begonnen hatte und bei dem noch die Vorfälle des Vortages anläßlich der Jugendfeier im Stephansdom und darnach auf dem Stephansplatz den Gesprächs stoff bildeten, wieder in meine Wohnung im zweiten Stock des Erzbischöflichen Kurhauses zurückgekehrt und hörte wie alltäglich um 20 Uhr die Rundfunk nachrichten ab. Dann kleidete ich mich für meinen täglichen Abendausgang an. Da wurden auf dem Stephansplatz schreiende Stimmen laut, so daß ich aus den Fenstern hinaussah, einstweilen jedoch keinen Auflauf wahrnehmen konnte. Ja, der Lärm war sogar eine kurze Zeit geringer geworden. (Die jugendlichen Gewalttäter hatten das Tor des Erzbischöflichen Palais gerammt und das Stockwerk erstürmt.) Um vielleicht Näheres zu erfahren, trat ich aus der Woh nung auf den Gang und ins Stiegenhaus, wo ich Kollegen und Hausleute traf, die wohl ebenso den Lärm gehört, dafür aber auch keine Erklärung gefunden hatten. Schon wollte ich gleich anderen das Haus verlassen und selbst auf dem Stephansplatz Nachschau halten, entschloß mich jedoch vorerst, noch einmal in die Wohnung zurückzugehen. Immerhin war inzwischen einige Zeit verstrichen. Da wurde abermals das Schreien auf dem Stephans platze hörbar. Ein Blick durch das Fenster und ich sah einen Haufen Jugendlicher von der Westseite her auf das Kurhaus zulaufen. Das angeblich geschlossene Haustor gewaltsam zu öffnen, muß ihnen bald gelun gen sein, denn schon war Johlen und Fensterklirren im Hause zu hören. Ich versperrte die Wohnungstüren und zog mich ins letzte Kabinett zurück, um dem Rosenkranzgebet zu obliegen und mich auf alles ge faßt zu halten. Einmal wurde mit einem harten Gegen stand auf die Tür geschlagen, dann flaute der Lärm wieder ab und verlor sich schließlich auf dem Ste phansplatz. Als ich auf den Gang hinaustrat, erfuhr ich, daß Domkurat Krawarik auf das Anschlagen der Türe, welche der Küche gegenüber lag, geöffnet hatte, weil er glaubte, daß jemand von den Haus leuten ihn verlangte. Sofort sei er von Jugendlichen gefaßt und trotz seinem Widerstreben zum Hoffenster geschleppt worden, durch das er, weil er mangels eines Fensterkreuzes sich nirgends anklammern konnte, wie Erzb. Sekretär Dr. Jakob Weinbacher im Palais sich vor dem Fenstersturz zu retten vermochte, in den Hof geworfen worden. Außer zwei Stuben mädchen in der Küche, Katharina Vogl und Anna Radler, die vergebens um Mitleid für den gutmütigen Priester baten, konnte niemand anderer in dem großen Tumult den Vorfall bemerken. Zum Glück befanden sich wegen Maurerarbeiten unter dem Fenster, aus dem Domkurat Krawarik gestürzt wurde, zwar ein Sandhaufen, der den Fall milderte, zum Unglücke aber auch Kübel, auf welche die Beine des Priesters aufschlugen und beiderseits an den Oberschenkeln brachen (auch eine Kniescheibe wurde gespalten). Daraufhin verschwanden die jugendlichen Missetäter. Von der Küche aus wurde die Rettungsgesellschaft verständigt, die den Schwerverletzten ins Allgemeine Krankenhaus brachte. Es mußte unterdessen fast 22 Uhr geworden sein. Auf dem Gang des zweiten Stockes wurde ein Kruzifix schwer beschädigt und ein öllämpchen vor dem Muttergottesfigürl, dem nichts geschah, zerschlagen. Da kam, noch so spät vom Kardinal geschickt, eine Aufforderung an mich, ins Erzbischöfliche Palais hinüberzukommen und von den dortigen Verwüstun gen photographische Aufnahmen zu machen. Meinen Einwand, daß ich kein Photomaterial, hauptsächlich aber kein Blitzlicht vorrätig hätte, wurde damit abge wiesen, daß Eminenz mich erwarte und ich auf jeden FaU gehen müsse. So machte ich mich auf den bit teren Weg, ohne auch nur einen Apparat mitzimehmen, denn ich hatte von den Erlebnissen im Kurhaus wahrlich genug. Beim Eingang ins Palais auf dem Stephansplatz fragte mich ein Torposten, er war von der Kriminalpolizei, wie ich später feststellen konnte, wohin ich wolle. Ich antwortete wahrheitsgetreu, daß ich für