Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Burgenland bezeichnet, unterstand bisher den beiden Mutterdiözesen Raab (Györ) und Steinamanger (Szombathely), war nun aber nach einer nicht befriedigenden Übergangslösung"®) mit Dekret vom 18. Mai 1922 dem Wiener Erzbischof Kardinal Piffl als Apostolische Administrator zur kirchlichen Verwaltung übertragen worden"®). Das in der Hauptsache von Deutschen und Kroaten bewohnte Gebiet zählte an die 260.000 Katho liken, 157 Pfarreien und an die 170 Priester, als er mit 24. September d. J. zu seiner Riesendiözese auch noch diesen Kirchen- und Seelsorgssprengel dazuzunehmen hatte. Schwierige Fragen und Probleme zwischen Staat und Kirche, darunter wohl als schwierigstes die (hier konfessionelle = katholische) Schulfrage gab es nun zu lösen. Das mag den Administrator mitveranlaßt haben, Kanonikus Dr. Hlawati als erprobten Schulexperten (Professor und Anstaltsleiter) zum Provikar, d. i. Stell vertreter und Mitarbeiter, ernannt zu haben. Um sich und ihn gleich praktisch einzuführen,„wollte er doch die seiner Hirtensorge nunmehr anvertraute katholische Bevölkerung und die kirchlichen Verhältnisse des Bur genlandes wenigstens einigermaßen aus eigener An schauung kennenlernen", wie er in seinem Schreiben an die Dechanten erklärte"'*), unternahm er mit seinem Provikar seine erste Visitationsreise, die sie beide von Frauenkirchen (am 29. September) bis nach Jenners dorf (9. Oktober)führte. Sie wurden überall von Klerus und Bevölkerung überaus herzlich empfangen. Die Hauptlast der Verwaltung und Schwierigkeiten fielen natürlich auf Provikar Hlawati, der kein leichtes Beginnen hatte, stand er doch buchstäblich vor dem Nichts. Es gab kein Einkommen, kein Vermögen, kein Geld. Der Provikar hauste zuerst im Wiener erz bischöflichen Palais, wo eine ausgeborgte Schreib maschine das erste Inventar bildete und er selbst vom Aufschneiden der Kuverts über die Aktenbehandlung bis zur Postabfertigung alles in einer Person erledigen mußte. Nach der Übersiedlung ins Kurhaus am Ste phansplatz 3/III, weitete sich damit das Amt auf vier Räume aus, die aber mit vom Bundes-Mobilienverteilungs-Ausschuß ausgeliehenen Möbelstücken „aus gestattet" waren. Das Personal stieg auf eine Schreib kraft an, bis sich dann ein richtiger Kanzleibetrieb mit zwei geistlichen Sekretären und einem Laien-Kanz listen eingespielt hatte""). Ab 1. November 1922 konnte bereits ein kirchliches Amtsblatt „Amtliche Mitteilun gen") erscheinen, um den nötigen Amtsverkehr zu garantieren und eine einheitliche Zusammenwirkung mit dem Klerus einzuleiten. Da hier keineswegs eine ausführliche oder gar erschöpfende Darstellungen der Leistungen des Pro-; Vikars beabsichtigt ist, im Gegenteil eine möglichst genaue Erforschung und Darstellung aus den Archiv beständen und anderen Quellen und der Literatur in einer Dissertation in Aussicht steht""), sei nur einiges aus den Artikeln der zwei Gewährsmänner beigebracht: Diözesanbischof DDr. Stefan Läszlö, der Provikar Hlawati noch persönlich kannte und als Sekretär der Kanzlei der Apostolischen Administratur in Sauerbrunn 1950 seinen Bericht abfaßte"'), und Kanonikus Regens Josef Rittsteuer, der in seinem „Beitrag zur Geschichte der Diözese Eisenstadt" 1968 die Tätigkeit des Pro vikars mit:„Harter Anfang (1922—1932)" überschrieb"®). Zu den bekannten Schwierigkeiten und Nöten als den Folgeerscheinungen des Zusammenbruchs der österreichisch-ungarischen Monarchie