Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

ben ließen, bei einer Seelenzahl von über 1500 gewiß beachtlich. Zur Förderung der Marienverehrung stellte er 1895 eine damals beim Volk sehr beliebte MariaLourdes-Statue auf. 1893 gründete er den katholischen Lese-Verein mit dem Ziel, „die Leute mit guter und billiger Lektüre zu versehen", der vortrefflich gedieh und durch seine Werbung auf den Dekanatskonferen zen in der ganzen Gegend bekannt wurdeiö). „Je länger er in Guntersdorf war, desto inniger wurde sein Kontakt mit seinen Pfarrkindern und desto mehr fühlte er als wahrer Freund des Volkes und der Bauern in sich das Bedürfnis, auch auf das Gebiet ihrer täglichen Sorgen und ihrer irdischen Angelegen heiten herabzusteigen, ihnen auch in wirtschaftlicher Hinsicht an die Hand zu gehen"i6). Als erfahrener Bienen- und Obstbaumzüchter legte er 1894 im Pfarrhofgarten eine Baumschule mit 900 Veredlungen (Birnen und Äpfel) an, konnte sie bald noch erweitem imd schuf dadurch ein Musterbeispiel für diese Gegend. Zur gleichen Zeit rief er ein land wirtschaftliches Casino und eine „Orts-Rindvieh-Ver sicherung" ins Leben und warb durch Aufklärung für neue Betriebsmittel. Mögen beide Vereine ihr gesteck tes Ziel erreichen: die Förderung und Hebung der Landwirtschaft, vennerkte er im Gedenkbuchiß). 1896 begründete er eine Spar- und Daiiehenskasse nach System (Friedrich Wilhelm) Raiffeiseni'), „um den Leuten billige Credite in diesen sdilediten Zeiten zu verschaffen"i8). im Verein mit einem verständigen Bürgermeister gab er die Anregung zur Umwandlung eines Feldweges in eine Bezirksstraße nach dem benachbarten Großnondorf, um dadurch auch gute Wege zu den Grundstücken zu gewinnen und den Leuten durch Schotterlieferung einen Zusatzverdienst zu verschaffen. Weiters verhalf er durch Gründung und Leitung einer Drainage-Genossenschaft dazu, daß die versumpften Grundstücke entwässert werden konn ten und dadurch eine größere Ertragsfähigkeit erreicht wurde. Freilich, versicherte er nüchtern im Gedenk buch, „kosteten diese Unternehmungen lange Vorberei tungen bei den Behörden und vornehmlich viel Mühe, bis die Leute, die ja allen Neuerungen bedenklich ge genüberstehen, sich dazu bewegen lassen", und war dafür kein Dank zu ernten. „Die fortschreitende Zeit wird aber in dieser Sache Gerechtigkeit wiederfahren lassen"i0). Schließlich sei noch erwähnt, daß er sich in hervorragender Weise auch an der Gründung der Lagergenossenschaften und der landwirtschaftlichen Winterschule im Bezirk Hollabrunn beteiligte20). Nach und nach wurde doch allgemein seine Tüch tigkeit und seine Erfahrung geschätzt, was schließlich dazu führte, daß er am 3. November 1899 von einer Vertrauensmänner-Versammlung in Wien als Kandidat für die im Jahr 1901 stattfindende Reichsratswahl auf gestellt wurde. Nadi 40 Wählerversammlungen wurde er am 9. Jänner 1901 mit 5480 gegen 3840 Stimmen zum Vertreter des Landbezirkes Korneuburg-Oberhollabrunn in den Reichstag und am 28. September 1902 mit 2241 gegen 709 Stimmen als Abgeordneter für den Bezirk Haugsdorf-Oberhollabrunn in den nö. Landtag gewählt. Begründung; „wegen seiner Erfahrung in allen wirtschaftlichen und vor allem in den Weinbau fragen". Ein Curiosum war, daß