Beiträge Diözesangesdiidite B E I L A Q E Nr. 5 {Mai 1966) DES WIENER D ÖZESANBLATTES 104. Jahrgang Nr.3 Wien,am 1. Mai 1966 7.Jahrgang Inhalt: 34. Das Bauprogramm von St. Stephan in Wien in seiner Auswirkung auf die Wallfahrtskirche Maria Straßengel. — 35. Eifrigster Mitarbeiter am Kopallik'schen Regestenwerk: Dechant Franz Sal. Ried ing. — 36. Vom Sturm auf das Kurhaus am 8, Oktober 1938. — 37. Inventar des Archivs des höhe ren Priesterbildungsinstituts zum hl. Augustin für Weltpriester (=Frintaneum). — 38. Regesten des Taubstummen-Instituts in Wien. 54. Das Bauprogramm von St. Stephan in Wien in seiner Auswirkung auf die Wallfahrtskirche Maria Straßengei Dr. P. Leopold Grill OCist. Immer mehr zeigt es sich, welch ein kulturell reiches und in seinen Kunstleistungen einmaliges Land Österreich in der Zeit der Gotik gewesen ist. Einen starken Impuls erhielt diese Baukunst durch den Orden der Cistercienser. Man stellt Merkmale einer typischen Cistercienser-Architektur fest.^) Doch bei aller Gebundenheit an die strenge Bautradition zeigte sich der Orden immer wieder aufgeschlossen für Fort schritt und Neuerungen. So bricht sich nunmehr die Erkenntnis Bahn, daß der erste durchbrochene Turm helm in Österreich zuerst an der Cistercienser Wall fahrtskirche von Maria Straßengel fertiggestellt wor den ist. Doch nicht nur der zierliche Turm und die figuralen Darstellungen und Schlußsteine weisen Be ziehungen zum St. Stephansdom in Wien auf, sondern vor allem der Kirchenbau selbst.^) Als sich die Dom bauhütte von St. Stephan in nächster Nachbarschaft an der Kirche Maria am Gestade in Wien betätigte, war sie auch schon vor Mitte des 14. Jahrhunderts oberhalb von Graz in Straßengel am Werke.®) Wir wissen, daß die Auswirkungen dieser zentra len österreichischen Bauschule für die gotische Weg säule in Wiener Neustadt ebenso wie für die Licht säulen in Klosterneuburg und Hainburg in Betracht kommen.^) Wir dürfen vielleicht dafür auch erstmalig auf die 1493 aus Reiner Miniaturmalerei zu unserer Kenntnis kommenden Lichtsäulen hinweisen.®) Wieso aber das Entstehen von Kirche und Turm von Maria Straßengel in engster Wechselbeziehung zu St. Stephan steht, soll im folgenden dargelegt werden. Der Sieg Rudolfs I. von Habsburg über den Böh menkönig Ottokar kennzeichnet in den österreichi schen Landen die endgültige Wendung zur Gotik. Stift Rein, in dem sich 1276 die steirischen Adeligen zwecks Abschüttelung der böhmischen Herrschaft versammel ten, wurde in dieser Zeit vergrößert und im gotischen Stil umgebaut.®) Abt Bernhard dachte schon 1266 auch in Straßengel zu bauen, weil er das Generalkapitel von Citeaux in diesem Jahre um einen Gnadenbrief für die Wallfahrer und Wohltäter anging."') Der neue Stil fand seine volle Entfaltung in den aufstrebenden Stadtkulturen des Mittelalters mit ihrem bürgerlichdemokratischen Gepräge. Die cisterciensische Mönchs kunst fand im quadratischen Hallenchor des Stiftes Heiligenkreuz im Wienerwald einen Höhepunkt. Die weltliche Kimstrichtung aber gipfelt im albertinischen Chorbau der Wiener Stephanskirche. Diesen begann das neue Bürgertum im Jahre 1304 gemeinsam mit dem neuen Herrscher, Kaiser Albrecht I. (gestorben 1308), der gerne Wien zu einem Bistumssitze erhoben sehen wollte. Der gotische Hallenchor konnte dann in der Regierungszeit von dessen Sohn Albrecht II. (1326—1358) durch den zuständigen Bischof von Pas sau, ebenfalls ein Albrecht, und durch seine Mutter Agnes von Sachsen-Wittenberg ein Neffe Kaiser Albrechts I., am 23. April 1340 feierlich konsekriert werden. Weihbischof Petrus von Passau, der Mitkonsekrator, stellte an diesem Tage einen Ablaßbrief aus für alle, die am Jahrtage der Weihe wie auch an den Festtagen der Heiligen deren einzelne Altäre und an den Sonntagen die St. Stephanskirche besuchen.®) Ein neuer Typus des Hallenchores war nach Österreich gekommen, der von der Donaustadt aus Schule machte.®) Dreimal drei Joche zählt das Mittelschiff mit seinen gleich hohen Seitenschiffen, wie im Hallen chor des Stiftes Heiligenkreuz, aber zum Unterschied davon schließen sie nicht in geradliniger Mauer, son dern in drei ganz gleich hohen Apsiden, von denen die mittlere Apsis mit dem Hochaltar um ein Joch vorgezogen ist. Diese unmittelbare Einbeziehung der Chorabschlüsse in den Raumkörper der Halle finden wir beispielhaft seit dem 13. Jahrhundert schon in Westfalen vorgebildet.'-®) Es hat den Anschein, als ob die österreichischen Cistercienser des 14. Jahrhunderts mit dem Thema der Halle in baulichen Wettstreit geraten wären. Be vor sich die Mönche von Rein für ihren Wallfahrtsort Straßengel an St. Stephan in Wien orientierten, adap tierten ihre Ordensbrüder 1327 bis 1344 in Neuberg im obersteirischen Mürztal für ihre monumentale Kir che zur Gänze den Plan des Hallenchores ihres Mutter klosters Heiligenkreuz, während in dessem ersten Tochterkloster zu Zwettl im Waldviertel ein Hallenrundchor geplant wurde.'') Rein hätte nach dem Mu ster der romanischen Abteikirche aus seiner Grün dungszeit nach rechteckigem Grundriß ähnlich wie in Neuberg eine Hallenkirche in verkleinertem Maß stabe auf dem Bergvorsprunge von Straßengel an der Mur erstehen lassen können.'^) Doch es sollte eine kleine Schwester des sich gerade zur Hochgotik in 17
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