Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

montane Positionen, aus denen die Nachwirkungen des Spätjosephinismus und die Kirchenfeindlichkeit in der liberalen Atmosphäre überwunden werden sollten. In dieser sehr sorgfältigen, gediegenen und gründ lichen Arbeit weisen die umfangreiche Bibliographie und der tadellose Apparat ihre wissenschaftliche Fun dierung aus, sie schließt eine Lücke im Forschungs bereich zur Osterreichischen Kirchengeschichte des späten 19. Jahrhunderts. 44. Wilhelm Anton Neumann (1837—1919)*) P. Norbert Anton Stigler OCist., Heiligenkreuz Im Rahmen der Untersuchungen zur Wiener Uni versitätsgeschichte, insbesondere zur Geschichte der Kath.-Theologischen Fakultät, beschäftigte sich ein Mitglied des Stiftes Heiligenkreuz mit den Forschungen zur Biographie des Wiener Universitätsprofessors für Semitische Sprachen und Höhere Exegese des A.T.Wil helm Neumann, der nach seiner Lehrtätigkeit an der Hauslehranstalt Heiligenkreuz im Jahr 1874 an die Fakultät berufen wurde. Wilhelm Neumann,geboren in den Tagen des Vor märz, gestorben kurz nach dem Ende des Ersten Welt krieges, gehörte jener Gelehrtengeneration an, der die Wirkungen der Thun-Hohensteinschen Hochschul reform mit dem allgemeinen Aufschwung der Wissen schaften Anregung, Aufgabe und Verpflichtung wurden und die die Notwendigkeit erkannte und den Ehrgeiz entwickelte, die in den Profanwissenschaften gehand habten Methoden in die theologische Forschungsarbeit zu integrieren. Mit einer frappanten Sprachenbegabung beschenkt, historisch und kunsthistorisch interessiert, tätig und wissenschaftlich fruchtbar, gelang es schließ lich dem Heiligenkreuzer Zisterzienserprofessor — wahrscheinlich durch die Hilfe des Professors für A. T. Hermann Zschokke — an die Wiener Universität be rufen zu werden. 1874 wurde er zum a. o. Professor ernannt, 1882 zum ordentlichen Professor ad personam bestellt. Neumanns Berufung und Ernenmmg vollzog sich unter den kritischen Augen der damaligen Wiener Zelebrität für N. T., Carl Werner, der lieber August Rohling aus Münster auf diesem Lehrstuhl gesehen hätte. Da aber die Forderungen Rohlings nach einer ordentlichen Professur gingen, und da das Professoren kollegium, damals noch sehr geprägt von den Ansich ten und Disziplinvorstellungen des Kardinals Rauscher, häufig andere Ansichten als Carl Werner entwickelte, kam Wilhelm Neumann zum Zug mit der Motivierung, „daß auch im Inlande geeignete Kräfte für die er ledigte Lehrkanzel vorhanden sein dürften" (p. 136). Neumanns Wirksamkeit und Forschungsarbeiten sind vom Aufbruch der theologischen Wissenschaften wäh rend des Pontiflkats von Leo XIII. und von der Proble matik der Modemistenkrise beeinflußt, wie von den integralistischen Tendenzen, die ihm 1908 den Antimodemisteneid abforderten. Er stand fachlich den Auffassungen und wissenschaftlichen Forderungen Carl Werners nach einem Expertentum nahe und be wegte sich auch in den' gesellschaftlichen Kreisen, in denen Werner zu treffen war, im Rahmen des Wiener Professorenkollegiums war Neumann jedoch ein Mann der Mitte; bis etwa 1887 votierte er mit den ultra montan orientierten Professoren und erst nachdem die liberale Strömung im Professorenkollegium stärker wurde, wechselte er seine Position. Es ist interessant wie bemerkenswert,daß Neumann — die Bibliographie, die P. Norbert Stigler zusammengestellt hat, beweist das eindrucksvoll — keine exegetischen Arbeiten publi ziert hat. Die Fülle seiner Veröffentlichungen beinhal tet kunsthistorische und historische Themen und geographisch-historische Ergebnisse zur Palästina forschung. Dabei ist aus den Korrespondenzen, Rezensionen, Tagebuchnotizen und den Vorlesungs manuskripten zu den zwölf kleinen Propheten klar ersichtlich, daß Neumann auf dem wissenschaftlichen Forschungsstand seiner Zeit war, daß er vorurteilslos sachliche Ergebnisse anerkannte, auch wenn sie von protestantischen Forschem vorgelegt worden waren. Dieser liberale und zugleich in behutsamer Anpas sung an die Zeit weiche Zug in der Persönlichkeit Neu manns erklärt auch, warum jener gescheite und an den Studienreformen der Kath.