Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Rundfunk, Oper und Burgtheater die Mitwirkung ein zelner Solisten der Knabenchöre erbaten und erhiel ten, war nun selbstverständlich und trug auch zur Aufbringung von Mitteln bei.^°) Erfahrungen und Zwang der Verhältnisse nötigten ab 1928 zur Einrichtung eines eigenen Schulbetriebes, wodurch den Zöglingen bis zum 14. Lebensjahr die Schulbildung im Institut ermöglicht wurde.®®) Auch ein richtiges Heim konnte allmählich gefunden und geschaffen werden. Es hatte damit begonnen, daß Rektor Schnitt einen Teil seiner Wohnräume, d. i. der früheren Burgpfarrerwohnung, zur Verfügung stellte, dann einige Räume in der alten und 1928 und 1932 in der neuen Hofburg einrichten konnte und 1934 das schön gelegene Schloß Wilhelminenberg (Ottakring, Wien XVI) um jährlich 38.000 Schilling Miete von der Gemeinde Wien überlassen erhielt. Freilich mußten für die Adaptierung etwa 400.000 Schilling aufgebracht werden. Schuf dieser Aufwand auch weitere Sorgen, vermerkte Schnitt, so waren doch diese dreieinhalb Jahre bis zum Eindringen der Nazi im März 1938 in jeder Hinsicht als die schönsten und glücklichsten in der Geschichte des Institutes zu bezeichnen.®"') Daß dieser tüchtige und unternehmende Kleriker zu den ersten Opfern des kirchen- und priester hassenden Nationalsozialismus zählen sollte, war nicht überraschend. Gleich im März des Unheilsjahres 1938 wurde er mit Gewalt aus seinem ihm so lieb gewor denen Wirkungskreis entfernt und in der Nacht durch zwei SA-Leute aus dem Haus gewiesen, in den näch sten Jahren überwacht, wiederholt vorgeladen und eingesperrt, erhielt nach und nach „Gauverbot" und war auch sonst mancherlei Schikanen ausgesetzt, wie er über diese seine gewiß bitterste Leidenszeit ge wohnt kurz und lakonisch selbst vermerkte «nd dann berichtete, daß die Sängerknaben ohne ihn weiter bestanden, allerdings seit der Verdrängung durch die SS im Sommer 1938 im sogenannten Maria-TheresienSchlößl in der Langegasse (Wien VIII), und leider für die NS-Propaganda mißbraucht wurden, was ihnen noch nach 1945 im Rufe schadete. Da aber die Sonn tagsgottesdienste in der Burgkapelle aufrecht erhalten wurden, war gerade durch diese Möglichkeit und das musikalische Programm ein Sammelpunkt und die Erbauung für die treuen Patrioten und somit auch für ihn gegeben.®®) Mit Recht konnte Schnitt erklären: „Ein Zeugnis werden mir alle meine Freunde — und wohl auch meine Gegner — ausstellen müssen: Nicht einen Finger breit habe ich jemals dem Nationalsozialismus Konzessionen gemacht und nicht einen Augenblick habe ich die Ge wißheit verloren, das Hitlerregime in Österreich zu überleben und dann mein Institut wieder aufzurich ten. Darum habe ich alle Arbeiten (z. B. Seelsorgsaushilfen), die sich mir in der Nazizeit boten, gerne übernommen, um Geld zu verdienen und für den Tag der Auferstehung gerüstet zu sein"®'''). Mit 1. September 1939 von der griechisch-kathol. Pfarre St, Barbara (Wien I, Postgasse) als Kaplan nach St. Augustin (Wien I) versetzt®'), was eigentlich mehr nominell geschah, damit er als Rektor der Burgkapelle weiter dieses Zentrum seines Lieblingswerkes betreuen und auch beobachten konnte, wartete er voller Hoff nung auf seinen Tag,In dieser Zeit wurde der Verfasser des Artikels, von 1943—1945, bzw. 