Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

aus der Teilnahmslosigkeit aufzuschrecken, er konnte auch beunruhigen, wo es nottat, er vermochte in den anderen „einzusteigen" und zwar, wenn es nottat, so, daß ein Soldat, der seit Jahren nicht mehr gebeichtet hatte und nur zum Kritisieren gekommen war, am Schluß der Besprechung zu seiner Überraschung er fahren mußte,daß er nunmehr gebeichtet habe und die Absolution erhalten könne, während er geglaubt hatte, mit dem Pfarrer Zigai'etten rauchend spazieren gegan gen zu sein. Nicht durch Diskussion, durch seine Persönlich keit, auf Grund deren er es verstand, Soldaten und Offiziere in ihrer jeweiligen kritischen Situation „abzu holen", hat er mehrere Andersgläubige zum Übertritt in unsere katholische Kirche bewogen. Leitbild seiner Predigten in Ruhezeiten und während des Einsatzes war: „Der Mensch in der Hand Gottes." Das Entscheidende aber war, daß die Soldaten merkten, daß er es nicht bei Predigten und schönen Worten bewenden ließ, sondern daß Pfarrer Grois da war, wenn sie ihn brauchten, im Schützenloch — wäh rend des Artilleriebeschusses oder des Maschinen gewehrfeuers —,wenn er ihnen nämlich, von Schützen loch zu Schützenloch und von Stellung zu Stellung kriechend — die Kommunion reichte aus einer in der Brusttasche untergebrachten Käseschachtel. Dies hat er mir nicht selbst erzählt — ein Beweis für seine Bescheidenheit — ich erfuhr es von einem Kameraden der Pei'sonalabteilung, als Toni für die Verleihung des Eisernen Kreuzes vorgeschlagen wurde. Er war ein Mensch, der „mit den Augen lachen" konnte, mit einem alles Widrige überwindenden Humor! Wenn Dienst oder Einsatz es erlaubte, blieb er nach den Gottesdiensten oft noch stundenlang mit den Soldaten bei fröhlichem Spiel oder auch zu einem launigen Umtrunk zusammen: manche — so habe icli mir sagen lassen, kamen anfangs nur wegen des späteren „gemütlichen Beisammenseins" auch zum Gottesdienst... Im Kasino galt er als „lieber Mensch" und war angesehen als liebenswürdiger Gesellschafter. Da er eine ausgespi'ochene Schwäche für die Schwächen der ihm anvertrauten Soldaten hatte, genoß er auch große Wertschätzung bei Andersgläubigen, ja sogar bei den sogenannten „Gottgläubigen"... Kurz nachdem die Division in der Ukraine ange langt war, hielt er in den Dörfern, in denen nahezu die gesamte Bevölkerung deutsch sprach, Gottesdienste in den zu Kinos und „Kulturhäusern" abgewürdigten ehe maligen Gotteshäusern ab, deren Kirchtürme als Sprungtürme für Fallschirmjäger Verwendung fanden; diese Eucharistiefeiern waren überfüllt; Anton G. taufte die Kinder der einheimischen Bevölkerung, segnete die Ehen ein; die meisten hatten seit Jahr zehnten keinen katholischen Priester mehr gesehen; in den Gottesdiensten gab es viele Tränen,so daß unser Freund selbst oft die Predigt unterbrechen mußte, weil es ihn selbst überwältigt hatte... Nachdem Gottesdienste für die russische Zivil bevölkerung verboten wurden, hielt Pfarrer G. in Privathäusem bei kleinerer Beteiligung Messen, An dachten, Trauungen und Taufen! Er hielt dies für eine wirksame Abwehrmaßnahme gegen den atheistischen Bolschewismus... ein Beweis, wie ernst er Amt und Aufgabe nahm! In einer Predigt, die er in einer als Theater verwendeten Kirche in Rußland, in der wir auf dem Dachboden bei den Requisiten noch einen alten Beichtstuhl fanden, erwähnte er beiläufig, daß er sich lediglich für eine „Schachfigur Gottes" halte, nicht aber für einen König, einen Turm, ein Pferd oder einen Springer, höchstens für einen Bauern... Dies er wähnte er in Erinnerung an die schwerste Aufgabe, die ihm im Dezember 1940, damals noch in Frankreich, zugefallen war, als er einen vom Kriegsgericht zum Tode verurteilten Soldaten auf dem letzten Wege be gleiten mußte... Er konnte eine wunderbare, überlegene Ruhe aus strahlen, über viele Gräben einen Rettungssteg