-Theolog. Fakultät so inter essierte Professor (man lese seine glänzende Abhand lung über die Geschichte der Kath.-Theolog. Fakultät 1848 bis 1898) während seines Rektorats im Jahr der Jahrhundertwende scheitern mußte. Er hatte keinen Sinn für Radikalismen, weder' für die deutsch-natio nalen Studenten — zu denen er noch eher einen Kon takt hatte ~ noch für die der sich nun kämpferisch formierenden katholischen Verbindungen. Seinen Ver such zum Ausgleich empfanden die katholischen Stu denten als Verrat und sein Verhalten im Studenten wirbel während des Frühlings von 1900 läßt den Schluß zu, daß er in seinen politischen Auffassungen — ähnlich vielen Universitätsprofessoren seiner Zeit — deutsch-nationalen Tendenzen zuneigte. Andererseits zeigen Tagebücher, Itinerar und Korrespondenz viel fache Kontakte zum Hochadel und auch zur kaiser lichen Familie. P. Norbert Stigler hat weder Arbeit noch Mühe gescheut und mit beispielhaftem Fleiß die Fülle des Nachlasses und die große Menge von Presse berichten zur Grundlage seiner Arbeit gemacht. Wie er im Vorwort bemerkt, bestand wohl eine fundamen tale Schwierigkeit zur Abfassung dieser Biographie in dem Umstand, daß es außer der revisionsbedürftigen Fakultätsgeschichte Wapplers keine die Wiener Uni- 'versität betreffende Gesamtdarstellung für die letzten 100 Jahre gibt, mit der er seine Forschungen hätte konfrontieren können. Im Versuch, das Material ganz zu erfassen, bietet P. Norbert zuerst einleitend ein sehr chronologisches Übersichtskapitel über den Lebenslauf Neumanns und ein solches über seine kunsthistorischen Palästinaforschungen. Dann breitet er auf etwa 200 Seiten Neumanns Wirksamkeit als Universitäts professor aus. Die sehr genaue und gewissenhafte Arbeit dokumentiert sowohl die geistige Kapazität wie die unglaubliche Fülle und Vielfalt wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Kontakte Neumanns, sie ist für eine noch zu schreibende Geschichte der Kath.-Theol. Fakultät eine sehr wesentliche Materialkompilation, die aber gleichzeitig das persönliche Profil Neumanns herauszeichnet. Eine große Anzahl von Illustrationen, die umfangreiche Bibliographie zu den Arbeiten und Vorträgen Neumanns,Itinerar und Personenregister wie der einwandfreie wissenschaftliche Apparat vervoll ständigen diese profunde und für zukünftige Forschun gen unübersehbare Arbeit. 45. Colleglum Pazmänianum (Zum SSOjährJgen Bestand, Gründungsjahr 1623, Einzug der ersten 13 Alumnen zu Pfingsten 1624 in Wien) Dr. Egon Gianone Die „Historia Collegii Pazmaniani (quam ex tabularis conscripsit Carolus Rimely, S. S. Theologiae doctor, collegii ejusdem vice-rector, Viennae, typis et sumptibus congregationis Mechitharistae, 1865", behan delt in der Form einer Chronik die Geschichte des Pazmany'schen Collegiums von der Gründung (1623) bis 1865. Es waren einige Krisenperioden dazwischen; zweimal wurde das Instiut aufgelöst (1761—65) und (1784—1803). Zuerst war das Pazmaneum ein Diözesanseminar für die Erzdiözese Gran, erst 1813 wurde es durch die Autorität des Kaisers (Königs) Interdiözesanseminar für alle Diözesen Ungarns. — Nach dem Ersten Weltkrieg wurde seine Existenzberechtigung wieder in Frage gestellt. Als kulturelles Vermittlungs- *) Dissertation, eingereicht an der Kath.-theol. Fakultät Wien 1974, XIV,407 Bl. Dr. F. L.— Dr. E. K. 47

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