines kirchlichen Bauvorhabens von der Pla nung bis zur Weihe des Objektes mit allen administra tiven, künstlerischen und finanziellen Problemen auf zuzeigen. Im Resümee dieses Teiles lassen sich vier konstruktive Ideen fassen, aus denen der Kirchenbau von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart seine Impulse bezog. Das waren: — die Notkirdie, — die Gründung des allgemeinen Kirchenbauvereines, — die Gründung des Instituts für Kirchliche Sozial forschung, — die Gründung der kirchlichen Aktiengesellschaft zur Förderung von wirtschaftlichen Unterneh mungen und Bauvorhaben, die die Voraussetzung für die Auflage der kirchlichen Aufbauanleihe schuf. Im zweiten Teil der Arbeit behandelt der Verfas ser, geordnet nach Bezirken, den Neubau von 69 Pfarrkirdien in Wien. Er hatte dazu in lexikalischer Manier die Gesichtspunkte: historische Entwicklung, Grund stückbeschaffung, Planung, Kirchenbau, Finanzierung, künstlerische Ausstattung an seine Untersuchung an gelegt. Daraus ergeben sich hochinteressante kirchen-, kunst-, kultur-, sozial-, wirtschaftsgeschichtliche und soziologische Details, an denen weder eine Kirchen geschichtsschreibung noch eine Stadt- und Kultur geschichtsschreibung von Wien im 20. Jahrhundert vor übergehen wird können. Einzelne Kapitel, in denen mit ähnlicher Akribie der Bau von Ortskirchen, Erweiterungsbauten, der Wie deraufbau nach Kriegsschäden, Studenten- und An staltskapellen, Gemeindezentren, Notgottesdienst stätten und noch nicht errichtete kirchliche Bauten be handelt werden, vervollständigen zusammen mit einer Reihe von Karten geographisch sehr übersichtlich das Bild der imponierenden kirchlichen Bautätigkeit zwi schen 1945 und 1973. Einerseits mußte alles durch die beiden Kriege Verzögerte aufgeholt, andererseits mußte versucht werden, mit der explosiven Stadtentwicklung Schritt zu halten und den Kirchenbau nicht hinter der Masse von Profanbauten verschwinden zu lassen. In seinem Schlußwort (p. 857f.) resümiert der Ver fasser seine exakten Untersuchungen: der Nadiholbedarf des kirchlichen Bauens hat diesem nicht nur eine Zeit- und Umfangsbeschränkung auferlegt. Die Kirchenbauten wurden auch nach zeitgemäßen Er kenntnissen der Sozialforschung geplant und aus geführt. Die Problematik von Bauplatzbeschaffung und Finanzierung sowie der Mangel an kirchlichen Bauten bewirkte, daß die Quantität vor der Qualität im Kir chenbau rangierte, der nicht ohne historisierende Ele mente und ohne Monumentalität ausgeführt wurde. Das Kirchenvolk zeigte wenig Offenheit für neue Konzeptionen, wobei es kaum zu einer einander sich ergänzenden Stimulierung von Bauherrn und Ge meinde gekommen war. Der 195 Seiten füllende Anhang bietet eine Viel falt von ergänzendem Material, mit dem der Verfasser nicht nur Rechenschaft über die Methodik seiner Grundlagenforschungen ablegt, er breitet auch eine Unzahl von Einzelheiten aus (Archtikten-, Künstler verzeichnis, Indizes, Kirchenbeiträge, Kirchliche Auf bauanleihe, Kirdienbauten im n. ö. Anteil der Erz diözese Wien), die zusammen mit den exakten Registern für weitere Forschungen unentbehrlich sind. Dr. F. L. — Dr. E. K. 6.Die erste armenische Kolonie in Wien und Türkentaufen in Wien während des Großen Türkenkrieges 1683—1699 Karl Teplj' kommt in seinem Artikel: Die erste armenische Kolonie in Wien [Wiener Geschichtsblätter 1973 (28. Jg.), Nr. 4, S. 116 f.] zu folgender Feststellung: Wie die politischen, so stellten auch die kirchlichen Verhältnisse die Armenier in das west-östliche Span nungsfeld. 1667 hatte sich das armenische Bistum Lemberg endgültig für die Union mit der katholischen Kirche entschieden, 1686 folgte Siebenbürgen. Die Hauptmasse der Armenier blieb jedoch in der autokephalen Gregorianischen Kirche. Und auch dort, wo sich der Unionsgedanke durchsetzte, vermochte er dies erst nach schweren inneren Auseinandersetzungen. Die so oft als angeborene Perfldie und krasse Käuflichkeit angeprangerte Unzuverlässigkeit der Armenier findet zum Teil ihre Erklärung darin, daß die beiden in un versöhnlichem Bruderhaß einander gegenüberstehenden Richtungen Anlehnung bei der katholischen Macht der Habsburger bzw. bei den Osmanen suchten und fanden. In Wien nicht erkennbare Umschwünge ganzer Sippen konnten aber die Situation von einem Tag zum anderen in ihr Gegenteil verkehren. Von den in Wien lebenden Armeniern wurde das Bekenntnis zum Katholizismus gefordert, und sie be mühten sich auch, es demonstrativ zu zeigen: durch Heimführung christlicher Sklaven aus der Türkei,durch Übernahme der Patenschaft über türkische Gefangene. Für die zwischen Rom und Lemberg hin und her reisenden armenischen Geistlichen bildete Wien regel mäßig Zwischenstation. Mehrere blieben auch dauernd. So der Vardapet Nerses Elachedi, den erst die Seelsorge der Pest des Jahres 1679 und dann seine Tätigkeit als Glaubensinstruktor für Hunderte im Verlauf des Gro ßen Türkenkrieges nach Wien geführte türkische Ge fangene und Verschleppte hier festhielt. Sein Anteil an der großen Ofener Kundschafterunternehmung wurde bereits (siehe oben im Artikel) erwähnt. In Würdigung seiner Verdienste ernannte ihn Kaiser Leopold I. zum Hofkaplan; 1700 wurde er auch Domherr von St. Ste phan. Nerses stand mit dem Begründer der armenischen Druckerei in Amsterdam, Bischof Thomas von Vanand (dieser weilte 1697 auch in Wien), in Verbindung, und er war wohl der Mann, der im Falle der Einrichtung einer eigenen armenischen Kirchengemeinde in Wien, deren Oberhaupt geworden wäre. Als er am 24. Septem-
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