1946 als Kaplan und Pfarrvikar bei St. Augustin tätig, mit Rektor Schnitt nicht nur bekannt, sondern lernte ihn richtig aus Gesprächen und Beurteilungen des sich immer deutlicher abzeichnenden Unterganges des Dritten Reiches kennen. „Da ich (der Autor) in der Zeit regel mäßig bei Trauungen in der Burgkapelle den Pfarrer zu vertreten hatte, sei es durch Besorgung der Trau ungsmatriken, Überprüfung und Einholung der Doku mente und Unterschriften, sei es durch Vornahme von Trauungen und Übernahme auch von Trauungsanspra chen (über Bitten des Rektors), ergaben sich genug Gelegenheiten, mit Schnitt ins Gespräch zu kommen und von seinen Plänen zu hören. Damals ahnte ich allerdings nicht, daß ich später einmal unter seinem Nachfolger so enge Beziehung zu dem Sängerknaben institut und wiederum zur Burgkapelle kommen sollte, wie sie seit dessen Berufung im Herbst 1955 besteht. Noch erinnere ich mich genau, wie Schnitt mir wohl etwas bekümmert die Meldung des ausländischen Rundfunks über das Ergebnis von Jalta, die Besetzung Wiens und Nös. durch die Sowjetarmee, mitteilte, zu gleich aber wieder seine antinazistische Einstellung kundtat und von der Aussicht auf die Wiedererrich tung seines Institutes sprach." Er verließ deshalb auch um die Jahreswende 1944/45 kaum mehr Wien, „um nicht einen Tag zu versäumen". Und so war er tatsäch lich gleich zur Stelle®'"). „Noch wurde auf dem Donaukanal gekämpft", schrieb er später nieder, „noch feuerten die Kanonen vom Schottenring, noch flogen die Granaten in den IX. Bezirk, meinen Wohnort, als ich sc±ion in die Josefstadt ging, wo das Sängerknabeninstitut in jenen Tagen seinen Sitz hatte. Dieser Stadtteil war bereits frei. Nicht ohne Lebensgefahr nahm ich also das Institut sozusagen ,in Besitz', symbolisch zunächst nur, denn das Haus war leer. Die Sängerknaben waren vor den Bomben nach Hinterbichl (bei Matrei in Osttirol) in Sicherheit gebracht worden, und Hitlerjugend und Volkssturm, denen das Haus zugewiesen worden war, waren bereits auf der Flucht. Es ist mir gelungen, das Haus vor Plünderern, die eine Stunde nach meiner Ankunft in das Haus eindringen wollten, zu schützen. Leider war ich nicht imstande, es dann gegen die Forderungen der KPÖ zu halten, die das Haus mit der Begründung für sich in Anspruch nahm, es sei zuletzt von nazistischen Formationen benützt worden. Da wir dann immer mehr eingeengt wurden, mußten wir in die einstige Unterkunft, in die Hofburg ziehen und damit waren wir ja zufrieden." Da sich die Rückführung der nach Hinterbichl geflüchteten Zöglinge als unmöglich erwies, wurde durch einen „mit Schreibmaschine verfertigten Auf ruf" eine erste Prüfung ausgesdirieben, wozu dreißig Knaben erschienen, darunter auch einige ehemalige Zöglinge. Darauf konnte mit vierzehn Sängern und zwei Kapellmeistern der Betrieb aufgenommen wer den. Dank der tatkräftigen Mithilfe des neuernannten „Hofkapellmeisters" Josef Krips, „mit dem Schnitt während der gemeinsamen Bedrängnisse der Nazizeit durch eine herzliche Freundschaft verbunden war", konnten die wiedererstandenen Sängerknaben bereits zu Pfingsten 1945 mit der Krönungs- und Nelson-Messe in der Burgkapelle auftreten®"). Die zweite Sänger knaben-Epoche unter Schnitt hatte damit begonnen. 28

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