Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Straßengel kann man die Kirche von Maria Neustift bei Pettau im heutigen Jugoslawien nennen, die an der Wende vom 14. ins 15. Jahrhundert erbaut wurde'"). Man will das auch für die Kirche des Bene diktinerklosters Garamszentbenedek bei Preßburg an nehmen wegen der seltenen Pfeilerform wie in dem steirischen Wallfahrtsorte und auch wegen des Grund risses, wenn man nicht auch dafür besser auf St. Ste phan in Wien hinweisen soll. Auf jeden Fall stellt aber der Turm von Maria Straßengel, wenn höchstwahr scheinlich zugleich mit dem Stephansturm geplant, so doch das älteste Beispiel durchbrochener Bauweise in Österreich wie auch im gesamten Cistercienserorden dar. Über der Vierung der Kirche der Cistercienserabtei Bebenhausen in Württemberg errichtete erst vierzig Jahre später der Laienbruder Georg von 1407 bis 1409 ebenfalls einen achteckigen Turm mit durchbrochenem Helm'»). Wir sehen, daß die Cistercienser nicht nur Verbreiter der Frühgotik, sondern auch der Hochgotik in ihrer feinsten Form waren. So wohl die erste Weihe des ältesten romanischen Baues der Wiener St. Stephanskirche wie auch das Ver mächtnis von Maria Straßengel an das Stift Rein geht auf die Pfingstzeit 1147 zurück, als sich die Fürsten, Ritter und Pilger für den vom hl. Bernhard v. Cl. ge predigten zweiten Kreuzzug in und um Wien ver sammelten"®). Dieses Erbe aus dem Jahrhundert des großen Cisterciensers hat auch für die Symbolik des Turmes von Maria Straßengel Bedeutung. Die Höhe des Wahrzeichens von Wien mit 137 m erreicht die kleine steirische Schwester (48 m) nur mit Einbezug des Hügels, auf dem sie das Murbecken be herrscht. Ihre Sinnbildlichkeit bezieht sich auf Maria als die vom Himmel auf die Erde niedersteigende Got tesstadt, als das neue Jerusalem der Geheimen Offen barung (Apoc. 21,2). Besonders deutlich wird dies durch die acht lebensgroßen Statuen an den Oktogonecken am Beginn des durchbrochenen Turmhelmes. Sie stellen eben nach der Geh. Offbg. (Cap. 8—12) die sieben Engel mit der Jungfrau dar, angepaßt an die örtlichen Verhältnisse. Man suchte ja damit auch die Etymologie des Namens Maria Straßengel sinnfällig darzustellen"^). Der Turmhelm oder die achteckige Turmpyramide präsentiert sich mit den nach oben gereihten und sich verjüngenden Fensteröffnungen wie ein einheitlicher Lichtkegel, den der helle Tag durchdringt. Durch Maria brach für die Menschheit ein neuer Tag an, den St. Bernhard folgendermaßen besingt: „Ist nicht auch die Jungfrau ein Tag? O ja, ein ganz besonders herrlicher Tag, der hervorbricht wie die aufsteigende Morgenröte, schön wie der Mond und auserlesen wie die Sonne!""^). In Bezug auf die gleiche Schriftstelle (Hohe lied 6,9) sagt der Priestermönch Hermann von Rein in einer Predigt bald nach dem Jahre 1172: „Sie ist auserwählt wie die Sonne, weil, wie die Sonne allein den Erdkreis erhellt, auch sie allein durch ihr hervor ragendes Licht der Tugenden die Menschen erleuchtet, wenn sie ihr nur nachfolgen.""-'). Anmerkungen: ®®) Winter Ernst Karl, Rudolph IV. von Österreich, II, 81.. — ""') Dr. Perg. Archiv Rein, abgedruckt bei Klein, Das Große Sterben von 1348/49 und seine Auswirkung auf die Besiedlung der Ost alpenländer, in: Festschrift für Herbert Klein (Salz burg 1965), S. 108—9, Anm. 12. — «-) Winter, a. a. O. — «•'') Or. Perg. Rein, ungedruckt, eine Inhaltsangabe gibt Lehr, D. R. I, 708 ad ann. 1360. — «•<) Kletler Paul, Die Kunst im österreichischen Siegel, S. 9. — ®^) Ab bildung bei Ocherbauer, a. a. O., S. 16 und Beilage Turm.