Photoaufnahmen verlangt sei. Anstandslos) wurde ich darauf eingelassen, weil, wie ich ebenfalls erst später erkannte, die Polizeiphotographen ein-f treffen sollten. Mein Begleiter, es war Kammerdiener Martin Stadler**), brachte mich durch das Stiegen haus, das mit den zerschlagenen Laternen und Putten einen traurigen Anblick darbot, in die Gemächer des Kardinals. Auf dem Weg dahin allenthalben zer schnittene Gemälde, zerbrochene Fenster, geöffnete Schränke. Der Kardinal befand sich in zorniger Erre gung, sah kaum, daß ich mit leeren Händen dastand, hörte auch meine Entschuldigung nicht erst an, son dern befahl, daß ich die Zerstörungen aufnehme, damit sie in den Zeitungen des Auslandes veröffentlich wür den. Der Kammerdiener, der mit Recht befürchtete, meine Einwände könnten Eminenz noch mehr erre gen, sagte mir, er besitze eine Rollfilmklappkamera, mit der vielleicht Aufnahmen möglich wären. Obwohl ich überzeugt war, ohne Stativ und nur mit der vorhandenen Zimmerbeleuchtung keine brauchbaren Bilder zu bekommen, versprach ich wenigstens, einen Versuch zu machen. Ich verabschiedete mich von Eminenz und ging mit dem Kammerdiener, der den Apparat besorgte, in einen beleuchteten Raum, stellte die Kamera auf den Tisch und bemühte mich, im Sucher einen Ausschnitt zu erfassen und halbwegs ausreichend zu belichten. Da kam ein Gestapobeamter vorbei, erblickte unseren Amateurversuch und fragte gleich, was wir hier täten. Auf unsere Antwort, daß der Herr Kardinal Aufnahmen gewünscht habe, nahm er den Apparat kurzerhand an sich und hieß mich mitkommen. Er führte mich hinunter in die Portier loge, in der ein anderer Beamter das Telephon be diente, und ließ mich warten. Offenbar zog er Erkun digungen ein, was er in meinem Falle und mit mir tun sollte. Nach einiger Zeit kehrte er zurück und sagte mir, daß ich nach Hause gehen dürfe. Am Aus gang Stephansplatz gab es noch eine Verzögerung, weil wahrscheinlich aufgetragen war, niemanden hin ein oder hinaus zu lassen. Schließlich, nachdem ich erklärt hatte, die Erlaubnis zum Heimgang von der Polizei selbst erhalten zu haben, ließ man mich gehen. Es mochte gegen Mittemacht sein. Von den aufregen den Eindrücken sehr beunruhigt, konnte ich keinen Schlaf mehr finden. Als ich am Morgen vor 8 Uhr in die Domsakristei kam, um die hl. Messe zu lesen, ver sagten mir die Beine den Dienst. Mit Mühe konnte ich in die Wohnung zurückgebracht und zu Bett gelegt werden. Die Nerven ließen aus, obwohl seit der Urlaubserholung wenig Zeit verstrichen war. Als dann Gauleiter Bürckel die Gegendemonstration ankündigte, verlangte ich selbst, im St. Augustinus-Krankenhaus der Barmherzigen Brüder zu Gersthof untergebracht zu werden. Dort erholte und beruhigte ich mich erst nach einer Woche auf reichlichen Genuß von Schlaf mitteln hin,-' so daß ich in meine Wohnung auf dem Stephansplatz zurückkehren konnte. Kammerdiener Stadler berichtete später, der Rollfilm sei ihm aus dem Apparat genommen und die Kamera leer zurück gestellt worden. Er wisse deshalb nicht, ob auf dem Film überhaupt etwas aufgenommen war. *) Stammt von Möns. Josef Göbel, Vizekustos und Domkurat von St. Stephan, der ihn zur Ergänzung des Berichtes von Univ.-Doz. Dr. Erika WeinzierlFischer: Österreichs Katholiken und der National sozialismus (III. Teil), in: Wort und Wahrheit, Wien 1965, Heft 12, S. 799, gütigst zu Verfügung stellte. **) Verunglückte später tödlich auf der Autofahrt Kardinals König zum Begräbnis des Kardinals Stepinaö in Jugoslawien. 37. Inventar des Archivs des höheren Priesterbildungsinstituts zum heiligen Augustin für Weltpriester in Wien Frintaneum *) 1. Aufnahme- und Entlassungsgesuche (Gesuche der Ordinarien und Vortrag des Obervorstehers an den Kaiser und Beilagen). 2. Informationstabellen und Tabellen über die Zöglinge des höheren Priesterbildungsinstitutes 23
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