kamen die politi schen Auseinandersetzimgen und Parteienkämpfe bis in die kleinste Gemeinde, die gemischte Zusammen setzung eines dreisprachigen und dementsprechend nationalbestimmten Klerus, akuter Priestermangel, da ungarische Kleriker in ihre Heimatgemeinden Raab und Steinamanger zurückberufen wurden oder frei willig heimkehrten, andererseits Priester aus fremden Diözesen und auswärtigen Orden zuzogen und ein gesetzt werden mußten, die ungünstige finanzielle Situation des Klerus, das Problem der konfessionellen (kirchlichen) Schulen, das vielleicht die heikelste Frage bildete usw. Mit geduldiger Kleinarbeit und pastoralem Ge schick konnten allmählich Lösungen erarbeitet werden und bald ging es merklich aufwärts. Die Rechtsverhält nisse des Klerus und der Kirche wurden geregelt; eine neue Einteilung der Dekanate und die Dechantenkonferenz eingeführt. Ab 1925 trat an die Stelle des sehr magyarisch betonten St. Stephanstages(20. August) der Festtag des nunmehrigen Landespatrons des Bur genlandes, des hl. Martinus (11. November), wodurch und durch andere glückliche Maßnahmen sich eine allmähliche Umerziehung zum österreichischen Staats gedanken anbahnte und weiterentwickeln konnte. Dem so spürbaren, nach Kardinal Piffl katastrophalen Prie stermangel, wie er in seinem ersten Fastenhirtenbrief im Jahre 1923 darlegte, wurde dadurch abzuhelfen ver sucht und tatsächlich mit der Zeit auch abgeholfen, daß das Hilfsseminar des Canisiuswerkes in Ober St. Veit (Wien XIII) und das Knabenseminar in (Ober-)Hollabrunn und das Wiener Alumnat ihre gastlichen Pforten für einen burgenländischen Klerikernachwuchs öffne ten und offenhielten. Und der burgenländische Klerus meisterte bald die neue seelsorgliche Lage und ■wuchs von Nord und Süd zu einer diözesanen vorbildlichen Einheit zusammen. Im Schulproblem konnte unter Bei ziehung und Mitwirkung der Lehrerschaft eine wich tige Überleitung gefunden werden und vermochten sich später anbahnende Lösungen vorzubereiten. Das katholische Vereinswesen, darunter vor allem die Jugendvereinigungen beiderlei Geschlechts (Reichs bund, Mädchenbund, Kongregationen), wurde in beson derem Maße gefördert und zeigte bald schöne Früchte, wie z. B. die Heerschau des Reichsbundes der katho lisch-deutschen Jugend Österreichs zu Pfingsten 1932 in Eisenstadt allen deutlich machte. Große Katholiken tage hoben mächtig das katholische Bewußtsein der Bevölkerung u. n. a. m., alles Erfolge, die es angebracht erscheinen ließen, nach einem Dezennium eine öffent liche und feierliche Dankabstattung an den Apostoli schen Administrator Kardinal Erzbischof Piffl und sei nen unermüdlich und redlich bemühten Provikar, der inz'wischen mit der Würde eines Apostolischen Pro notars auch die Befugnis zur Firmspendung erhalten hatte, zu veranstalten. Da starb unerwartet am 21. April 1932 der Kardinal, wodurch das Provikarsamt erlosch. Nach der vorübergehenden Leitung durch den Kapitelvikar von Wien, Weihbischof Dr. Franz Kamp rath, und der Weiterbetrauung des bisherigen Pro vikars wurde durch die Ernennung Universitätspro fessors Prälat Dr. Theodor Innitzer zum Erzbischof von Wien am 19. September 1932 (konsekriert am 16. Okto ber und feierlich inthronisiert am 30. d. M.)"®), ein Personalwechsel durch eine jüngere Kraft und einen bodenständigen Burgenländer fällig. Provikar Hlawati „bat um Enthebung" und an seine Stelle trat der aus 37

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