— ®") Tietze Hans, Geschichte und Beschreibung des St. Stephansdomes in Wien, österreichische Kunst topographie XXIII, S. 147 und Abb. 105. — «') Luschin Arnold, Die Siegel der steirischen Abteien und Kon vente des Mittelalters, in: Mittheilungen K. K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, 19 (1874) 251. Abb. Fig. 33. Ergänzend verweisen wir auf dieses Konventsiegel an der in Rein ausgestellten Reversurkunde vom 23. März 1365 für die Stiftung einer ständigen hl. Messe von Herzog Rudolf IV. in Straßengel (Staatsarchiv Wien). — «") Urk. V. 31. XII. 1358 bei Zschokke Hermann, Ge schichte des Metropolitan-Capitels zum Heiligen Ste phan in Wien, S. 10. — «») Lehr I, 719: „Datum Avenioni II. kal. Maji, Pontificatus nostri anno octavo". Innozenz VI. wurde am 18. Dez. 1352 gewählt, daher 1360 und nicht wie bisher 1361. — '®) Archiv des Metropolitankapitels, in: Steyerer, Commentarii ducis Alberti II (1725) 276. — "i) Titze, a. a. O., S. 11 ff. — Original verschollen. Die älteste Abschrift der Ur kunde V. 9. III. 1365: Cartularium Hermanni abbatis 1450. — '«) Titze, S. 12. — "'') Grill L., Sechshundert jähriges Pfarrjubiläum (Hadersdorf Weidlingau), Pfarrblatt Mariabrunn 18 (1965), nach Zschokke, a. a. O., S. 25—7. — "^) Lehr, D. R., I 745. Dieser Chronist tritt ebenfalls für die Altarweihe zu Ehren der Hl. Drei Könige von selten dieses Bischofs ein. — "®) Siehe oben! — '') Siehe Barockgemälde mit der früheren Abteikirche in der Zugangshalle zur Prälatur und dem Konvente von Rein. — '") Weiß Karl, Die gotische Kir che zu Straßengel in Steiermark (Zeichnungen von Architekt Lippert), in: Mittheilungen der K. K. Central-Commission III (1858) 1.54 nur der Kirchenplan wurde in Neustift bei Pettau von Straßengel über nommen, aber ohne Turm. — ''») Lekai-Schneider, Ge schichte und Wirken der Weißen Mönche, S. 274: Bild und Text. — "®) Grill, L., Der Testamentstag von Straßengel, in: Marienbote des Stiftes Rein 6 (1947) Nr. 2, S. 1—5. — ®^) Ders., Die Symbolik etc., a. a. O. S. 12—13. — "^) S. Bernardi sermo De Aquaeductu, n. 11; PL 183, 415. — "«) Hermanus Runensis, sermo in Nativitate S. Mariae, Hs. 94, fol. 296: „Electa ut sol, quia sicut sol solus orbem iUuminat, sie hec sola praecipio virtum lumine homines si tamen imitentur illustrat." ANHANG: I. Bauunterschiede In Straßengel wurde zwar der Bauplan von St.Ste phan übernommen, aber nicht von demselben Bau meister ausgeführt. Die letzte Pfeilerarkade vor dem Joche, das zur Hauptapside führt, hat man z. B. bei beiden Kirchen in eine offene und in eine blinde, d. h. mit einer Mauer geschlossene Hälfte geteilt. Die Fläche der steingeschlossenen Arkadenhälfte wirkt je doch in Straßengel nach oben wie ein plumpes Mauer stück, das zum Spitzbogen der offenen Hälfte hinüber greift. Man hat offensichtlich die Sechsteilung des Gewölbes von St. Stephan übersehen, die in harmoni scher Gleichheit die Zweiteilung in dieser Pfeiler arkade bewirkt. Man hat auch hier wie in den anderen Jochen nach rückwärts ein bloß vierteiliges Kreuz gewölbe konstruiert. Auf diese Weise gibt es keine querdurchlaufende Rippe in der Mitte des Joches, die in den Mauerseiten nach abwärts ausgeladen und eine gleichmäßige obere Teilung der beiden Hälften bewirkt hätte"^). Überhaupt zeigt sich in der Joch gestaltung beider Kirchen ein ganz wesentlicher Unterschied. Straßengel weist quadratische Mittel- ^) Macku Anton, Der Wiener Stephansdom, Eine Raumbeschreibung, S. 16 und Abb. 11 im Anhang. 27

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