Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

23. Juli 1905 im Stephansdom. Bezeichnend für den Neomysten Altrichter war, daß er bei seiner Mittel losigkeit zur Primizfeier die Güte der Barmherzigen Schwestern in der Gumpendorfer Straße annehmen mußte, die ihm das Fest würdigst gestalteten, und daß er sich den ihm in manchen Zügen ähnlichen edlen Kirdiengeschichtsprofessor P. Dr. Cölestin Wolfsgruber von den Schotten^) als Prediger erwählte. Es folgten ein Kaplanjahr in Orth a. d. Donau^) und die mehrjährige eifrige Seelsorgs- und Schultätig keit in der Pfarre Altlerchenfeld (Wien VII, Pfarre zu den hl. sieben Zuflucliten) mit ihren an die 23.400 See len®), wo schon vor ihm und nun mit ihm als erster Kooperator der gleichschlichte und allseits karitativ tätige Karl Krasa (t3. 4. 1928) wirkte, der auch eine eingehende Würdigung verdiente*'). Jahrzehnte noch nach seinem Ausscheiden aus dieser Pfarre suchten Gläubige ihren einstigen Seelsorger und Lehrer Alt richter auf, um ihm ihre Dankbarkeit zu erweisen oder ihn um Unterstützung zu bitten oder für ein kirchliches Fest oder eine Familienfeier einzuladen, und sie fanden stest ein williges Ohr und ein gütiges Herz. Unterdessen wurde Altrichter die Möglichkeit ge boten, sich dem Religionslehramt an einer Mittelschule zu widmen, und so begann er erst als Supplent an der Bundesrealschule in Wien VII (Neustiftgasse), dann an der Lehrerinnenbildungsanstalt im selben Be zirk (Kenyongasse), um schließlich als definitiver Religionsprofessor am Bundesrealgymnasium in Wien XV, Diefenbachgasse, bis zu seiiner über eigenes Ersuchen erfolgten Pensionierung als Studienrat (1934) ab 1. März 1936, dem Schuldienst zu dienen. Der nur an die anderen denkende Priester hatte sich aber schon längst (seit 1914) über die Schule hinaus als Krankenseelsorger bei den Barmherzigen Schwe stern im Spital in der Liniengasse (Wien VI) betätigt, wohlin er auch übersiedelte und wo er den Gottesdienst mit Predigt und Beichthören im Internat „St. Marien" (in der Millergasse) übernahm. Hier unter den Kindern (Mädchen) fühlte er sich wohl und sprach sie auch in seiner echten, kindertümlichen Art als Kinderfreund an. Auch in der zuständigen Pfarre St. Ägyd (Gumpen dorf, damals noch Schottenpfarre) half er durch Lei tung des „Mädchenbundes" und des „Müttervereins" selbstlos mit. Sein ganzes Sinnen und Trachten gehörte aber dem von ihm in der Wiener Erzdiözese fundierten Seraphi schen Liebeswerk. Das „karitative Genie" eines F. Cyprian Fröhlich®) aus Oberfranken, seit 1877 Kapuziner, bald „ein belieb ter Volksmann in den sozialen Spuren eines Bischof Kettelers und vorzüglicher Redner auf Volksmissionen in Bayern", hatte nach einem Jahr (d. i. 1889) in Ehrenbreitenstein am Rhein den als Seraphisches Liebes werk benannten Verein für gefährdete und sittlich ver wahrloste Kinder gegründet, den er 1893 nach Altötting verlegte und als Generalpräses und Schriftleiter durch zahllose Vorträge, Aufsätze dn den Zeitschriften „Seraphischer Kinderfreund", „Marienkind" und pakkende Broschüren zu rascher Blüte und weiter Ver breitung über Süddeutschland, die Schweiz, ÖsterreichUngarn brachte.Im Jahre 1904 gründete Bischof Franz Maria Doppelbauer (1888—1908) dieses Liebeswerk in Österreich mit dem Sitz in seiner Bischofsstadt Linz/ Donau, von