Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

men, um an Bedürftige weitergegeben zu werden. Wer damit unterstützt werden soll, darüber wird in den regelmäßig abgehaltenen Sitzungen der Vinzenzbrüder beraten und entschieden. Uber die weitere Entwicklung der Wiener Neu städter Vinzenzkonferenz sind wir verhältnismäßig gut unterrichtet. Die Sitzungsprotokolle — allerdings erst seit Jänner 1866 erhalten — geben Einblick in die Arbeit der Vinzenzbrüder. Dazu kommen noch etliche Mitgliederverzeichnisse, Kassabücher und Wohltäter listen, alles im Archiv Neukloster aufbewahrt. Wie es zur Gründung der Vinzenzkonferenz kam, ist nicht mehr bekannt. Am 8. Dezember 1860, dem Gründungstag, gehörten neun tätige Mitglieder der Konferenz „Maria Himmelfahrt" an, von denen zwei Priester waren. Als erster Präsident fungierte der k.u.k. Rittmeister i. R.Johann Walter, der aber bereits zwei Monate später dieses sein Amt niederlegte. Zu seinem Nachfolger wurde der Vinzenzbruder und Kooperator an der Haupt- und Propsteipfarre Johann Wagner gewählt. Es wurde später zur Gewohnheit, stets einen Geistlichen zum Präsidenten zu bestellen. Dies stand freilich im Widerspruch zu den allgemeinen Vereinsstatuten, die sich für diie Wahl eines Laien zum Obmann aussprechen, um so den Charakter des Vin zenzvereins als eine Laienorganisation zu betonen. Auf Johann Wagner folgte im Präsidentenamt das zweite geistliche Gründungsmitgllied, der Zisterzienser des Stiftes Neukloster, P. Benedikt Kluge, ein eifriger Seelsorger, der auch sozial überaus tätig war. Nach ihm übernahm der Prior des Neuiklosters und Stiftspfarrer, P. Ernest Winter, das Präsidium, das von nun an stets vom jeweiligen Stiftspfarrer geführt wurde. Der letzte in dieser Reihe war der 1945 in seiner Kirche ermordete P. Alberich Rabensteiner. Wie zum Ausgleich vimrden die Propstpfarrer der Hauptpfarre meist zu Ehrenprä sidenten gewählt. Die Vinzenzbrüder übernahmen mit ihrem Beitritt nicht geringe Verpflichtungen und mußten viel Zeit und Mühe opfern. Sie waren fast ausschließlich „kleine Leute", Beamte und Gewerbetreibende, Handwerker, Arbeiter aus den Neustädter Fabriken, nur wenige „Studierte". Eine Ausnahme bildeten Studenten aus den oberen Klassen des Gymnasiums und der Seelsorgsklerus. So arbeiteten fast alle Kooperatoren der Stiftspfarre Neukloster, aber auch einige der Haupt pfarre, aktiv in der Vinzenzkonferenz mit. Ihr Einsatz hatte ihnen sicherlich eine bessere Gemeindekenntnis und wertvolle seelsorgerische Erfahrung gebracht, wenn auch ihre Arbeit durch Versetzung auf andere Dienstposten oft recht plötzlich beendet wurde. Noch im ersten Jahr seines Bestehens traten dem Verein sedis neue tätige Mitglieder bei, aber auch zwei Austritte sind zu verzeichnen. Ein gewisses Schwanken in der Mitgliederzahl ist auch später fest stellbar. Nur wenige waren bereit, eine nicht unbedeu tende Belastung auf sich zu nehmen., nur wenige hiel ten aus. So mußte das Protokoll vom 1. September 1900 anläßlich des Beitritts eines neuen tätigen Mitglieds festzustellen: „Es ist der Zuwachs neuer Mitglieder für unsere Konferenz um so erwünschter, als die Zahl der tätigen Vereinsgenossen durch Sterbefälle und frei willige Austritte sich stets verringert. Dieser Um stand ist sehr zu bedauern, da es bei der sich stets mehrenden Zahl der Pfleglinge dem Verein fast un möglich ist, seine Wirksamkeit im Geiste der Statuten ganz und voll zu entwickeln." Aber wir flnden auch Beispiele eines wahrhaft heroischen Einsatzes, Männer, die durch Jahrzehnte öich im Dienste am notleidenden Mitmenschen mühten. Besonders' genannt soll hier der Eisendreher Josef Budiheit werden, seit 1865 Vinzenz bruder, durch viele Jahre Schriftführer, dessen in kor rekter Schönschrift geschriebenen Protokolle getreu lich über Leben und Arbeiten seiner Konferenz berich ten, aktiv tätig bis vrenige Wochen vor seinem Tode am 28. November 1903. Ein Nachruf in den Protokollen nennt ihn einen Mann treuer Pflichterfüllung, der sein ganzes Wissen und Können in den Dienst der leidenden Menschheit stellte, dem kein Weg zu weit, keine An strengung zu groß war, wenn es galt, seinen bedräng