Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Aber Kardinal PiffI änderte seine abwartende Hal tung zunächst nidit. Wohl gelang am 15. Oktober 1915 die Gründung eines „Katholischen Pfadfinderbundes St. Georg" in Wien®), in dessen Leitung das f. e. Ordi nariat Kanonikus Dr. Eduard Krauß (1867—1927) als seinen Vertreter entsandte^®), doch gelang es diesem Verein nicht, den Weg an die breitere Öffentlichkeit und zur Jugend Wiens zu finden, während anderer seits das von Hptm. Emmerich Teuber (1877—1934) im Oktober 1912 gegründete interkonfessionelle „Wiener Pfadfinderkorps" bereits seine erste Blüte erlebte^^). Das Mißtrauen des Wiener Erzbischofs und anderer Oberhirten Österreichs scheint sich in den Wirren um den Zusammenbruch der Monarchie eher noch ver stärkt zu haben. Was man schon länger in Mutmaßun gen weitergab, schien nun seine Bestätigung zu fin den; Das Pfadfindertum ist eine freimaurerische An gelegenheit^®). heit, rückblickend auf seine alpinistische Tätigkeit, von sich bekannte, daß das Pfadfindertum „auch ein wenig das seine gewesen sei"^'). Die Lösung dieser Schwierigkeit lag auch hier in einer Unterscheidung: Im Pfadfindertum, das heißt in seinen Zielen und Methoden, gibt und gab es nidits Freidenkerisdies. Das hinderte jedoch nicht, daß dieses pädagogische System auch in die Hände von Frei maurern geriet, in denen es zu einer tödlichen Gefahr für die Seelen der Buben und anderer Führer werden konnte. Spätestens im Jahre 1919 suchte auch eine Wiener Loge Einfluß auf den damaligen interkonfes sionellen „österreichischen Pfadfinderbund" (gegrün det 1914) zu gewinnen, als ein prominenter Wiener Pfadfinderführer sich der Freimaurerei zuwandte und bald das Amt eines Sekretärs in der genannten Loge bekleidete. In seiner Pfadfinderarbeit konnte er nun auch auf Geldmittel der Loge zählen^®). Es ist das Verdienst des aus Graz kommenden katholischen Feldmeisters Adolf Klarer^"'), das Miß trauen Kardinals Piffls gegenüber dem Pfadfindertum in unermüdlichem Bemühen endlich zerstreut zu haben. Und die „Bekehrung" des Kardinals war denn audi vollkommen. So berichtet P. Johann Reisenberger SJ. über die Weihnachtsfeier des Jahres 1922 in der von Ing. Peter Fruhwirt in der Wiener Josefstadt ge gründeten Pfadfindergruppe; „An manchen Tagen fuhr er (d. i. Piffl) von Funktion zu Funktion. Von einem Sonntag weiß ich, da kam er zuletzt — es war das sediste Auftreten, die sechste Ansprache dieses Tages — zu den katholischen Pfadfindern, so freund lich, so herzlich, gütig, daß man ja nicht merke, wie müde er schon ist, und schließlich ging er sogar auf die Idee der Buben ein und setzte sich — es war eine pfadfinderische Krippenfeier — mit den Buben in das Strohlager, nur durch einen einfachen Holzsessel vor ihnen ausgezeichnet — der Thron des Volksbischofs. Es war eine unglaubliche Herablassung und dabei so natürlich, so selbstverständlidi, als wenn ihm nicht mehr gebührte. Niemand erfaßt diese innere Demut rascher als die Kinder..."^®) Vielleidit findet dieser Umschwung in der Haltung des Kardinals auch darin seine Erklärung, daß am 6. Februar 1922 in Achille Ratti ein Papst den Stuhl Petri bestiegen hatte, der schon wenig später, näm lich am 23. April desselben Jahres, die römischen Pfad finder empfangen und ihnen eine sehr herzliche An sprache gewidmet hatte^®) und bei anderer GelegenDie katholischen Pfadfinder Österreichs hatten nunmehr im Wiener Oberhirten einen warmherzigen Fürsprecher und tatkräftigen Förderer gefunden. P. Reisenberger SJ. erhielt die Ernennung zum ersten, gemeinsamen Kuraten der katholischen Gruppen Wiens, die als Kolonne IX noch innerhalb des öster reichischen Pfadfinderbundes organisiert waren"^'^). Volle Entfaltungsmöglichkeit war ihnen und den ka tholischen Gruppen in den Bundesländern (Graz, Linz, Ischl u. a.) aber erst beschieden, als mit der Gründung des „österreichischen Pfadfinderkorps St. Georg" am 4. und 5. April 1926 in Bad IschP®) und dessen An schluß an den „Reichsbund det katholischen deutschen Jugend Österreichs" im Frühjahr 1927®®) eine feste organisatorische Form gefunden worden war. Nun häufen sich auch die Zeugnisse für das Wohlwollen und die Förderung Kardinal Piffls: So manche Wiener Gruppe durfte sich z. B. rühmen, im Park des eb. Schlosses in Kranichberg gelagert zu haben®^). Die Führerschaft wiederum war am 12. Nov. 1928 zu einem feierlichen Empfang im eb. Palais geladen, wo sie der Kardinal durch eine herzliche Ansprache ehrte®®). An läßlich des St. Georgstages 1930 riditete er ein pro grammatisches Schreiben an das österreichische Pfadfinderkorps St. Georg, in dem er dessen Ausbreitung und Geist lobte und besonders „die Ubereinstimmung mit jenen Grundsätzen der Erziehung, welche der Hl. Vater Pius XI. in seiner Enzyklika über Jugend erziehung festgelegt hat", hervorhob®®). Die Internationale Konferenz der Pfadfinderführer in Baden b. Wien vom 23. bis 29. Juli 1931 bedeutete einen wahren Höhepunkt für die östereichische Pfad finderbewegung. Neben Präsident Miklas, Bundes kanzler Buresch u. a. fand auch Kardinal Piffl wieder kostbare Worte der Wertschätzung. Bei der Einwei hung einer neuen Hütte der St. Georgspfadfinder in Baden erklärte er rundweg, daß es für den Bischof einer 2'/2-Millionen-Diözese selten Tage so reiner See lenfreude gäbe wie gerade diesen Tag®^). Aus seiner großen Rede im katholischen Gesellenvereinshaus sei hier wörtlich wiedergegeben; „Die große Bedeutung der Pfadfinderbewegung hat der heutige Tag klar und deutlich bewiesen, sind doch Pfadfinderführer aus allen Ländern der Erde herbeigeeilt, um hier in ge meinsamer Beratung mit dem obersten Chef die wei tere Entwicklung zu besprechen. Der große Gedanke der Hilfsbereitschaft, der sie alle eint, ist so edel, daß man sagen kann, es müßte das Pfadfindertum geschaf fen werden, wenn es nicht schon bestünde. Hilfsbereit schaft ist auf zweifache Weise möglich, entweder als das natürliche Erbarmen des guten Menschen, oder im Hinblick auf die übernatürliche Wirkung des guten Werkes. Das ist besonders die Hilfsbereitschaft der katholischen Pfadfinder. Das Pfadfindertum steht unter einem glücklichen Stern. Die Jugend sucht heute mannigfache Wege, sie will selbst herauskommen aus dem Sdimutz, der sie umgibt, aus dem Morast, dem leider heute ein Großteil verfallen ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann auch der Zahl nach diese Be wegung an der ersten Stelle der katholischen Jugend28

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