Beiträge zur Wiener Diözesangesdiidite BEILAQE DES WI ENER DIÖZESANBLATTES Nr. 7 (juli 1972) 110. Jahrgang Nr.4 Wien,am 1. Juli 1972 13.Jahrgang Inhalt: 24. Milde-Dokument zur Taubstummen-Bildung?(Fortsetzung). — 25. Dr.Joseph van Tongelen(t 1943). Caritasdirektor, Kanzelredner, Schriftsteller und Schriftleiter. — 26. Katechet Mauß — Wortführer des Integralismus (t 1917) (Biographisches). — 27. Pfarre Rauchenwarth, series pastorum. — 28.Erscheinungstäuschung in der Bründlkapelle zu Rauchenwarth im Jahr 1930. Nur hier? — 29. Von der Januarius-Kapelle,einem verlassenen, noch bestehenden Heiligtum. 24. Milde-Dokument zur TaubstummenBildung? (Fortsetzung) Hildegard Holtstiege, Mainz. I. Analyse und Interpretation des Dokumentes (Siehe vorausgehende Nummer) 1. Das Dokument stellt eine Äußerung des Wiener Konsistoriums dar, die mit Reg. Dekr. v. 27. April 1837 angefordert worden war. Milde unterzeichnete dieses Dokument infolgedessen als derzeitiger Erzbischof von Wien. Im gleichen Zeitabschnitt wurden Milde auf Grund seiner pädagogischen Erfahrungen direkt eine Reihe von Gutachten abgefordert, die er auch im ei genen Namen erstellte^). Die Schwierigkeit, die sich der Identifizierung des vorstehenden Dokumentes (als inhaltlich von Milde stammend) entgegenstellt, er wächst aus der Tatsaciie, daß das Konsistorium der Adressat der abverlangten Stellungnahme ist, und daß Milde als derzeitiger Erzbischof für das Konsistorium unterzeichnete. 2. Eine Analyse des Dokumentes legt hinsichtlich der gesamten Diktion sowie der Verwendung pädagogi scher termini tedinici die Vermutung nahe, daß Milde selbst der Verfasser dieser Stellungnahme ist. Die Be schreibung pädagogischer Vorgänge und Phänomene —, wie Anleitung, Förderung der Bildung, bilden. Bil dungsfähigkeit, sich lehrfähig madien, dem Unterricht beiwohnen und sich bilden, ein gründlicher Denker und sehr gebildeter Mann — erfolgt in der gleichen Terminologie wie in den von Milde verfaßten Schriften und Gutachten''). 3. Unter formalem Aspekt betrachtet, legt auch die Weise des Vorgehens in der Beurteilung die Vermutung nahe,daß dieses Dokument von Milde stammt. Hingewiesen sei zunächst auf den empirischen An satz im 5. Absatz: Nach der vorausgeschickten Bemer kung hinsichtlich der grundsätzlichen „Wichtigkeit der Bildung der Taubstummen" wird nach der faktischen Notwendigkeit und den sich daraus ergebenden Kon sequenzen gefragt®). Auf Grund der so gewonnenen Maßstäbe werden dann Czechs Anträge einzeln „durch gegangen und beleuchtet". Daraus erklärt sich die stel lenweise stark formale Argumentation (vgl. 6. Abs.; 2, 1. Abs.; 3;), die auch in Mildes eigenen Gutachten feststellbar ist®). Die so vorgenommene „Beleuchtung" der Anträge wird in Punkt 4 zu einer entlarvend wirkenden Analyse der Beweggründe des Verfassers, die in der Äußerung „In diesem Antrag eines General-Inspektors scheint der Schlüssel zu dem ganzen Vorschlag zu liegen" schonungslos beim Namen genannt werden. Diese Scharfsichtigkeit, fundiert in gründlicher Menschen kenntnis und verbunden mit dem Freimut, die Dinge mit dem richtigen Namen zu nennen, ist als typisch für Milde aus seinen Schriften erkennbar"), 4. Der Milde eigene Realismus ist ein weiterer Ge sichtspunkt, der auch an dem vorstehenden Dokument hervorzuheben wäre. Er zeigt sich in der Zurückwei sung utopischer Forderungen: „Gewisse Dinge sind auf dieser Erde allerdings wünschenswerth, können aber nicht allgemein vorgeschrieben und gefordert werden." In dem Gutachten wird unter Berücksichtigung auch pädagogischer Forderungen („daß taubstumme Kinder dort sind, weil sonst kein praktischer Unterridit möglich ist. Der Staat müßte daher taubstumme Kinder dort hinbringen und dort verpflegen lassen") sozusagen „statistisch" der Nachweis erbracht, daß „der allgemeine Zweck sicher nicht als nothwendig" er scheint. Nachdem die Vorschläge für die TaubstummenBildung auf den berechtigten Kern hin untersucht und sondiert worden sind, folgen dann in fünf Punkten konkrete Vorschläge, die sich hinsichtlich ihrer Durch führbarkeit im Rahmen des Möglichen halten. 5. Das Aufgreifen des pädagogisch berechtigten Kernes und Ausschöpfen möglicher Verwirklichungs ansätze in den fünf Vorschlagspunkten des Konsisto riums wäre eine weitere Verbindungslinie, die zu Milde als dem vermuteten Verfasser der Stellungnahme führt®). Die Notwendigkeit der auch weiterhin frei willigen Ausbildung einzelner Geistlicher oder Lehrer für die Taubstummen-Bildung wird betont und ihr ein Weg gewiesen. Darüber hinaus wird als weitere Mögliclikeit — wenn er dazu willens sei — ein vom Staat neu zu errichtendes Taubstummeninstitut ins besondere für Landbezirke als „noch zweckmäßiger und besser" bezeichnet. Zu der im 2. Punkt der Vorschläge des Konsisto riums genannten Praxis der Bischöfe von Leitmeritz und St. Pölten wäre noch anzumerken, daß Milde selbst von 1823 bis 1832 Bischof von Leitmeritz war. Auf den weiteren Hinweis, daß Milde während seiner Tätigkeit in dem zur Diözese St. Pölten gehörenden Krems be reits mit Gutachtertätigkeit zur Frage der Taub stummen-Bildung befaßt war, wird im nächsten Ab schnitt(unter II.) näher eingegangen. In diesem Zusammenhang ist auch interessant die Erwähnung des bereits in Brünn (dem Geburtsort Mildes) vorhandenen Taubstummeninstitutes, dessen Direktor Joseph Handschuh im Jahre 1833 von Erz bischof Milde zum Direktor des Wiener Priesterseminars ernannt worden war"). Diese Feststellung läßt auf einen Kontakt Mildes mit Institutionen der Taub stummen-Bildung schließen. Die Analyse und Interpretation des Dokumentes zur Taubstummen-Bildung ergab eine Reihe von Aspekten (Milde als möglicher Verfasser des Gut achtens für den Adressaten: das Konsistorium; Mildes Diktion und pädagogische Termini; formale Weise des Vorgehens: Konsequenzen aus Fakten und Durchleuch tung der Motivation; realitätsbezogene Beurteilungs weise; Aufgreifen des pädagogischen Kernes und mög licher Verwirklichungsansätze), die mit einem hohen Wahrscheinlidikeitsgrad in Milde den Verfasser ver muten lassen. Diese Annahme läßt sich noch erhärten 25
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