stand draußen und teilte mir höchst erschrocken mit: „Die kommen jetzt auch auf unser Haus zu!" Ich emp fahl ihr, in ihre Wohnung zu gehen, von innen abzu sperren, sich völlig ruhig zu verhalten und kein Licht zu machen, damit kein Lichtschein nach außen dringe. Sie ging. Nach kurzer Zeit läutete es wieder in gleicher Weise und ich dachte,sie habe ihre auf der Singerstraße des Gebäudes befindliche Wohnung nicht mehr errei chen können und suche Zuflucht in meiner Wohnung. Ich öffnete. Vor der Tür standen die Demonstranten. Sie verhinderten, daß ich die Tür wieder schloß, schleppten mich auf den Gang und versuchten, mich aus dem Fenster zu werfen. Zweimal scheiterte dieser Versuch, da zwei Fenster,eine altertümliche Konstruk tion, einen vertikalen Balken in der Mitte hatten. Ein Fenster jedoch, nächst dem Speisesaal der Geistlichkeit, war schon neuerer Bauart, und so gelang es den Atten tätern, die eines anderen Geistlichen nicht habhaft ge worden waren, mich aus dem Fenster in die Tiefe zu werfen. In der Ecke des Hofes, in den ich gestürzt worden war, befand sich ein Sandhaufen, der von Bau arbeiten im Hause herrührte. Nur so war es zu erklä ren, daß ich bei diesem Sturz nicht schwerste innere Verletzungen davontrug. Gleichwohl blieb ich mit bei derseitigen Oberschenkelbrüchen und einer gespaltenen Kniescheibe liegen. Offenbar waren die Beine bereits auf das Pflaster des Hofes aufgeprallt. Das Bewußtsein hatte ich wohl nur für kurze Augenblicke verloren. Mit den aus dem erzbischöflichen Palais davongetragenen Messingstangen des Stiegenteppichs zerschlugen die Attentäter nun fast sämtliche Fenster der oberen Stock werke, so daß die oft ziemlich großen Glasscherben in den Hof, rechts und links von mir, herabstürzten. Als die ganze Schar abgezogen war, wollte ich mich er heben, sank aber sofort mit einem stechenden Schmerz zum Boden nieder — ich erkannte, daß die Oberschen kel gebrochen waren. Einige Zeit blieb ich allein liegen. Ein Wachmann, der den Hof betrat, schaute mich an und verschwand wieder. Ich erinnere mich noch, neben mir später Fräulein Voglstehen gesehen zu haben.Siewar erschüttert und weinte. Erst nach geraumer Zeit kam ein Krankenwagen der Rettungsgesellschaft; ich bat, ins Franz-Josefs-Spital gebracht zu werden, wo ich damals Beichtvater der geistlichen Schwestern war. Doch im Rettungswagen stellte sich der begleitende Arzt mir vor, Dr. Mittelbach, heute Hofrat und Direktor des Landeskrankenhauses in Graz, und versicherte mir, man werde mich dorthin bringen, wo ich am besten versorgt wäre, in die Zweite Unfallstation. Dort wurde ich zuerst in einen Ambulanzraum gebracht, bis die Arzte zur Operation versammelt waren. In dieser Zeit erschien Domprediger Dorr, der heutige Dompfarrer, am Operationstisch und erteilte mir die Absolution. Ich bat ihn, am nächsten Morgen meine Mutter von dem Vorfall schonend in Kenntnis zu setzen, was er auch getan hat. Die Operation wurde nach Evipan-Narkose durch geführt und ich erwachte erst in der Nacht im Kran kenzimmer. Meine Beine waren geschient und hoch gegrätscht und, wie ich später feststellen konnte, mit Nadeln durchbohrt. Diese hielten zwei Metallbügel, die schwere Gewichte als Belastung an Schnüren trugen (Kirschner-Extension). In dieser qualvollen Lage mußte ich mehrere Monate lang verbleiben. Am Morgen des anderen Tages erschienen Beamte der Kriminalpolizei, um mich über den Vorfall zu ver hören. Während sie das stenographische Protokoll in Maschinschrift übertrugen, kam auch meine Mutter ins Krankenzimmer. Aus dem Polizeiprotokoll, das ich vor der Unterzeichnung halblaut durchlas, erfuhr sie den ganzen Hergang des Attentats. In den ersten Tagen nach dem 8. Oktober durfte ich auch Besucher empfangen. Unter Ihnen waren mein hochverehrter ehemaliger Vorgesetzter, Pfarrer Monsignore Schubert, der ehemalige Regens