sie alle ab. Da,wo das Auto steht, gehen alle durch...", oder in dem aus Brüssel am 2. Februar d. J. abge gangenen Schreiben: „Heute kommen wieder eine große Nacht und ein schwerer Morgen, zwei Ab reisen..."; oder auf der an seine Schwester adres sierten Karte aus Lille am 2. April d. J.: „Komme eben aus dieser Stadt nach vierstündiger Eisenbahn fahrt zurück. 35 sind in der vorigen Woche von dieser Stadt abgereist — an zwei Tagen..."; oder mit Datum vom 14. August d. J.: „Bald ist es Mitternacht und sitze im „Hotel", weil morgen, Marienfest (Maria Himmelfahrt), sechs Bekannte abreisen werden..." usw. Hier sei gleich der merkwürdig erscheinende Vor fall angeführt, den der mit Gramann befreundete Professor van Reussel aus Belgien in mehreren Zei tungen bekanntmachte.(17) „Im Mai 1943 erhielt Gramann in Brüssel zur selben Zeit zwei Telegramme: eines von seiner Schwe ster aus Wien mit dem Inhalt, daß seine gegen hundert Jahre alte und von ihm tief verehrte Mutter an dop pelter Lungenentzündung erkrankt sei und im Sterben liege; das andere enthielt die amtliche Mitteilung, daß am Morgen des kommenden Tages in der Zitadelle von Liege (Lüttich) sieben Belgier erschossen werden sollten, deren Gnadengesuch abgewiesen worden war. Dem Sohn verblieb die schwere Wahl, entweder zu seiner sterbenden Mutter zu fahren oder den zum Tod Verurteilten in letzter Stunde beizustehen. Nach kurzem Zögern sagte Möns. Gramann: ,Wer weiß, wer sonst mit diesem Auftrag belastet wird ...' Am Abend des schweren Tages traf er in Lüttich ein und begab sich zu den Gefangenen, die am kommenden Morgen das Opfer ihres Lebens bringen sollten: Advokat Behogne, Hauptmann Collin, der Stationschef von Bastenaken, zwei Getreue und zwei andere Belgier. Um zwei Uhr morgens las er für die sieben Helden die hl. Messe, spendete die Sakramente, sprach ihnen Mut und Trost zu, erzählte unter anderem auch von den eigenen Sorgen und daß er ihretwegen die Reise zu seiner sterbenden Mutter unterlassen hatte. Die sieben Männer trösteten nun ihrerseits den Priester und versprachen: .Wenn wir bei Gott angekommen sind, sprechen wir für ihre Mutter bei ihm vor. Um halb sieben Uhr morgens wartete Möns. Gramann auf dem Exekutionsplatz der Zitadelle auf die Ge fangenen. Jeder der Vex'urteilten trug eine rote Rose angesteckt. Ein Familienmitglied hatte am Vorabend einen Rosenstrauß zustellen lassen; die Gefährten eines traurigen Schicksals teilten die Blumen unter einander, Möns. Gramann erhob das Kreuz und betete: .Magnificat anima mea Dominum... Sie antworteten ihm mit dem .Gegrüßet seist du, Maria'. Die Helden von Lüttich gingen singend und betend in den Tod. .Sobald wir bei Gott angekommen sind, sprechen wir für Ihre Mutter, Möns.. Als die Männer dieses Ge lübde getan hatten, war Mutter Gramann in tiefen Schlaf verfallen. Zur Stunde der Erschießung war sie plötzlich wach geworden: das Fieber schien geschwun den, die Krankheit vorbei. Erst im Juli des kommenden Jahres(1944)sollte sie diese Welt verlassen". Drei Wehrmachtsangehörige, die jüngst ausfindig gemacht werden konnten, mögen einiges über Gra mann und seine Tätigkeit berichten. Im ersten kürze ren Brief schreibt ein Zeuge dem Verfasser(18), Mate rialien und Mitteilungen könne er nicht zukommen lassen, „wohl aber ist es richtig, daß ich im Jahre 1942 als Gefreiter einer Luftnachrichtentruppe in der ecole militaire in Brüssel weilte. Während dieser Zeit hatte ich Gelegenheit, Möns. Gramann kennenzulernen, weil er für die Soldaten den Sonntags-Gottesdienst hielt. Ich kam aber mit ihm nur einige Male zufällig zusammen, wobei er mir erzählte, daß er die belgischen Geiseln zu betreuen habe und diesen in ihren letzten Stunden vor den Erschießungen beistehe. Er rühmte ihre Tapferkeit und vermittelte