Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

mögen Sie aus meinen Zeilen ersehen, daß ich eine nur gute Erinnerung an Möns. Gramann behalten habe und daß ich ihm wirklich zu großem Dank ver pflichtet bin.. Zuletzt sei noch ein Wehrmacht-Zeuge angeführt, der an einem der letzten Maitage d. J. 1944, knapp vor der Invasion anläßlich einer militärischen Kom mandierung nach Brüssel, Möns. Gramann als einzigen Bekannten aufsuchte und nachstehenden interessanten Bericht darüber veröffentlichte:(20) „Wir sprachen von der fernen Heimat und unseren vielen gemeinsamen Freunden, als Möns. Gramann plötzlich die Schreibtischlade aufzog und mir eine Mappe herüberreichte: ,Wollen Sie meine Sammlung sehen? Sie ist bestimmt eine der interessantesten der Welt'. Es waren Briefe, geschrieben in einer Form, welche bewies, daß die Schreiber in einer besonderen Situation gewesen sein mußten: Abgerissene Zettel, Teile von Zigarettenschachteln und ähnliches mehr, bedeckt von Schriftzügen, welche Erregung verrieten. Das war Möns. Gramanns Sammlung. .Jeder dieser Briefe hat seine Geschichte', fuhr Möns. Gramann fort, .keiner der Schreiber ist mehr am Leben'. Und dann erzählte der Priester die Geschichte der Briefe und damit die ihrer Schreiber. Möns. Gramann beherrschte fließend die franzö sische Sprache und so wurde ihm unter den Militärgeistlichen die schwere Aufgabe zuteil, die zum Tod verurteilten Belgier in den Todeszellen zu besuchen und auf den letzten Gang vorzubereiten. Eine beson dere Härte verbot es den Verurteilten, einen Priester aus dem Kreise ihrer Landsleute zu empfangen. Der Begriff des Beichtgeheimnisses war der Gerichtsbe hörde offenkundig fremd. Aber sie gestattete das Kommen eines deutschen Militärgeistlichen. Meistens war dieser sprachkundig.Dann konnte er nur die Abso lution erteilen und mit dem Todeskandidaten beten. Anders Otto Gramann, der die französische Sprache beherrschte. Er nahm die Beichte ab, aber nicht nur dies, er saß nächtelang bei den Opfern der Militärjustiz, sprach mit ihnen von den Familien und ließ sie unter dem Eindruck sterben, daß der letzte Mensch, mit dem sie gesprochen, ihr Freund und Bruder war. Und jeder der zur Hinrichtung Bestimmten gab zum Abschied Möns. Gramann einen Brief. Einmal war es ein herausgerissenes Blatt aus einem Notizbuch, ein mal der Deckel einer Zigarettenschachtel, ein drittes Mal ein anderer Behelf. Es waren .Autogramme' er schütterndster Art, Dank an den Priester und immer ein Hochruf auf das belgische Vaterland. Möns. Gra mann erzählte, daß keiner der Sterbenden die Tat bedauerte, die ihm den Tod gebracht. Das „Verbrechen" der meisten bestand darin, daß sie amerikanische oder englische Flieger, die im Fallschirm abgesprungen waren, in ihren Häusern beherbergt hatten. Ihr Tod sollte abschrecken, aber kein Belgier handelte im nächsten Fall anders als sie. Kam ein Mann — manch mal war es auch eine Frau — in die Lage, eine Hand lung zu begehen, die nach den Gesetzen der Be satzungsmacht den Tod brachte, so bedachte sich kaum einer; er nahm sie und ihre Folgen einfach als Schick sal hin. Wenn ich recht unterrichtet bin, ist es Möns. Gra mann nicht gelungen, seine eigenartige Sammlung durch den Krieg hindurchzuretten. Bestimmt ist wert volles Material verlorengegangen. Als aber nach Kriegsende belgische Offiziere nach Wien kamen, da haben sie Möns. Gramann besucht und ihm den Dank für die große seelische Hilfe ausgedrückt, die er ihren sterbenden Landsieuten gebracht hat. In Brüssel aber und in ganz Belgien wird heute der Name Otto Gra mann mit Ehrfurcht genannt. Er war einer der Öster reicher, die unserem Lande ungezählte Freunde er worben haben. In Belgien