wo aus sich weitere Liebeswerkabteilungen in Städten der österreichisch-ungarischen Morarchie bildeten, darunter auch in Wien. Auf Anregung des Caiütasdirektors und Direktors des Linzer Seraphischen Liebeswerkes, Möns. Johann Chr. Dobretzberger®), trat nun Freund Altrichter an den für sozial-karitative Werke höchst aufgeschlossenen Kardinal-Erzbischof Piffl heran, der sogleich seine Billigung erteilte, und so konnte noch im Frühjahr 1918 an die Realisierung und Verselbständigung dieses Werkes in der Wiener Erzdiözese geschritten werden. Die konstituierende Versammlung trat daraufhin am 23. Juni 1918 im Alten Rathaus (Wien I, Wipplingerstraße) zusammen. Die Leitung setzte sich zusammen aus: Präses Prälat Kanonikus Josef Wolny (bis zu seinem Tod im Jahre 1929)"^) und dann Prälat Kanonikus Adolf Sedlaczek (bis zu seinem Tod 1938)®), und aus Sekretär Altrichter, dem die Last der Propaganda, Verwaltung und Auf bringung der Mittel zufiel. Wie er selbst mit seiner Mit arbeiterin um Gotteslohn wirkte, so taten dies auch die Barmherzigen Schwestern, die ihm im Nebenbau des Mutterhauses, Wien VI, Millergasse 4, eine Kanzlei zur Verfügung stellten. Dauernd auf Predigt- (Triduen) und Beichtaushilfe in der ganzen Erzdiözese aus, be nützte Sekretär Altrichter diese Gelegenheit jedesmal am Schluß zur Beitrittswerbung. Zwei Fräuleins, die ihn als freiwillige Helferinnen begleiteten, nahmen die Beitrittsanmeldungen und auch Spenden entgegen. Schon 1925 zählte man einen Stand von 36.000 zahlen den Mitgliedern. Als beliebtes Werbemittel diente in den ersten Jahren der „Liebeswerk-Kalender für das Kind und seine Freunde zugunsten der verlassenen Kinder der Gefallenen. Seraphisches Liebeswerk. Zur Rettung gefährdeter Kinder" (so z. B. der 14. Jg., 1920, aus Linz, Rudigierstraße, dann der „Zwergenkalender®) für die Jugend und dhre Freunde. Ertrag zur Rettung verlassener Kinder aus dem Verlag: Seraphisches Liebeswerk", Wien VI, Millergasse 4, worin auch Sinn und Zweck dieses Vereines angegeben wurden, was schon am 27. März 1919 in einem Aufruf zum Beitritt im „Wiener Diözesanblatt" (Nr. 5/6, S. 21 f.) so erklärt wurde: „Das Liebeswerk ist ein großer Kinderschutzverein; in den 15 Jahren seines Bestandes (in Österreich) hat es mehr als 2250 Kinder in seinen Anstalten zur Er ziehung aufgenommen. Zweck des Vereines ist, die gefährdeten oder der Verwahrlosung preisgegebenen Kinder (von 3 bis 14 Jahren) zu retten und zu erziehen, damit sie nicht körperlich oder seelisch zugrunde gehen. Der Hl. Vater nannte das Liebeswerk ein wahrhaft wunderbares Werk christlicher Nächstenliebe. Noch hat die Wiener Erzdiözese keine eigenen Heime. Die Zahl der schutzbedürftigen Kinder ist groß und hat im Kriege gewaltig zugenommen. Dieser Ärm sten nimmt sich das Liebeswerk besonders an. Es ist ein religiöses Werk, da es Kinderseelen vor dem Ver derben rettet, es ist ein soziales Werk, da es gefährde ten Kindern eine gute Familie ersetzt, und endlich ein patriotisches Werk, da es verwahrloste Kinder, die zu einer Gefahr für das Vaterland werden können, zu tüchtigen Staatsbürgern heranbildet. Das Liebeswerk ist nun in Wien mit der Absicht ins Leben getreten, für verlassene Kinder, besonders Kriegerwaisen, Er ziehungsheime zu bauen, 35

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