Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

20. Kutschker als Schriftsteller und Kanonist P.Dr.Reinhold Eitler SDS. Wissenschaftliches Streben gehörte zum Wesen Kutschkers und es würde unter allen Verhältnissen hervorgetreten sein; doch vielleicht nicht so bald und entschieden, wenn er nicht in Olmütz und Wien ge lernt und gelehrt hätte. Sowohl hier wie dort waren viele seiner Kollegen als Schriftsteller hervorgetreten, zumal Erzbischof Sommerau-Beechh es gerne sah, wenn seine Professoren mit der Feder für die Öffent lichkeit arbeiteten. An Aufmunterung und Hinweisen auf Notwendiges und Zeitgemäßes ließ er es jedenfalls nie fehlen®®). So wußte auch Kutschker trotz seiner Studien, Vorlesungen und Kanzleiarbeiten immer noch genug Zeit zu finden, um literarisch tätig zu sein. Be reits in den Jahren 1835—40 brachte die in Wien er scheinende, von Prälat Dr. J. Pietz redigierte „Neue theologische Zeitschrift" viele Abhandlungen und Re zensionen Kutschkers. Später schrieb er in dem in Mainz erscheinenden, von Dr. Friedrich Vering heraus gegebenen „Archiv für katholisches Kirchenrecht" (AKKR) zahlreiche Aufsätze in kanonistischen Ange legenheiten. Sie zeichnen sich alle aus durch Scharf sinn bei Lösung schwieriger Fragen und durch Klarheit und Umsicht bei Auslegung von Gesetzesstellen. Dies alles war die Frucht einer langjährigen Lehr tätigkeit®®). Aber erst in seinen größeren Werken, von denen das fünfbändige „Eherecht" das umfangreichste ist, tritt die Klarheit der Darstellung, die Schärfe der Methode, die Genauigkeit des Stiles und die bisweilen trockene Nüchternheit ganz in Erscheinung. Die bibliographi schen Verweise bezeugen eine ausgezeichnete Kenntnis der alten und neuen Kanonisten. Auf Streitfragen geht Kutschker nicht gern ein und selten zeigt er seinen eigenen Standpunkt. Trotz der strengen Schulform verraten alle seine Werke den erfahrenen Praktiker, der nicht nur auf der Lehrkanzel, sondern auch im Leben seinen Mann zu stellen wußte. A.Budier 1. „Die gemischte Ehe vom katholisch-kirchlichen Standpunkt aus betrachtet" (1836, 1838, 1840). Kaum eine Frage stand im 2. und 3. Jahrzehnt des 19. Jahr hunderts so im Mittelpunkt des kirchenpolitischen Interesses wie die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der gemischten Ehen^®). Wie Martin Luther die Ehe als ein „weltlich Ding", so hatte im 18. Jhdt. Josef II. sie als einen „rein bürgerlichen Vertrag" (Kontrakt) im § I seines Ehepatentes vom 16. Jänner 1783 erklärt und alle daraus sich ergebenden Probleme einzig und allein den landesfürstlichen Gesetzen unterworfen. Insofern aber die ganze Gerichtsbarkeit in Ehesachen dem welt lichen Gerichte ausgeliefert war, war den geistlichen Konsistorien die Möglichkeit genommen, über die Gül tigkeit oder Ungültigkeit einer angefochtenen Ehe zu entscheiden''). Auch in dem im Jahre 1811 an die Stelle des Ehekodex Josefs II. getretenen II. Hauptstüch des „Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches" wurde das Eherecht wiederum vom Staate einseitig gehandhabt, in dem die Frage der gemischten Ehen für die Kirche unbefriedigend gelöst worden war'®), be sonders bezüglich der Frage der religiösen Erziehung der aus solchen Ehen entsprossenen Kinder, für die der Staat die einschlägigen Verordnungen erließ'®). Aus dieser Sachlage heraus kam es nicht nur zu Spannun gen zwischen Katholiken und Protestanten, sondern auch zwischen Staat und Kirche überhaupt, die im sog. „Kölner Kirchenstreit" ihren Höhepunkt erreich ten, als die preußische Regierung bestimmte, daß die Kinder in der Religion des Vaters zu unterrichten seien. Vieles war in diesen Jahren über das so zeitgemäße Thema der „gemischten Ehen" geschrieben worden, wobei die damaligen Kirchen- und Eherechtslehrbücher sich mehr auf die k. k. Verordnungen in publico-ecclesiasticis als auf das Kirchenrecht stützten (Rigger, Eybel, Rautenstrauch, Pehem, Rechberger u. a.). Kutschkers Hauptquellen sind aber die Offenbarung: Hl. Schrift und Überlieferung; erst in zweiter Linie