ten Mitbrüdern Hilfe und Trost zu bringen. Er war ein Mann, erfüllt von einem tiefen Rechtsbewußtsein, „in einer Zeit, wo dieses gar so selten mehr zu sich findet" ein Mann, der unbekümmert seinen Weg ging, den er für recht hielt. Bereits die zeitliche Beanspruchung der Vinzenz brüder war nicht gering. Wöchentlich — später vier zehntägig — versammelte man Sich in der Haupt schule in der Neugasse, später im Neukloster zur Sit zung. Man begann und beschloß sie mit Gebet. Auf die Pflege des religiösen Lebens der Vinzenzbrüder wie auch der Pflegebefohlenen wurde stets geachtet, zur gemeinsamen Gottesdienstfeier mit Sakramenten empfang zu Ostern und an den Festen der Vdnzenzbruderschaft wurde besonders eingeladen. Auch die in jeder Sitzung vorgeschriebenen Lesung diente der geistigen Weiterbildung der Mit glieder. Aus den Protokollen ist einiges über diie dabei verwendete Literatur zu erfahren. Neben aszetisdien Büchern wie etwa die „Philothea", ist es vor allem das für jeden Vinzenzbruder wichtige Schrifttum der Vinzenzbewegung, wie Jahrbücher und Tätigkeits berichte, die „Wiener St. Vinzenzvereinshefte", Werke über den hl. Vinzenz von Paul, das „Handbuch des Armenbesuches" und Alban Stolz, „Unterricht über den St. Vinzenzverein" u. a. m. Mit sozialen Problemen be schäftigten sich Bücher zur Arbeiterfrage, über Arbei terkrankenkassen, über die soziale Einriebt eines Fabriksbetriebes usw. Auch päpstliche und bischöf liche Rundschreiben kamen, soweit sie sich mit sozia len Themen befaßten,zur Verlesung. Im Anschluß an diese Lektüre wurde das Protokoll der letzten Sitzung verlesen. Aus diesen Arbeitsberich ten der Vinzenzbrüder ist der ganze weitgespannte Umfang der gestellten Aufgaben zu erkennen. Es ist eine schier endlose Reihe von Sozialfällen, in denen man helfen sollte. Es ist der wohl jeden Menschen be drohende Verfall seiner Kräfte in Krankheit und Alter, der ihn hilfe- und pflegebedürftig macht, in Verein samung führen kann. Neben den Beschwerden des Alters sind es vor allem Krankheit — immer wieder ist vom „Brustübel" die Rede —, Arbeitsunfälle in der Fabrik, bei der Eisenbahn, auf der Baustelle, die meist unter den jüngeren Leuten ihre Opfer hatten und die, wenn es den Familienerhalter traf, schwerwiegende Probleme auch für dessen Angehörigen verursachten. Alter und Krankheit kosten immer auch Geld. Die Auslagen für Arzt und Pflege konnten bei der damals noch recht unvollkommenen Sozialversicherung die Betroffenen auch in materielle Not bringen. Einst selbständige Gewerbetreibende mußten oft im Alter um Unterstützung einkommen, selbst ehemals tätige Vinzenzbrüder kamen in die Lage, die Vinzenzkonfe renz nun für sich selbst um Hilfe zu bitten. Eine Not situation für eine Familie konnte bereits die Ein berufung des Familienerhalters zum Militärdienst oder — auch das kommt vor — zur Abbüßung einer Frei heitsstrafe, hervorrufen. Die soziale Lage der arbeiten den Schichten der Bevölkerung hängt eng mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt zusammen. Ein Uberangebot an Arbeitskräften machte es oft schwer, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden. In den Protokollen kommen die Namen der damaligen Neustädter Betriebe vor, beson ders oft wird die große Lokomotivfabrdk genannt. Auch die soziale Unruhe und die beginnenden Arbeitskämpfe lassen sich erkennen, so etwa, wenn beschlossen wird, ausgesperrten Arbeitern oder einem wegen seiner Ge sinnung Angefeindeten eine Unterstützung zu geben. Nicht immer waren die ansonsten vom Vinzenz verein bevorzugten Naturalunterstützungen ausrei chend, doch mußten Ansuchen um Geldbeihilfen beson ders begründet und die rechte Verwendung vom betreu enden Vinzenzbruder überprüft werden. Eine immer wiederkehrende Bitte: Zinsbeihilfen, um die Wohnung behalten zu können, wobei über dumpfe und ungesunde Wohnräume geklagt wird. Geld kostete eine Spezial behandlung in Wien, ein Kuraufenthalt in Baden. Um einer armen Witwe eine Verdienstmöglichkeit zu geben, unterstützte man sie beim Ankauf einer Nähmaschine, und anderes mehr. Natürlich mußten auch die verteil13

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