Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Schiffsjoche auf, während die schmäleren Seitenschiffe längsoblonge oder längsrechtecktige Joche haben. St. Stephan aber mit seinen drei gleich breiten Schif fen ist durchlaufend mit queroblongen schmäleren Gewölben ausgestattet. Trotz Übernahme des Hallen chores mit drei gleich hohen im Fünfachtelschluß mündenden Apsiden vom Wiener Dom greift die kleine Schwester in der Steiermark wieder zurück auf einen sich noch auf romanischem Grundriß bildenden goti schen Chortypus. Daher ist auch die Betonung der Mauer hier viel stärker. Die Fenster sind nur zweibzw. dreiteilig, in St. Stephan aber vierteilig. Die schmäleren Leibungen der Fenster, weiters noch ungekehlte Fenstergewände, das einfache Maßwerk und besonders der Mangel an plastischer Verzierung drückt die bewußt gepflegte Einfachheitsbestrebung ur sprünglicher Cistercienserart aus. Auch die Eingangs front im Nordwesten des Kirchenbaues gleicht sich den Giebelfronten der Reformorden an. Wenn sich auch in dem starken Höhendrang mit hochstrebenden Pfeilern und kurzen Gewölben Straßengel der Wiener Schule nähert, so sind doch die Stützen beider An lagen ziemlich verschieden. Im Chor von St. Stephan finden sich reichgegliederte Bündelpfeiler: In der Mitte Rundstäbe als Vorlagen, an der Wand Birnstäbe. Dagegen weisen die wesentlich einfacheren Stützen von Straßengel noch die altertümlichere Form eines rechtecktigen Kernes mit vier Halbkreisvorlagen und vier konkaven Rücksprüngen auf. Damit schließen wir die Vergleiche, weil in St. Stephan durch die Zer störung des Brandes am Ende des Zweiten Weltkrieges viel erneuert worden ist, während Maria Straßengel seine Ursprünglichkeit bewahren konnte'^). II. Das Thema der Halle Die in der Steiermark in ihrer Architektur einzig artige gotische Kirche von Maria Straßengel ist die reife Frucht, deren Saat zur Pfingstzeit 1147 durch die Cistercienser der Abtei Rein auf uralt historischem Boden zu keimen begonnen hat. Damals ließ sich ganz Europa durch den redegewaltigen Abt Bernhard von Clairvaux, dem glühenden Begründer der mittelalter lichen Mystik, für den zweiten Kreuzzug gegen die türkisch-muselmanische Bedrohung begeistern. Beim Auszug der steirischen Kreuzfahrer widmete Mark graf Ottokar III. zu Rein am 8. Juni 1147 testamenta risch u. a. das Gut Stratzingen (Straßengel)i). In Wien sammelte sich zu gleicher Zeit das Hauptheer dieses Kreuzzuges zwischen Donau und Fischa, wobei die Weihe der ältesten St. Stephanskirche stattfand; jedenfalls der romanischen Chorpartie, die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ihre großartige Er weiterung zur gotischen Chorhalle erhielt. Nach die sem Vorbilde wurde dann zweihundert Jahre nach der Widmung des Ortes am Straßengier Bergvorsprung gebaut. Kreuzfahrer vom Nieder-Rhein und dem an grenzenden Westfalen, die mit den Engländern den Seeweg einschlugen, feierten das Pfingstfest 1147 schon in dem spanischen Wallfahrtsorte Santiago de Compostela. Nach Jerusalem und Rom bildete dieses spa nische Nationalheiligtum ebenfalls ein begehrtes Ziel damaliger Pilgerfahrten. Deshalb entstanden auf den Reiserouten dahin, aber auch anderorts, Hospitäler und Kirchen zu Ehren des hl. Apostels Jakob dem Älteren, dem Patron der Pilger und Kämpfer für das Kreuz gegen den Europa von Spanien und Asien her drohenden Halbmond. So kam durch Pilger und Kauf leute die Kenntnis der auf dem Wege nach Spanien liegenden romanischen Hallenkirchen von Poitiers und Anjou nach Westfalen. In der ehemals für die Weiter leitung des Handels nach Osten wichtigen Stadt Soest sehen wir bereits 1270 in gotischer Stilentwicklung die drei Apsiden mit der dreischiffigen Halle als Raumeinheit wie nachher zu St. Stephan in Wien und zu Straßengel in der Steiermark. Doch wenn sich hier die Seitenapsiden durch eine halbierte Großarkade zur Mittelapside öffnen, so sind sie dort in schrägachsiger Anlage der Hauptapsis zugeordnet-). Den Höhepunkt dieser Entwicklung zeigt mit Baubeginn 1131 — dadurch fällt der Bau sowohl mit St. Stephan wie mit Straßengel zeitlich zusammen — die Wiesen kirche in Soest: St. Maria in pratis oder in palude-''). Die dreischiffige Halle (3 mal 3 Joche) mündet in einen kleeblattförmig angeordneten Apsidenchor ein. Haupt chor und Nebenapsiden trennen nur schmale Wände, die mit je einer Poligonseite identisch sind'^). Das Wesentliche ist bei unwesentlichen Unterschieden, daß in Österreich wie in Westfalen der Raumkubus von Halle und Chor ein klarformuliertes architektonisches Gebilde darstellt. Die angewinischen-poitevinischen Hallenkirchen weisen jedoch nur einen mittleren Chor auf, während die Seitenhallen noch geradlinig nach Osten schlie ßen®). Ein Mittelding von diesen romanischen Bauten des 12. Jahrhunderts zur westfälischen gotischen Hochentwicklung findet sich am Rhein. Es ist die ehe malige Deutschordenskapelle von Ramersdorf am Fuße des Siebengebirges, die im vorigen Jahrhundert als Kirchhofskapelle nach Bonn transferiert wurde®). Bei dieser im Ubergangsstil anfangs des 13. Jahr hunderts erbauten Kapelle in Hallenform zeigt sich die Mittelapside um ein Joch den schmäleren Seiten apsiden vorgeschoben. In ihrem Grundriß ist sie Straß engel ähnlich, doch sind die Apsiden jede für sich ohne Verbindung miteinander. Der Baumeister be mühte sich zwar in Ramersdorf um das Problem der Halle in der Choranlage, doch blieben die Nebenchöre bloß Ausmündungen der Seitenschiffe"'). Den ganzen Chor als Raumeinheit mit der Halle zu verbinden er reichte erst Westfalen in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Österreich kam durch das neue Herrscherhaus mit diesem Lande in nähere Beziehun gen. Der Ahnherr des österreichischen Kaiserhauses, ®) Vgl. Aufsatz in Maschinschrift von Heinzl Brigitte am kunsthistorischen Seminar der Universität Wien auf Grund freundlicher Mitteilung durch Frl. Zykan. ^) Grill L., Der Testamentstag für Maria Straßengel vom 8. Juni 1147, in: Marienbote, Nachrichten aus dem Stift und Dekanat Rein, 6 (1947) n. 2. Kornfeld Hans, Die Wiesenkirche zu Soest, eine stilgeschichtliche Untersuchung, S. 45 und S. 76. ®) und •') A. a. O., S. 18—19. ®) Ebd., S. 52 ff. ®) Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz V/I S. 122— 128. "'l Die Schwierigkeiten der Lösung von Halle mit goti schem Poligonalchor zeigt deutlich die im Ubergangs stil erbaute Abteikirche der niederösterreichischen Cisterze Lilienfeld. 28

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