Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Nationalsozialismus im Jahre 1938 jäh und rücksichts los diese hoffnungsvollen Seelsorgsunternehmungen, wurde doch der Soldatenbund sofort aufgelöst und sein katholischer Laienaktivist Oberst Heckenast ins tödliche KZ geschleppt.(14) Gramann selbst mußte dabei froh sein, bei der Überführung des österreichischen Bundesheeres in die Deutsche Wehrmacht auch übernommen zu werden und dadurch österreichischen Heeresangehörigen als Seelsorger dienen zu können. Mit 1. April 1939 wurde er zum Wehrmaditoberpfarrer befördert, mußte aber bald nach Kriegsbeginn seine Überstellung „zu einem Militärbefehlshaber im besetzten Gebiet" hinnehmen, wie es in der Militärdienst- und Geheimsprache lautet.(15)Es waren das überfallene Belgien und Nord frankreich. Seine Aufgabe war mit der Dienstbezeich nung eines Generalwehrmachtgeistlichen über schrieben. In dieser Stellung erreichte er jedoch, vom Pasto ralen Wirken her gesehen, seinen priesterlichen Höhe punkt und erwarb sich bleibende und unvergessene Verdienste. Denn, so urteilte das damals unterdrückte Belgien und mit ihm der benachbarte Teil von Nord frankreich: „Monsignore Gramann war es, der unseren Hingerichteten, welcher Weltanschauung und welchen Glaubens sie auch sein mochten, kraft bewunderns werten Verständnisses und seiner unendlichen Güte tröstend zur Seite stand. — Ein hochwertiger Mensch, der dem Begriff der christlichen Nächstenliebe den vollen Gehalt gab." (So der Begleittext einer franzö sischen Erinnerungskarte, die anläßlich seines Todes 1947 in Belgien herausgegeben wurde.) Hier liegt wiederum ein echt österreichisches und für die brutale Unterdrüdcung durch den Nationalsozialismus kenn zeichnendes Schicksal vor; denn erst nach der Kriegs niederlage und der Befreiung Österreichs im Jahre 1945 wurde einiges in Wien bekannt und gelangten auf dem Umweg von Brüssel und London Nachrichten „über diesen Repräsentanten unserer alten Militärseelsorge und die erfreuliche moralische Eroberung, die er — ein Sohn unseres Landes — in der furchtbaren Zeit des Krieges durch seine Pflichterfüllung als Mensch und Priester machen konnte", hieher. Nun erfuhr man, was wenige Eingeweihte und vor allem seine ehrw. Schwestern im Salesianerinnenkloster am Rennweg (Wien III) längst wußten, daß er in den Jahren 1940 bis 1945 nicht nur mit vollem Einsatz seinen ihm anvertrauten Wehrmachtangehörigen diente, sondern dazu den in der Festung Breendonk und im Gefängnis von St. Gilles aus politischen Gründen gefangenen Belgiern und Franzosen (Widerstandskämpfern oder Maquis) priesterlicher „Freund, Vater und Helfer" und vor allem den etwa 300 zum Tod Verurteilten ein unerschrockener und aufopfernder Begleiter auf dem letzten Weg war. Viele Stunden verbrachte er deshalb im Gefängnis, um zu helfen, wo es ging, und war für sie die letzte Verbindung mit der Außenwelt. Trotz dem er ständig von der Gestapo beobachtet, einmal sogar eine Nacht hindurch verhört und festgehalten wurde — natürlich fand er auch kein Verständnis bei den deutschen Kommandostellen —, bewies er immer wieder Mut und Kühnheit in seinem schweren Amt. Er wußte die Aufseher des Schreckensortes „durch eine kräftige Runde" in der Kantine zu bestechen, so daß sie die Dienstordnung übersahen, und vermochte auch die als „Hexe" bekannte Aufseherin von Forest milder zu stimmen, so daß er länger als geplant bei den Delinquenten verbleiben konnte. Die National sozialisten glaubten, daß er als ehemaliger Kavallerie offizier der österreichischen Armee dem Militärwesen mehr zugeneigt sein würde denn dem Priestertum; sie irrten, denn für den Österreicher stand nur eines fest: den belgischen Patrioten zu helfen. Und das hieß etwas! Im Kommunionkelch, im Ziboriummäntelchen und im Brevier beförderte Möns. Graraann auf Zigaretten papier oder sonstigen Papierfetzchen geschriebene Mit teilungen der Häftlinge an deren Angehörige oder solche, die für ihre Verteidigung nützlich waren, außer Haus. Nur wer die furchterregenden Folterkammern dieser einst weit gefürchteten belgischen Festung, wer ihre Marterwerkzeuge, wie Daumenschrauben, Nägel zangen und elektrische Marterinstrumente gesehen hat, kann den Mut dieses priesterlichen Helden er messen. Oft waren es junge Menschen, die da zur Exekution schritten, kaum zwanzig Jahre alt. Ihre letzten Worte am Marterpfahl waren: „Es lebe Belgien! Es lebe die Freiheit!" Der tröstende Augenzeuge versicherte nach dem Krieg immer wieder, er habe noch nie sterben gesehen, wie man in Belgien stirbt.(16) Und er als alter Kriegsteilnehmer mußte es doch wissen und zu beurteilen vermögen. Vor mir liegen mehr als zwei Dutzend Briefe und Karten, teils mit ruhiger Hand geschrieben, teils rasch hingeworfen und im Telegrammstil abgefaßt, die mei sten an die Oberin, die Assistentin und „wohlehr würdigen" Schwestern in Wien gerichtet, worin er von kleinen Alltagserlebnissen erzählt, sich über Vor gänge im Wiener Kloster und das persönliche Befinden seiner Insassen erkundigt, von seiner Arbeit berichtet und mit Tarnausdrücken von seinem harten Seelsorgeund Liebesdienst Erwähnung tut, wie: Bahnhof für die Todesfestung, Abreise für Hinrichtung, „komme eben vom Bahnhof von einer Abreise". Alle Schreiben offenbaren seine schlichte Menschlichkeit und vor nehme Gesinnung, seine priesterliche Innerlichkeit, Gläubigkeit, Opferbereitschaft, Hingabe, seine Anhäng lichkeit und Besorgtheit um seine Schwestern und seine echte, auf das Allerletzte gehende Seelsorge. Macht er auf den meisten Karten, die er gewöhn lich und wohlweislich in Briefkuverts absandte, nur gelegentlich und kurz Andeutungen auch über seine Einstellung und Wirksamkeit, wie aus der Wallfahrts kirche St. Hubert (Ardennen), daß die Gottesdienste von den bayrischen Soldaten gut besucht seien und diese braven Männer ein gutes Beispiel echter Glaubenstreue gäben; oder aus Brüssel, da er eine Abbildung seiner Kirche sendet, indem er über seine Arbeit berichtet (10. April 1941); oder aus Löwen, wo er gern das Grab des Leprakranken-Apostels P. Damian Deveuster zu St. Josef besuchte, da er die Hoffnung auf baldiges Ende „dieses siegreichen" Krieges ausspricht (10. JuU 1941), so drängt es ihn doch, fallweise auch über das Gefährlich-Ernste mit zuteilen. Da steht auf einer Ansichtskarte mit dem St.-Gilles-Gefängnis von Brüssel mit Datum vom 31. Jänner 1942: „Hier sende ich Dir den letzten Bahnhof von Josef und vielen anderen. Von da fahren 26

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