Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Erneut bewies er sein Organisationstalent bei den Schwierigkeiten dieses Notjahres, da er schildert: „Da mals mußten wir an Vormittagen mit den Kindern theoretisch arbeiten und ihnen am Nachmittag Messen und Opernparts medianisch einpauken. Überdies hatten wir noch keine Möglichkeit, die Kinder im Institut unterzubringen oder zu verpflegen, mit Mühe und Not konnte ich immer so viel Lebensmittel auftreiben, um ihnen wenigstens ein Mittagessen bieten zu können. Dazu gab es noch keinen richtigen Straßenbahnver kehr, Buben, Lehrer und Kapellmeister mußten oft stundenlang zu Fuß gehen, um zu Stunden zu kom men. Überdies setzten auch Intrigen ein, die die Wie deraufrichtung des Institutes unter der alten Leitung verhindern wollten. Also: Kampf auf allen Seiten und Schwierigkeiten über Schwierigkeiten! Trotzdem ge lang es schon anfangs Juni, wieder das Institut mit Schule und Internat zu eröffnen®')". Schon zu Weihnachten konnte die erste Konzert reise nach Salzburg, im Juni 1946 die erste Auslands reise in die Schweiz unternommen werden®"). Und dann gings wieder hinaus in alle Welt, 1952 zum zehntenmal in die USA, wie die Übersicht von 1926/38 und 1945/53 ausweist®®). Dies war jedoch wiederum nur möglich geworden, nachdem Rektor Schnitt die materiellen Voraussetzun gen geschaffen hatte. Da die Unterbringung in der Hofburg von 1945—1948 doch unzulänglich und unbe friedigend war, mußte nach einem neuen Heim Aus schau gehalten werden. Eine Rückkehr nach Schloß Wilhelminenberg, wo man sich einst so wohlgefühlt hatte, ging leider nicht mehr, und ein Plan um das Schloß Hetzendorf war nicht zu verwirklichen, so ver fiel man auf das Augarten-Palais (Wien II). Wieder galt es, riditige Aufbauarbeiten zu leisten, denn ein Bombenhagel und nachträgliche Kampfhandlungen hatten hier eine Ruine zurückgelassen. Nadidem 1948 Bau und Einrichtung unter größten materiellen Opfern (einem Millionen-Betrag) durdigeführt worden waren, konnte der Einzug in das neue Heim vollzogen wer den®®). Ungeachtet noch anderer Verpflichtungen wurde 1949/50 der Auf- und Neubau des sog. Josefstöckls nebenan unternommen und damit eine einzigartige soziale Tat gesetzt. Hier finden nun die Mutanten eine Heimstatt, daher Mutantenhaus, wo sie nach dem Stimmwechsel, der ihre sorgenlose und schöne Sänger knabenzelt abbricht, Verpflegung und Unterkunft ge nießen, um ihre Schule oder den Lehrplatz aufsuchen oder an der Hochschule oder an der Musikakademie sich ausbilden zu können und einen ihnen passenden Beruf anzustreben®'). Nicht unerwähnt darf noch blei ben das im Herbst 1928 grundgelegte „Hotel Wiener Sängerknaben" in 1400 m Höhe in Hinterbichl, das dem Institut, aber audi vielen Sängerknaben-Freunden aus aller Welt Erholung bot, von der Leitung jedoch ein nicht geringes Maß an Sorgen und Aufwand for derte®®). Noch sei einer der letzten besonderen Lei stungen des Rektors Schnitt gedacht, der Organisation des großartigen Augartenfestes i. J. 1950 zu Gunsten des aus dem Krieg so wundgewordenen Wiener Ste phansdomes®®). Nun vermochte der unermüdlich Tätige und rastlos Planende ein paar Jahre die Früchte seiner verdienst vollen Kulturschöpfungen zu genießen und sich ver dienter Anerkennungen zu erfreuen, die in der Ver leihung von zahllosen in- und ausländischen Auszeich nungen ihren sichtbaren Ausdruck fanden. Davon seien nur hervorgehoben: die Ernennung zum Hofrat und die zum Päpstlichen Ehrenkämmerer®''). Am 26. September 1955 starb Rektor Schnitt in seinem 69. Lebensjahr, im 46. Jahr seines Priestertums nach einer Operation in der Krankenanstalt „Golde nes Kreuz" (Lazarettgasse 16, Wien IX)®^). Nach der Aufbahrung im Augarten-Palais v/urde der Leichnam nach Mailberg überführt und nach einer Totenwache in der Pfarrkirche am 1. Oktober in einer schönen Gruft des Heimatfriedhofes beigesetzt. 