wird er niemals vergessen werden." Ja, Gramanns Seelsorgs- und Caritaswirken blieb unvergessen. Im April 1946 wurde er nach Belgien eingeladen und triumphal gefeiert, wie die auslän dische Presse berichtete. Der „Catholic Herald" ver meldete damals begeisternd:(21) „Belgien hat eben einen deutschen General empfangen. Allerdings muß man wissen, daß dieser ein kathol. Priester und Öster reicher ist, der im Krieg Generalvikar der deutschen Besatzungsarmee war und der in dieser Eigenschaft ein leuchtendes Vorbild christlicher Liebe und Opfer bereitschaft gegeben hat..." Der so Geehrte(22) zele brierte am 7. April in Brüssel unter der Assistenz von aus deutschen Konzentrationslagern zurückgekehrten Geistlichen ein feierliches Requiem für die Seelen aller, die während des Krieges unter der nazistischen Herrschaft in Belgien hingerichtet worden waren. Eine unübersehbare Menschenmenge mit dem Rektor der Universität Löwen an der Spitze bereitete ihm damals einen herzlichen Empfang.(23) Nachdem ihm sein Oberhirte, Kardinal Innitzer, die irdisch kaum zu belohnenden Leistungen und Ver dienste mit dem Titel eines Eb. Konsistorialrates(!) am 2. April 1947 bedankt hatte, starb Gramann schon am 10. November desselben Jahres im 62. Lebensjahr und 34. Priesterjahr nach einem äußerst schmerzvollen Leiden (Drüsenkrebs)', das der Leidgewohnte mit bei spielhafter Geduld und Aufopferung bis zuletzt im Lainzer Spital ertragen hatte. Seinem Wunsch gemäß wurde er am 15. d. M. unter großer Beteiligung auf dem Meidlinger Friedhof in der Familiengruft bei gesetzt.(24) Sein letzter Kommandant des Inf.-Reg. Nr. 84 aus dem I. Weltkrieg, General Czulik v. Thurya, hielt ihm die Grabrede und führte unter anderem aus:(25) „Mit Feldkurat Gramann ist ein vor dem Feinde hervorragend bewährter und mehrfach ausgezeichneter Priester nur zu früh von uns gegangen. Vornehme Lauterkeit seines Charakters, die Begeisterung für seinen priesterlichen Beruf, kameradschaftliche Treue und das volle Verständnis für die schweren und ver antwortungsvollen Pflichten des Soldaten im Kriege machten ihn für den wichtigen Posten eines Feldkuraten besonders geeignet. Selbst ein hingebungs voller Träger altösterreichischen Geistes, war er wie wenige berufen und befähigt, diesen Geist durch seine herrlichen Predigten den Soldaten des Feldregiments einzuimpfen. — Der Entschlafene hat sich unter uns durch sein leutseliges und allzeit freundliches Wesen viele Freunde erworben. — Ob in offener Feldschlacht oder im schweren Stellungskampfe, Gramann war immer dort zu finden, wo es am heißesten herging. — Den Schwerverwundeten und Sterbenden beizustehen und zu helfen, erachtete er als seine schönste priester liche Pflicht. Die Ausübung dieser hehren Pflicht, oft im schweren Artillerie- und Infanterie-Feuer bei völ liger Hintansetzung seiner persönlichen Sicherheit, löste unsere Bewunderung aus. Am Schmerzenslager der Verwundeten hatte er manche Not gelindert, durch seinen tröstenden Zuspruch manche geknickte Hoffnung wieder aufgerichtet, und endlidi so manchen braven Krieger zur letzten Ruhe gebettet. — Gramann war nicht allein Regimentskaplan. Als ehemaliger Husarenoffizier betätigte er sich auch des öfteren als Combattant. Am russischen Kriegsschau platz vollführte er einmal freiwillig unter den schwie rigsten Verhältnissen einen erfolgreichen Erkundungs ritt, der ihm zur besonderen Ehre gereichte. — Für die Mannschaft war er eine legendäre Person. ,Wo Gramann ist, dort geschieht uns nichts', sagten sie. — Auf dem italienischen Kriegsschauplatz geriet ich mit meinem Stabe, dem auch Gramann beritten angehörte. 28 V X K.

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