begründete er seine Thesen durch positive Argumente, was aus der Natur der Sache gegen die Mischehen sprach. Da er nicht nur von Amts wegen, sondern aus innerster Überzeugung auf dem Boden der katholischen Kirche stand, läßt er den einen Gedanken gleich einem roten Faden durch das ganze Werk ziehen: „Die katho lische Kirche hat sie seit jeher verboten und wird sie niemals auf eine unbedingte Weise erlauben können"'*). Mit streng logischer Beweisführung sucht er in knapp 51 Kapiteln von Moses bis Gregor XVI. darzu legen, daß die Mischehen vermöge des Geistes der Hl. Schrift, der unverfälschten Lehre der Väter und alten Kirchenschriftsteller, sowie mit Rücksicht auf die Entscheidungen der Konzilien und der beständigen Kirchenpraxis unzulässig und zu verbieten sind. Das haben schon die Canones der alten und neuen Konzi lien und die Beschlüsse und Anordnungen der Päpste immer getan oder die Mischehe nur unter Beobachtung großer Vorsicht und erst nach Erfüllung gewisser Be dingungen erlaubt'®). Da Kutschker die staatlichen Verordnungen beiseiteläßt, ist ein klares und deut liches Abrücken von der bisherigen staatskirchlichen Linie erkennbar: eine Revolution kanonistischen Den kens auf kirchenrechtlichem Gebiet. Und darin liegt auch das große Verdienst Kutschkers, daß er davon Ab stand nahm und nur auf kirchlichem Boden tiefer grub.Die Polizeizensur bescheinigte ihm,„daß in diesem Werk dem Staate und dessen hohen Anordnungen nicht im geringsten nahegetreten wird", was man z. Z. als ein „besonderes Verdienst" ansah'®). Dabei hatte Kutschker die staatlichen Verordnungen nur einfach ignoriert und war dadurch nicht in Konflikt gekommen. Auch eine Art, um josefinischen Tendenzen entgegen zutreten! Kutschker, der die vorliegende Arbeit schon in seiner Dissertation grundgelegt hatte, hatte sie 1836 auf Anregung des Burgpfarrers Pietz in dessen „Neuer theologischen Zeitschrift" zum erstenmal der Öffent lichkeit zur Information und Diskussion vorgelegt"). Auf vielfachen Wunsch wurde die Arbeit, erweitert und vervollständigt, 1836 als Buch gedruckt und 1838 und 1840 neu aufgelegt'®). Dem Werk kam auch inso fern eine große Aktualität zu, als es in der Zeit des folgenreichen Kölner Kirchenstreites erschien und er höhte Aufmerksamkeit auf sich lenkte. In dieser Be deutung fand Kutschkers Erstlingswerk auch von be rufenster Seite im In- und Ausland die verdiente An erkennung. So würdigte Papst Gregor in einem Schrei ben an Pietz die Arbeit eingehend'®), die in der Fach literatur anerkennend besprochen wurde.Damals wurde auch der Herausgeber des „Archivs für katholisches Kirchenrecht", Dr. Vering, auf Kutschker aufmerksam; in der Folge arbeitete Kutschker an dieser Zeitschrift mit. Das Buch empfahl sich auch schon rein äußerlich: leichtfaßliche Art, praktische Handhabung, dem Um fang nach mäßig (360 Seiten Kleinoktav), dabei klarer Druck, einfache Gliederung, durchsichtige Sprache mit kurzen, leicht fließenden Sätzen. Wenige, stets knappe Anmerkungen, nicht verwirrend, sondern klare und logische Operationen des Verstandes und ein beständi ger Appell an die Rechtlichkeit der Lehrer der Kirche — das sind die Kennzeichen, die das Werk auszeichnen. 2. „Die Theorie der Restitution oder die Lehre vom Schadenersatz. Nach dem Vorgang der Theologen mit Rücksicht auf die kirchliche und staatliche Gesetz gebung zum Gebrauch der Seelsorgegeistlichkeit er läutert" (1837, 1851). Da die Arbeit über die „Ge mischten Ehen" allseits Anerkennung gefunden hatte, erging abermals eine bischöfliche Aufforderung an Prof. Kutschker, weitere Beiträge der Neuen Theologi schen Zeitschrift zu vermitteln, von denen die umfang reiche und gründliche Abhandlung über den Schaden ersatz®®) unter dem Titel „Theorie und Restitution" 1837 im Druck erschien und 1851 in Olmütz neu auf gelegt wurde. Wie auf dem Gebiet der gemischten Ehen, herrschte auch auf dem der Restitution arge Verwir rung, zumal die kirchlichen und staatlichen Verord21

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