Briefe der Gefangenen an die Angehörigen und umgekehrt. Die Persönlichkeit des Genannten hat auf mich großen Eindruck gemacht. Er strahlte Güte und Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft, Stärke und Klarheit aus..." Mehr noch aber soll ein anderer prominenter Zeuge berichten (19), allerdings mit der begreiflichen Ein schränkung, daß er nunmehr nach mehr als einem Vierteljahrhundert nicht mehr eben viele Einzelheiten berichten könne, aber aus seiner Erinnerung das niederzuschreiben versuche, was er über Möns. Gra mann noch wisse: „Ich war von etwa Mitte Dezember 1941 bis An fang März 1942 in Brüssel (zu Beginn des Jahres hatte ich noch etwa drei Wochen Urlaub, so daß der Aufenthalt in Brüssel entsprechend verkürzt war). Ich gehörte damals zum Stab des V. Fliegerkorps. In der für die Standortsseelsorge in Anspruch genommenen Jesuitenkirche am Haachten Steenweg (Nähe Nord bahnhof) stellte ich mich am ersten Sonntag dem Wehrmachtgeistlichen vor; es war eben Möns. Grarnann, der regelmäßig (mit nur seltenen Ausnahmen) diesen Hauptgottesdienst für die deutschen Soldaten hielt. In der Folgezeit ministrierte ich werktags, wenn ich konnte, in der Messe, die er in einer kleinen Kirche im Zentrum der Stadt zelebrierte. Einige Male lud er mich ein, ihn bei Dienstfahrten im Wagen zu be gleiten (u. a. nach Löwen,Mecheln). In der Nacht vom Samstag zum Sonntag war er damals regelmäßig (ich meine sagen zu können: immer) im Wehrmachtgefängnis, um den zum Tod verurteilten Soldaten und Belgiern beizustehen und sie zum Schießplatz zur Hinrichtung, die jeweils in der Frühe des Sonntags stattfand, zu begleiten. Er halte dann zumindest — vor dem Standortgottesdienst — in einem der Lazarette noch eine hl. Messe. Mehr als einmal fand er nicht einmal mehr Zeit sich zu rasieren. Man sah ihm diese ungeheure Belastung der vorausgegangenen Nacht an, und er litt sehr darunter Aber da er der einzige Geistliche war, der überallhin Zutritt hatte, nützte er jede Minute aus (nach dem Krieg erfuhr ich von Belgiern, daß er gerade für die Zivilgefangenen und für die zum Tod verurteilten Belgier unendlich viel getan hat). Seine Sonntagsanspracdien waren schlicht, in keiner Weise rhetorisch, aber innig fromm.Er war wirklich Seelsorger. Aus Gesprächen mit Möns. Gramann entsinne ich mich noch, daß er sich (im Gegensatz zu manchen anderen Militärgeistlichen) nach Möglichkeit vom ge sellschaftlichen Leben des Stabes, dem er angehörte (Militärbefehlshaber von Belgien/Nordfrankreich) fernzuhalten suchte. Mit der Leitung der Wehrmacht seelsorge war er durchaus nicht einverstanden und distanzierte sich auch ausdrücklich davon. Während er Uber den Feldbischof Franciscus Justus Rarkowski noch ein nachsichtiges, wenn auch im Grund nicht eben positives Urteil aussprach (er sei fromm, aber sdiwach), äußerte er sich über die von oben getroffenen Anordnungen hinsichtlich der Seelsorge sehr negativ. Er habe in einem bestimmten Fall (es handelte sich soweit ich mich erinnere, um das Verhältnis der ein heimischen Geistlichen zu den deutschen Soldaten) dem Generalvikar der Wehrmacht unumwunden widerspro chen und ihm klargemacht, daß seine Anordnungen nicht mit dem Kirchenrecht übereinstimmten. Als ich von Brüssel nach Rußland gegangen war stand ich noch eine Zeitlang in Briefwechsel mit Möns! Gramann. Aber ich habe keinen seiner Briefe aufbe wahren können. Er zeigte sich noch sehr hilfsbereit und ich durfte noch von Rußland aus mehrfach seine Hilfe in Anspruch nehmen. Es ist nicht eben viel, das ich auf Ihre Frage Möns., zu schreiben weiß. Die Kriegsjahre waren ja eine so von Ereignissen erfüllte Zeit, daß Einzelheiten nur zu leicht in Vergessenheit gerieten. Immerhin 27
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