er dabei den ehemali gen Bürgermeister von Mödling und „Retter des Wienerwaldes", Josef Schöffel, aus dem Mandatssitz verdrängte und somit dessen Nachfolger wurdesi). Darob: Fadcelzug, Siegesfeier, selbstverständlich, lautet seine Notiz im Gedenkbuch. Sein Mandat galt als so unbestritten, daß im Parlament das Scherzwort umging, für Kühschelm wäre selbst Dr. Lueger kein unüber windlicher Gegenkandidat22). Der Gewählte nahm nun „dieses unbedingte persön liche Vertrauen seiner engeren und engsten Lands leute" und des von ihm als notwendige Bauernorgani sation nach Kräften geförderten nö. Bauernbundes — vorbildlich für jeden echten Volkspolitiker — ernst; in der Periode des wütenden deutschnational-liberalen und sozialdemokratischen Antiklerikalismus eine nicht zu unterschätzende Abwehrleistung von Seiten eines Klerusvertreters. „Jeder, der ein Anliegen hatte, wenn es auch pri vatester Natur war, wie z. B. in Militärangelegenheiten, ging ,zum Dechanf." Wenn man an Sonn- und Feier tagen oft zwanzig,ja noch mehr Leute vor der Kanzlei des Abgeordneten stehen sah, jeder ein Anliegen auf dem Herzen oder in der Tasche, so kam es einem vor, als ob jemand draußen in den Gemeinden sagte: „Geht alle zu Josef"! Noch auf seinem Krankenlager ließ er eine Menge Briefe schreiben, um anderen zu helfen. So machte er die Sorgen aller zu seinen Sorgen, und die Arbeiten und die Gänge, die daran hingen, erdrückten daher seine Gesundheit..." So faßte ein Wissender im Nachruf die verzehrende Tätigkeit zusammen^»). Auch begabte Bauernsöhne, die er zum Studium und dadurch in gehobenere Stellungen brachte24), wußten darum. Nun, im Licht der Öffentlichkeit stehend, konnten auch verschiedene, sicher wohlverdiente Ehrungen nicht ausbleiben. So bot das 25jährige Priesterjubi läum im Juli 1903 den willkommenen Anlaß zu einer kirchlichen und weltlichen Feier, wobei ihm die christ lichsoziale Partei eine „prachtvolle" Adresse über reichen ließss). Ehrenbürger-Ernennungen folgten in der Pfarrgemeinde Guntersdorf, im Geburtsort Ulridiskirchen und wuchsen auf die Zahl 52 an26), gewiß ein nicht alltäglicher Vertrauenserweis. 1904 erhielt er das Ritterkreuz des Franz-Josefs-Orden überreicht^?). Leider sollte sich der Geehrte nur noch eines kurzen Lebens erfreuen können. Schon 1904 mußte er sich wegen eines Nierenleidens einer Kur in Karlsbad unterziehen, die er in Gesellschaft mit Bürgermeister Dr. Karl Lueger und I. Vizebürgermeister Josef Strobach verbringen konnte; 1905 zwang ihn ein altes Herzleiden zu einem Aufenthalt in Franzensbad und 1906 in der Wasserheilanstalt in Schönau b. Steyr. Das Wahljahr 1907 stellte aber erhöhte Anforderungen, brachte zwar eine glänzende Wiederwahl in beide Körperschaften, nahm ihm aber jede Möglichkeit für Kur und Erholung, und so kehrte Dechant Kühschelm im Herbst von der Wallfahrt nach Mariazell, wobei er die neue Landesbahn benützen konnte, todkrank zu rück. Noch war ihm die Renovierung des Hochaltars gelungen, dann siechte er in dreimonatiger Krankheit dahin, bis der Tod den erst Zweiundfünfzigjährigen am 11. Jänner 1908 erlöste. 80 Priester gaben ihm am 14. d. M. das letzte Geleit zur Gruft in der Friedhofs42

RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=