bauen — heute würden wir es bezeichnen als Charisma des Alltags! richtig für Einsame und Kontaktarme! Mit besonderer Freude und Genugtuung erinnere ich mich an eine Fahrt, die Toni G. für uns bei der Armee arrangierte — bei der wir drei: Pfarrer Grois, Dr. Behr und ich, von Bordeaux aus am 26. Okto ber 1940 in einem Opel Admiral mit eingebautem Radio — bei Wiener Musik — über die Pyrenäen nach Irun, San Sebastian, Tolosa, Aspeitia und Loyola fuhren! In der berühmten Kathedrale zu Ehren des hl. Ignatius wollten wir alle drei beichten, und zwar lateinisch; um uns nicht zu blamieren — lag doch unser Abitur schon weit über 10 Jahre zurück — ließen Dr. Behr und ich unsere Sünden von Toni lateinisch übersetzen, damit wir die confessio auch sachgerecht hinter uns brächten; es klappte nun gut: um so enttäuschter waren wir alle drei, als der Jesuitenpater in Loyola uns allen schon nach dem ersten lateinischen Satz in brillantem Deutsch erklärte, wir sollten uns nicht übernehmen und so beichten, wie wir es seit Jahr und Tag gewohnt seien. In tiefster Dankbarkeit für all das, was mein lieber Freund, Pfarrer Anton Grois, den vielen, die bei ihm Trost, Rat, Stütze und Hilfe suchten, mit seinem Charisma gegeben hat, verspreche ich, das zu halten, was er als Widmung in das mir beim Abschied — am 5. Dezember 1941 — in Sw. Tarosowsky (Krim) übergebene Buch „Volk in Gott" von Johannes Christian schrieb: „Ja! — ,Volk in Gott!' — Möge es immer so bleiben! — Du aber sollst immer ein wertvolles Glied in diesem Gottesvolke sein!" Ich hoffe, daß Sie aus diesen Zeilen sich ein abge rundetes Bild über den präditigen Menschen, den wir mit Stolz unseren Freund nennen, machen können. Sollten sich aus meinen Notizen noch weitere inter essante Einzelheiten ergeben, werde ich den Bericht noch ergänzen. — Und dem folgte bald dieser Brief: 16. September 1968: H. Möns. ...Nachtragen möchte ich noch zu meinem Bericht, daß unser lieber Freund vor allem bei den Verwunde ten und den Schwerkranken in den Hauptverbands plätzen und Feldlazaretten eine rastlose und segens reiche Tätigkeit entwickelte. Da er über ausgezeich nete Beziehungen zu den Ärzten verfügte, wurde er über jeweilige Verwundeten-Transporte rechtzeitig informiert, so daß er in Notfällen sogar während der Operation zur Erteilung der Krankenölung zugelassen wurde. Es schnitt ihn immer ins Herz, wenn er viele Kameraden beerdigen mußte — anfangs versagte ihm oft die Stimme — zumal er nichts hielt von dem berühmten Wort des Horaz: „Dulce et decorum est, pro patria mori", weit mehr aber von Erasmus' Wort: „Dulce bellum inexpertis". Vom Pathos einer Heldenehrung hielt er nichts, da er der Überzeugung war,daß alle letzten Endes in der Überzeugung starben, Gottes Willen gemäß dem Vaterland das Opfer ihres Lebens bringen zu müssen. Für seinen — unseres Freundes — Tod ist kenn zeichnend, daß der Sensenmann ihn zeichnete, während er anderen Kameraden die Gräber einsegnete. Nach dem Dank an Dr. Stangier sei diese vielleicht später noch zu ergänzende Kurzbiographie unseres heldenhaften Priesters als Kranz auf den fernen Grab hügel niedergelegt. Anmerkungen:"') Personalstand der Wr. Erzdiözese 1938, 378; 1946, 244; Nekrologium 1947, 40; 1962. 36; Wiener Diözesanblatt 1930, 117; 1933, 82; 1936, 58; 1938, 167; 1939, 131; 1940, 196; 1942, 19, 23; Jakob Fried, Nationalsozialismus u. kathol. Kirche in Österreich, Wien 1947, 240. Sh. weitere Angaben unten! — 2) Leider sind die schriftl. u. bildlichen Erinnemngen, die von der Mutter Grois wohl sorgfältig aufbewahrt worden sind, nicht mehr erhalten. Auch findet sich kein Vermerk in Chronik und Pfarrarchiv zu Bern hardsthal. Lt. Mitt. d. Pfr. Josef Steffier v. 2. 12. 1966. Auch die Archive unterliegen noch der Sperre. Schließ lich sei noch erinnert an die Ns.-Verbote von Erlebnis11

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