Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Beiträge {viener Diözesangesdiidite BE I LAQE DES WI ENER DIÖZESANBLATTES Nr. 9 (September 1973) III. Jahrgang Nr.5 Wien, am 1. September 1973 14.Jahrgang Inhalt: 29. Wiener Pastoralpsychiatrie 1888. — 30. Ernest Müller. Gründer des Katechetenvereins, zweiter Gründer der Christlich-pädagogischen Blätter (t 1944). II. — 31. Bombenalarm im Rektorat Tomek 1934. — 32. Zur Geschichte der Pfarrkirche in Stockerau. 2. Teil: Die neue Kärche (Fortsetzung). — 33. Heiliges Wien.— 34. Neueste Wiener Priesterbiographien und Biographisches. 29. Wiener Pastoralpsychiatrie 1888 Kurz nach dem Revolutionsjahr 1848 hatte sich der vielseitig gebildete Badearzt Dr. med.et Chirurg, et phil. Max Josef Vogel beworben, an der Theologischen Fakultät der Universität Wien Vorlesungen über Pasto ralanthropologie halten zu dürfen. Infolge der aus dem Grenzfach erwadisenden Schwierigkeiten hatte das Wiener Professorencollegium wie das Ministerium für Cultus und Unterricht dieses Ansuchen negativ beant wortet. Als 1872 der Benediktinerpater aus dem Wiener Schottenstift,Anselm Ricker, Nachfolger auf dem pastoralthoelogischen Lehrstuhl Anton Gmschas wurde, fügte er 1874 in seinen „Leitfaden in die Pastoraltheo logie" auch ein Kapitel Pastoralpsychiatrie ein. Damit nahm er in die theologische Wissenschaft jene Impulse auf, die in den Jahren der Wissenschaftsbefreiung lebendig geworden waren und die auch den damaligen Nöten der Zeit begegnen wollten. Ricker kompilierte seine Vorlesungen über die pastorelle Behandlung Geistesgestörter in seiner Pastoralpsychiatrie, die 1888 erschienen, sehr bald vergriffen war, und er hatte damit das erste Buch im deutschen Sprachraura ver faßt, das der Seelsorge an Geisteskranken dienen wollte. Rickers Pastoralpsychiatrie entsprach den Be dürfnissen seiner Zeit, er erlebte drei Auflagen, wurde aber bald von den Ereignissen des 20. Jahrhunderts überdeckt und geriet in Vergessenheit. Aus der gegen wärtig nicht mehr aufzuhaltenden pastoralraedizinischen Diskussion wird deutlich, daß in der Stadt, die späterer Ausgangsort einer säkularisierten Seelsorge werden sollte, bereits vor Siegmund Freud vielfache Ansätze für eine Irrenseelsorge vorhanden waren und in der für sie Hilfen angeboten wurden. Die historischen und pastoralpsychiatrischen Unter suchungen über Anselm Ricker verlangten aus der Komplexität des Themas eine Bearbeitung aus histori scher Sicht, Elisabeth Koväcs, Assistentin am Institut für Kirchengeschichte und Patrologie der Wiener Katholisch-theologischen Fakultät, mit biographischen Studien überschrieb und eine medizingeschichtliche Analyse, für die Gottfried Roth, Oberarzt im Neuro logischen Krankenhaus Rosenhügel, zeichnet. Der biographische Teil ist ein erstmaliger Versuch, an Hand einer Professorenbiographie die Geschichte der Wiener Theologischen Fakultät von 1872 bis 1900 in ihrer Verflochtenheit von kirchlichen, wissenschaft lichen und politischen Bewegungen nachzuzeichnen. Dabei wird nicht nur die enge, traditionsreiche Bindung des Wiener Schottenstiftes zur Theologischen Fakultät sichtbar und der geistige Standort Rickers zwischen Ultramontanismus und Liberalismus im 19. Jahr hundert fixiert, sondern auch Rickers eigene Stellung im Rahmen des Wiener Professorenkollegiums erhellt. Es gelingt der Verfasserin, die Beziehungen, Spannun gen imd Konflikte der Theologischen Fakultät mit den Wiener Fürsterzbischöfen und mit der staatlichen Ver waltung zu zeigen und in der Analyse der Rektors inauguration imd des Amtsübergabeberichts von 1881/82 — Ricker war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der populärste theologische Rektor, den die Wiener Universität aufzuweisen hatte — in die Probleme zwischen studentischem Leben imd kirch lichem Nationalismus hineinzuleuchten. Die medizin geschichtliche Untersuchung setzt nach einem kursori schen Uberblick über den Inhalt seiner Vorlesungen bei den von Ricker gebrauchten Begriffen von Seele und Geisteskrankheit ein und veranschaulicht, wie er zwei Auffassungen, die in der somatisch orientierten Psychopathologie der Hochscholastik wurzeln, mitein ander verbindet. Die Auffassung der neoscholastischen Philosophie des 19. Jahrhunderts, daß die menschliche Seele nicht erkranken könne, und jene der klassischen Psychiatrie, daß die Geisteskrankheiten eigentlich Hirn krankheiten seien. Differentialdiagnostische Probleme der Pastoralpsychiatrie und eine kurze Skizze des Autors für eine künftige Pastoralpsychiatrie komplet tieren diesen Teil, dem ausführliche Register und Bibliographien folgen, Elisabeth Koväcs — Gottfried Roth, Anselm Ricker und seine Pastoralpsychiatrie 1824—1902/03. Von den Anfängen pastoralmedizinischer Lehrtätigkeit an der Katholisch -theologischen Fakultät der Universität Wien (Wiener Beiträge zur Theologie XLI), Wiener Dom-Verlag 1973, 144 Seiten, öS 120,—, DM 19,—, sfr 22,50. Dr. F. L. 30. Ernest Müller. Gründer des Katechetenvereins, zweiter Gründer der Christlich pädagogischen Blätter(t 1944) II. Dr. Franz Loidl Mußten Schwierigkeiten, Verärgerungen, Recht streitereien mit Behörden und Institutionen oder wie z. B. mit dem k. k. Schulbücherverlag durchgestanden werden, der 1912 eigenmächtig mit Übergebung des Autors, Josef Minichthaler, und des Vorsitzenden des Gebetbuchkomitees, Müller, ein „Gebet- und Gesang buch für die katholische Jugend der Erzdiözese Wien" herausgab"^"), so wurde Obmann Müller um so mehr durch die Wertschätzung der Vorstands- und Vereins mitglieder entschädigt,in deren Namen z. B. G.R.Pich ler bei der Hauptversammlung vor allem ihm „für seine rastlose und zielbewußte Arbeit für den Verein herz lich dankte"''^). Ein besonderer Anlaß zur dankbaren Ehrung ergab sich zum 25. Gedenktag seiner Priester weihe im Juli 1912,indem die „Christlich-pädagogischen Blätter" auf der Titelseite der Nr. 7/8 sein Porträt brachten mit der Überschrift: „Unserm Jubilar!, dem zweiten Gründer eben der Christlich-pädagogischen 33

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