Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

hatte. Als Kelch benützte ich entweder ein kleines Trinkglas oder einen Blechlöffel. Es war schon recht arm, wie ich da den Heiland zu mir bat, aber seine Liebe und seine Herrlichkeit wurden dadurch nicht gehindert, im Gegenteil, ich habe kaum mit solcher Hingebung und Freude sonst zelebrieren können wie da im Kerker, wenn ich den Heiland so ganz allein vor mir auf einem kleinen Korporale liegen hatte. Ich habe auch sonst nicht vergessen, daß ich Prie ster bin. Schließlich ist man ja Priester in jeder Situa tion, die unser Hergott zuläßt So mußte ich es auch im Kerker sein. Für mich allein natürlich, dann aber auch für meine Mitgefangenen. Es war uns natürlich streng verboten, mit anderen in Verkehr zu treten. Aber an dieses Verbot habe ich mich nicht gehalten, ich habe anderen geholfen, wo und wie ich nur konnte. Ich habe Sakramente gespendet (Beichte, Kommunion und an einem Juden auch eine Taufe), ich habe mehrere Protestanten oder Konfessionslose in die katholische Kirche aufgenommen gegen nachträgliche formelle Genehmigung durch die bischöfliche Behörde, ich habe getröstet, geraten und gemahnt, wie ich es als Prie ster tun konnte und mußte. Während des Aufenthaltes auf der Roßauerlände habe ich an den Sonn- und Feiertagen 28 religiöse Vorträge gehalten und wohl jeden Tag in langen Auseinandersetzungen religiöse Aufklärung zu geben versucht. Als ich in Regensburg einige Zeit im Krankenhaus der Barmherzigen Schwe stern war, habe ich nicht nur jeden Tag in der Kapelle zelebriert, sondern auch Beichte gehört, Sterbesakra mente gespendet und öffentlich gepredigt. Freilich waren einzelne Ärzte entsetzt über meine Kühnheit, aber da ich nichts Unrechtes redete und es schließ lich niemand verboten hatte, wirkte ich da ohne jede Einschränkung als Priester. Ich konnte in der Zeit meiner Haft, da ich ja immer in Schutz- oder Untersuchungshaft war, lesen, studieren und schreiben. Es war mir möglich, alle Fächer der Theologie an der Hand der neuesten theo logischen Lehrbücher zu wiederholen. Ich konnte eine Reihe von schriftlichen Arbeiten machen. So brachte ich mein großes Heiligenbuch fast zur Vollendung (rund 4000 Druckseiten), ich schrieb Erwägungen für Weltpriester und Seelsorger mit dem Titel „Leben und Arbeit", ich schrieb einen „Kreuzweg" und ein „Rosen kranzbüchlein", ferner die „Geschichte meines Heimat ortes Eibestal" und brachte eine lokale Sage aus mei ner Heimat „Ein Bauerngericht" in der Form einer längeren Erzählung zu Papier. Selbstverständlich mußte ich auch an den Arbeiten teilnehmen, wie sie sonst den Gefangenen auferlegt sind. Um nur einiges zu nennen: 200 kg Bohnen waren zu sortieren, 42.700 Postschnüre zu knüpfen, 141 alte Kleidungsstücke zu trennen. Schreib- und Rechen arbeiten für die Gefängnisverwaltung zu leisten, eben so in der Bibliothek. Ich mußte beim Holztragen und Holzschneiden mithelfen, desgleichen beim Führen von Koks vom Bahnhof in den Gefängniskeller. Im Jahre 1942 und 1943 arbeitete ich auch im Garten des Gefängnisses und bei einem Gärtner in der Stadt Regensburg. Wir mußten, sechs Wiener Kameraden, schwer beladene Holzwagen durch die Stadt Regens burg führen, fünf Tage lang hatten wir beim Ein- und Ausladen von Eisenbahnwaggons zu arbeiten. Diese Arbeiten hatte ich in Regensburg zu leisten, dazu noch eine Reihe kleinerer Arbeiten wie Kraut ein schneiden usw. Im Wiener Gefängnis hatte ich bloß beim Kleben von Papiersäcken zu helfen. Die Kost war entsprechend den Verhältnissen eben auch die meiste Zeit sehr mager. Es war aber immerhin etwas, wenn auch viele meiner Kameraden über die ungute Art der Zubereitung oft sehr auf gebracht waren. Die Behandlung, die mir persönlich zuteil wurde, war nicht schlecht. Man war natürlich nicht außer ordentlich freundlich, aber immerhin auch nicht un freundlich. Ich wollte nichts Besonderes für mich, erwartete es auch nicht. Einzelne Aufseher, die reli