einschätzte, daß er ihn bei den wichtigsten Angelegen heiten zu Rate zogss). Sogar Mitglieder des Kaiser hauses, wie die Kaiserin-Mutter Carolina Augusta, Witwe nach Kaiser Franz I. (seit 1835, t 1873), ver trauten sich ihm als ihrem Beichtvater an56). Wie Klemens Maria Hofbauer57) drängte es auch ihn aus dem Beichtstuhl bei St. Stephan hinaus, um jede Pastorale Gelegenheit zur Spendung des Buß sakramentes zu nützen und dadurch zu trösten und zu befrieden. Unermüdlich ging er den Kranken sogar in den Vorstädten und Vororten nach und suchte sie in ihren Privatwohnungen, in den öffentlichen An stalten und Spitälern auf, selbst mit der Gefahr des Lebens zur Zeit der Besetzung Wiens durch die Fran zosen in den Jahren 1805 und 18095S). Seine besondere Hirtensorge galt auch den Gefangenen, weshalb er viele Jahre hindurch Sonntag für Sonntag die Ge fangenenhäuser aufsuchte, wozu er eine spezielle Er laubnis hatte. Bezeichnend für den echten Seelsorger ist dabei, „daß er nie eintrat, ohne vorher in der nahe gelegenen Kirche gebetet zu haben — für sich, damit ihm Gott das rechte Wort auf die Zunge lege — für den Sünder, damit er die Sünde erkenne, bereue, beichte und mit Gott sich aussöhne"S9). Richtig am Herzen lagen ihm die zum Tod Verurteilten<>0), so wenige es auch damals noch sein mochten. Bekannt wurde Schmid dabei durch seine Begegnung mit dem langgesuchten, berüchtigten und gefürchteten Raub mörder Johann Georg (Hans Jörgel) Grasel (als Sohn eines „Wasen- bzw. Schinderknechts" am 20. April 1790 zu Neu-Serowitz in Mähren geboren und wahrhaft unsteten Aufenthaltes)®!) und dessen Spießgesellen, um deren Bekehrung er sich mit Eifer und Geduld bemühte. Grasel zählte 25 Jahre, als man endlich unter Aufgebot aller List in Mörtersdorf (bei Drei eichen, Waldviertel) seiner habhaft geworden und ihn in der Nacht vom 21. auf den 22. November 1815 in das Kriminalgericht (die Schranne auf dem Hohen Markt, Wien I), an Händen und Füßen gefesselt, über stellt hatte®2). Nach Abschluß der zehnmonatigen Untersuchung war dann Grasel mit seinen sieben „militärischen Lastergespänen" (22. Oktober 1816) in das Stabstock haus (die Salzgrieskaserne beim Neutor) überführt worden und wartete auf das Todesurteil, das im Jänner 1818 über ihn und seine beiden Hauptgenossen, Jakob Fähding und Ignaz Stangl, verhängt wurde"-''). Graseis arger Verbrecher-Katalog wies die Zahl 202 aus, darunter 194 Hauptverbrechen und 8 Diebstähle als Soldat bzw. Deserteur^ü. Der seit seiner Einlieferung und nun erst recht seit dem Todesurteil im Mittelpunkt des allgemeinen Gespräches stehende große Sünder mußte selbstver ständlich einen guten Hirten wie Schmid erregen und befassen. Im Stil der Zeit berichtet die biographische Skizze wie folgt: „Während der Zeit, als er (Schmid) das Gefängnißhaus besuchte, traf es sich, daß ein berüchtigter Ver brecher...in dasselbe Gefängniß versetzt wui'de, wohin Schmid zu gehen gestattet ward. O, wie inbrünstig betete er, und mit ihm so manche liebverwandte Seele für den Unglücklichen mit dem stillen Sehnen, daß es Gott gefallen möge, ihm eine Thür zu dem Herzen des Tiefgefallenen zu öffnen! Und siehe, nach einiger Zeit fügte es Gottes Erbarmung,...daß dieser in die Nähe jener Localitäten gebracht wurde, wo der fromme Meister den Religions-Unterricht ertheilte. Da erhöhte er seiner Stimme Kraft, auf daß seiner Rede Laut auch zu des Unglücklichen Ohren gelangen könnte. Er ließ ihm, dem Unbekannten, eine kleine Gabe zur Labung zurück. Und, wie erfreut war seine Seele, als derselbe ihn zu sprechen verlangte! Wie pries er den Herrn, als er unter Gottes Segen Eingang fand in das ver finsterte Herz des Blutbefleckten"®^). Der mit unerhörter Körperkraft, Geschicklichkeit, Tatkraft, Beeinflußung anderer, also richtiger Führer begabung ausgestattete Delinquent und Anführer — „das Verzeichnis der zu der Johann Georg Graselischen Räuberbande gehörigen Mitverflochtenen" nannte 214 Personen — konnte aber weder Lesen noch Schreiben, besaß dafür ein glänzendes Gedächtnis®®). Kurat Schmid ließ es sich nun nicht verdrießen, kaufte das A B C-Täfelchen und lehrte Grasel lesen, „damit —, was das verschallende Wort in der Seele weckte, durch das gedruckte zur segensreichen Frucht gedeihe... Der Unglückliche wurde des treuens Dieners Gottes Lehrling"®'). Der Priester gewann das volle Ver trauen, der Delinquent fand eine Ruhe und legte eine Haltung an den Tag, die allgemeine Bewunderung er regte, wie Augenzeugen bestätigen und über den letzten Gang weiter berichten: Die zum Tod Verurteilten waren am Tag vorher (30. Jänner 1818) zum öffentlichen Besuch zugäng lich... Während die zwei Mitverurteilten wilde Ge sichter zeigten, war bei Grasel das Gegenteil der Fall. Er unterhielt sich mit (s)einem Feld-Caplan — war standhaft. Er erbat sich (nämlich) als Seelsorger den Priester Schmitt (richtig Schmid), der ihn wiederholt schon im Arrest besucht hatte. Der bestätigte, Grasel habe ein für Religion und alles Gute empfängliches Gemüt gehabt und wäre, wenn er eine andere Erzie hung genossen und nicht unter dem Einfluß seines scheußlichen Vaters®®) gestanden, ein ebenso würdiges Glied des Staates wie viele andere geworden. „Samstag, den 31. Jänner, an einem nebeligen Morgen (8 Uhr), fand unter ungeheurem Zulauf die Hinrichtung vor dem Neutor auf dem Glacis (in der Nähe der heutigen Rossauerkaseme) statt. Seine Be gleiter zeigten sich sehr schwach. Stangel war sogar einer Ohnmacht nahe und wurde von dem begleitenden Geistlichen geführt. Grasel — der den Tod durch Pulver und Blei als eine besondere Gnade empfunden hätte — sah mit voller Geistesgegenwart genau zu, wie seine beiden Mitverbrecher mit dem Strang hinge richtet wurden,und trat dann festen Fußeszum Galgen, entkleidete selbst Hals und Brust, dankte Kuraten Schmid mit Rührung für seine Bemühungen,küßte ihn und bat, seiner eingedenk zu sein, und stellte sich unter den Pflock so gerade hin, als ob er in der Linie stünde. Als nun der Henker an ihm sein Amt zu handeln begann und ihn unter der gewöhnlichen Formel bat, ihm seine Handlung zu verzeihen und keinen Groll auf ihn zu haben, da er nur seine Pflicht erfüllen müsse, wandte sich Grasel mit den Worten zu ihm: ,Ich verzeihe Dir von Herzen, mache es nur kurz, damit 37
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