70 Kränze schmückten den Sarg, vierzehn Mitbrüder und sehr viele prominente Gäste aus Wien gaben dem Toten das letzte Geleite, ein Freund des Verstorbenen a'us Straßburg führte den Kondukt, Sängerknaben durch einen Chor vertreten, sangen ihrem väterlichen Rektor sein Lieblingslied ins Grab®®). Besser als Würdigungen seiner Tatkraft und Ent schlossenheit, seiner Schlichtheit und Natürlichkeit, seines starken Gefühls und seiner Liebe zu seinen Schutzbefohlenen, die seine überragende Persönlich keit formten, und Nachrufe, wie der überkurze des Wiener Kirchenblattes®'), worin es heißt: Schnitt habe in seiner Kunstbegeisterung®®) und mit seinen hervor ragenden Fähigkeiten den Wiener Sängerknaben zu einer großen Weltberühmtheit verholten und auch die wirtschaftlichen Grundlagen für das Institut geschaf fen und für die Zukunft gesichert; sein Andenken werde ehrenvoll sein, und dauerhafter als bildliche Darstellungen®®), verkünden von seinen Verdiensten die „singenden Engel" und die mitgestaltende Schola durch ihre nicht selten in den Himmel hineinhebenden Dar bietungen an den Sonn- und Festtagen in der altehrwürdigen, so festlich froh stimmenden Burgkapelle und durch ihre Chöre und Opern in den stets über füllten Konzertsälen und anderen Festräumen in der Heimat, in Europa, in der kulturaufgeschlossenen Welt. Hauptsächliche Quellen und Literatur: Personal stände der Wiener Erzdiözese; Wiener Diözesanblatt (WDbl.); Holzer-Schnitt, Die Wiener Sängerknaben, Wilhelm Frick-Verlag am Graben, Wien—Stuttgart— Zürich, 1953, 94 Seiten, 3 Dokumente und 46 Bilder; Wisoko-Meytsky, Die Hofmusikkapelle und die Hof burgkapelle in Wien, 1965, 3. Aufl.; Österreicher der Gegenwart. Lexikon schöpferischer und schaffender Zeitgenossen (Hrsg.: Osterreic±i-Institut, Bearbeitung: Robert Teichl), Wien 1951, S. 274; Who's who in Austria, Zürich 1954, S. 429; Zeitungen (Das kleine Volksblatt 1960, Nr. 286 etc.); Zeitschriften („Die Genossensdiaft" etc.); Mitteilungen des LokProv. von Mailberg Anton Rabel und anderer Zeugen. — Wohl über den Rahmen dieses Aufsatzes hinausgehend sei doch auf eine emi nente Quelle aufmerksam gemacht, es ist die vom derzeitigen verdienstvollen Direktor geführte und im Archiv verwahrte Chronik. Daß Schnitt selbst keine genaueren Aufzeichnungen madhte, hat er persönlich aufrichtig bedauert. Holzer-Schnitt a. a. O., S. 87. Anmerkungen: ') Hans Wolf, Erläuterungen zum Historischen Atlas der österr. Alpenländer, II/6 N.-ö., Wien 1955, S. 375; Personalstand der Wiener Erzdiözese. — ®) Festschrift 900 Jahre Mailberg, 700 Jahre Wein bau, 1055—1955, 900 Jahrfeier des Ritterlichen Marktes Mailberg am 1. und 2. Mai 1955, S. 3: Motto zu diesem Beitrag: Was du ererbt von Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen. Goethe, Faust I. — ®) Taufmatrik d. Pfr. M., tom V, fol 177, Reihenzahl 56, — Vater: Johann Schnitt, ehel. Sohn d. Joh. Sehn., Ausnehmers 29

RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=