giös gesinnt waren, haben mich schon als Priester Sehl- geachtet und entsprechend freundlich und mit Achtung behandelt. Sonst aber schloß ich mich von den allgemein üblichen Methoden nicht aus, ich wollte schon aus kameradschaftlichem Geist heraus keine be sondere und keine bessere Behandlung haben. Öfter freilich konnte ich feststellen, daß die Aufseher mit Rücksicht auf mich auch meine Kameraden besser und entgegenkommender behandelten. Das war auch sicher bei manchen ein Grund, warum sie mich persönlich ganz gern hatten. Die bessere Behandlung war für viele halt doch auch ein Vorteil. Natürlich, ich hatte ein freundliches Wort auch lieber als grobe und bös willige Methoden. VI. Geldstrafe wurde mir keine auferlegt. Ich hatte auch keine Gerichtskosten zu zahlen. Wohl des halb, weil ich eigentlich offiziell während der Nazi zeit immer noch ein Gefangener und noch nicht in Freiheit war. Es ist nämlich Tatsache, daß Ober regierungsrat Dr. Ebner von der Wiener Gestapo auf viele Interventionen von einflußreichen Freunden (den letzten entscheidenden, lange Zeit hindurch mühsam vorbereiteten Anstoß zu meiner Befreiung gab mein Freund Heinrich Arnoldi) hin mich am 23. Mai 1944 frei ließ und in die Verbannung schickte, obgleich von Berlin ausdrücklich der Auftrag gekommen war, daß ich in das Konzentrationslager nach Dachau zu senden sei. Von Berlin aus war ich bis zur Befreiung Öster reichs eigentlich immer noch ein Gefangener, wäh rend ich tatsächlich als sogenanntes „Unterseeboot" in Nordböhmen und in Wien lebte. VII. Die Landesverweisung, die ich vom Mai bis Mitte September 1944 hatte, dann das geheime Wohner) bis zum 10. April 1945 waren persönliche Verfügungen des Oberregierungsrates Dr. E.. Ich war dadurch gehindert, öffentlich aufzutreten und zu arbeiten. Frei lich ließ ich mich persönlich nicht hindern, trotzdem in meiner Weise, in meinem Berufe und zur Stärkung der positiven, der katholischen Sache tätig zu sein. Schlußbemerkung Ich habe in den viereinhalb Jahren Kerker und mehr als zehn Monaten Verbannung einiges mitmachen können und müssen. Ich habe dabei aber nie verges sen, daß ich ein katholischer Priester bin und daß ich auch in Banden und in der Unfreiheit im Sinne meines Priestertums leben und tätig sein muß. Ich glaube mit gutem Gewissen sagen zu können, daß ich in dieser nicht ganz leichten Situation im Sinne meines Priestertums manches für unsere katholische Kirche, für unsere katholische Sache und für nicht wenige Menschen tun konnte, besonders auch für Menschen, die sonst nie Gelegenheit gehabt hätten, mit einem katholischen Priester zusammenzukommen. Wenn ich auf die Erfahrungen und meine besondei-en Arbeiten im Sinne meines Priestertums zurück schaue, bedauere ich es nicht, daß ich im Kerker und in der Unfreiheit war. Ich danke mit ehrlicher, inne rer Gewissenhaftigkeit unserem Herrgott, daß er mir diese Zeit so geschenkt hat. Ich habe persönlich für meine seelische und geistige Einstellung und Haltung in diesen Jahren sehr viel lernen und gewinnen können. Wenn ich von unserem Herrgott die Möglichkeit bekäme, die vergangene Zeit so zu lassen, wie sie war, oder sie mit erfolgreichster öffentlicher Arbeit in voller Freiheit ausnützen zu können, würde ich in Anbetracht dessen, was ich erlebt und erfahren habe, ohne viel Überlegung sagen: Herrgott, laß mir die Jahre des Kerkers so, wie sie waren. Ich kann dir nur danken dafür, danken für mich, danken aber auch für die Erfahrungen und das Sammeln ganz neuer Kräfte, mit denen ich jetzt für dich arbeiten darf. Wien, 12. Dezember 1945 J. Fried *) Siehe dazu: Martin Riedlinger: Prälat Jakob Fried. Anmerkungen zum 70. Geburtstag. Wien 1955, 39 Seiten und 14 Abbildungen. — Wiener Kirchen zeitung, 48. Jahrgang (1967), Nr. 22 (Ein Leben für die Kirche von Weihbischof J. Weinbacher). — Volksblatt 1967, Nr. 114 vom 19. Mai. — Die Presse vom 20./21. Mai 1967, S. 8. 40

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