des Priester seminars, Kanonikus Dr. Taubert, Stadtdechant Konsistorialrat Anton Bauer, der mir das Mitgefühl der Pfarrervereinigung ausdrückte, Msgr. Popp, dem die Leitung der Seelsorge am Dom übertragen war, eine Reihe anderer Pidester und eine größere Anzahl katho lischer Laien, unter ihnen ein mir persönlich nicht bekannter Oberst der Deutschen Wehrmacht in voller Uniform. Seit dem Tag der berüchtigten Bürckel-Rede jedoch wurde über mich ein Besuchsverbot (lediglich aus politischen Gründen) verhängt, so daß mein wei teres Krankenlager einer Inhaftierung gleichkam. Mei ner Mutter ist es jedoch nach etlichen Tagen gelungen, durch Vorsprache in der Reichsstatthalterei eine Aus nahme von diesem Besuchsverbot zu erlangen, die spä ter auch auf meinen Bruder und die nächsten Ver wandten ausgedehnt wurde. Die Ärzte, vor allem der Klinikchef, Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Denk und sein Assistent, Dr. Fritz Felsen reich, der der eigentliche behandelnde Arzt war, sowie dessen Nachfolger, Assistent Dr. Georg Salzer (heute Professor), gaben sich alle Mühe, die Knochenbrüche zu heilen, und ihr Mühen ist von Erfolg begleitet gewe sen. In vorbildlicher Weise haben sich auch die dienst habenden Krankenschwestern um mich bemüht. Als Seelsorger waren damals P. Franz Merx, P. Gerhard Birx und P. Andreas Vankann, alle dem Orden des hei ligen Camillus angehörig, meine Betreuer. Ihnen wurde der Zutritt zu meinem Krankenbett nicht verwehrt. P. Merx war es dann auch, der dem Oberhirten die vorläufige Erlaubnis für mich, bis zur Genesung sitzend zu zelebrieren, erwirkte, von der ich allerdings erst in den letzten Tagen meines Krankenhausaufenthaltes und dann später in der mütterlichen Wohnung Gebrauch machen konnte. In den Tagen zwischen Wahl und Krö nung Papst Pius' XII. bestätigte dieser die gewährte Erlaubnis. Erst nach viereinhalb Monaten, am 17. Februar 1939, konnte ich das Krankenhaus verlassen, jedoch das Gehen war mir dann durch längere Zeit nur gestützt auf zwei Stöcken, und zuerst auch nur von einem Be gleiter unterstützt, möglich. Erst im Laufe der Monate lernte ich es, wieder richtig und ohne Stock zu gehen. An dieser Stelle möchte ich nochmals allen jenen, die an meinem Los Anteil genommen hatten, recht herzlich danken, vor allem auch jenen vielen, deren Gebefshilfe ich ungemein tröstlich empfunden habe.Die erzbischöfliche Churgeistlichkeit bereitete mir bei mei nem ersten Aufscheinen am Stephansplatz einen uner wartet festlichen Empfang, den ich in dankbarer Er innerung behalten habe." 57. Möns. August Schaurhofer (1872—1928) Sr. Angela Maria Pirker C. S. Vorbemerkung: 1936 brachte Alfred Missong mit dem Untertitel: Ein Wiener Sozialapostel^) eine wert volle und aufschlußreiche Biographie über diesen „prie sterlichen Sozialpraktiker"'^)" heraus,die einiger Korrek turen bedarf und die von einer Zeitgenossin, das ist also Augen- und Ohrenzeugin, zur Verfügung gestellt wurden und auf eine in Aussicht genommene große und abschließende Biographie vorbereiten mögen. Dr.F.L. Gleich eine allgemeine Feststellung: Das Kapitel über die Caritas Socialls stimmt nicht ganz mit den Tatsachen überein. Aus einem oftmaligen Ausspruch von Monsignore Schaurhofer geht hervor, daß sowohl er selbst wie Frau Dr. Burjan schon vor dem Ersten Weltkrieg die Idee einer modernen Schwe sternschaft in sich trugen und daß es beide als providentiell ansahen,daß sie sich kennenlernen durften, um sich bei der Gründung unserer Gemeinschaft zu unter stützen. Frau Dr. Burjan ist also mit Recht der Idee und vor allem der Tat nach Gründerin unserer Gemein schaft zu nennen, während Monsignore Schaurhofer stets der wertvolle Berater war. Infolge mancher Unkenntnis über die Inneren An gelegenheiten der Caritas Socialis sind dem Autor auch 42
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