Beiträge Diözesangesdiidite BE ILAQE DES WI ENER DIÖZESANBLATTES Nr. 1 (Jänner 1966) 104. Jahrgang Nr.l Wien,am 1.Jänner 1966 7.Jahrgang Inhalt: 27. Kardinal Franz Xaver Nagl, Fürsterzbischof von Wien (1911/1913). II. Seine Berufung als Erzbischof-Koadjutor von Wien und seine Erhebung zum Fürsterzbischof (1910/1911). — 28. Die quellenmäßigen Unterlagen zur llOO-Jahr-Feier (1965) der Weihe der einstigen Burgkapelle zu Orth an der Donau. — 29. Möns. Wilhelm Leuchter, Diözesanhistoriker (t 1965). — 30. Regesten des Taub stummen-Institutes in Wien. 27.Kardinal Franz Xaver Nagl, Fürsterzbischof von Wien (1911/1913) II. Seine Berufung als Erzbischof-Koadjutor von Wien und seine Erhebung zum Fürsterzbischof (1910/1911) (Fortsetzung) Dr. Franz Loidl Daß natürlich am Grunde oder an Gründen für die Nichternennung Weihbischof Marschalls verschie dentlich herumgedeutelt, gemutmaßt, phantasiert und daran kritisiert wurde, bedarf keiner eigenen Unter streichung und wäre aus der damaligen Presse allein schon zur Genüge zu belegen. Da nun bereits eine ausführliche Biographie über Marschall vorliegt^®), seien daraus nur kurze Hin weise angegeben. ®^) Nach vorherrschender Ansicht wird eine Hauptursache für die allgemein über raschend empfundene Zurücksetzung Marschalls in dem tragischen Auftrag des Kaisers gesehen, den selbstherrlichen, liebeglühenden Thronfolger Franz Ferdinand d'Este von der morganatischen Ehe mit der Gräfin Sophie Chotek abzureden, was dem Weih bischof bei seinem ehemaligen Schüler nicht bloß nicht gelang, sondern ihm dessen unversöhnliche Ab neigung und, wie scharfe Äußerungen erkennen lassen, die Verhinderung jeder Karriere und noch mehr die Verurteilung von Seite der sich vom Verlust der Ehe und eines einmaligen Aufstiegs bedroht fühlenden ehrgeizigen Dame eintrug. Das Zentralorgan der öster reichischen Sozialdemokratie, die „Arbeiter-Zeitung", das „Deutsche Volksblatt" u. a. wiesen auch mehr oder weniger deutlich darauf hin, indem sie von „Machen schaften aus dem Belvedere", dem Sitz des Thron folgers, oder von einer Art Nebenregierung neben Kaiser imd Papst sprachen. Mehrfach tauchte in diesem Zusammenhang der Name P. Augustin Graf Wilhelm v. Galen OSB. (ein gebürtiger Westfale und ehemaliger Gerichtsreferen dar) auf, der als Beichtvater des Thronfolgerpaares beste Beziehungen hatte, mit dem Marschall jedoch nicht in gutem Einvernehmen stand, da sich dieser gegen die Absichten der Beuroner, die k. u. k. Hof kirche zum hl. Erzengel Michael (Wien I) für die Errichtung einer Abtei zu gewinnen, ausgesprochen hatte. Daß es daher für den genannten Pater ein leich tes gewesen sei, Nagls Ernennung statt der Marschalls zu erwirken, leuchte ein, schrieb damals die „Wiener Sonn- und Montagszeitung". Auch ging allgemein das Gerücht um, P. Augustin wolle Weihbischof von Wien werden. Dies traf aber nicht ein. Dies und daß etwas zwielichtige Absichten dahinterstanden, wird weiter unten durch Schreiben verdeutlicht werden. Auch hieß es, daß die christlichsoziale Partei bei der Erhebung Nagls mitgeholfen habe. Die Annahme gründet wohl darauf, daß Nagl durch die ersten „Entenabende" ihre geistigen Väter gekannt und daher der Partei wohlwollend gegenüberstand und sich, als 1894/95 Verdächtigungen und Anzeigen in Rom sogar deren Verbot befürchten ließen®^), als Rektor der Anima und Apostolischer Protonotar für sie verwendet habe. Deshalb gab die „Reichspost" gleich am 25. Dezember 1909 eine- Erklärung wider die Behauptung ab, daß Marschalls Rücktritt auch durch die christlichsoziale Partei veranlaßt worden sei; weiters drückte Bürgermeister Dr. Karl Lueger vor Vertretern der Wiener Tagespresse sein Befremden über die sich ereignenden Umstände und vor allem über die Form des Vorganges aus, wies aber zugleich jeder Grundlage entbehrende Behauptungen, wie, daß Marschall ob seines angeblichen Verhaltens gegenüber den Tschechen übergangen worden sei, entschieden zurück. Und als ein paar Wochen später die „Neuen Tiroler-Stimmen" die Partei der Einflußnahme bezich tigten, trat der Reichstagsabgeordnete Dr. Geßmann dem dezidiert entgegen: „Die Angelegenheit der Er nennung des Koadjutors für das Erzbistum Wien war mir bis zu dem Augenblicke, wo dieselbe in die Öffent lichkeit kam, überhaupt unbekannt. Es sind daher alle Behauptungen, welche meine Person mit der Angelegenheit in Verbindung bringen wollen, voll ständig unstichhältig und aus der Luft gegriffen."®®) Noch einmal auf die Ehe Franz Ferdinands zu rückgreifend, glaubt der Biograph Marschalls®^) doch erklären zu sollen, daß es trotz der Aussage der Nichte des Weihbischofs®®) und anderer®®) wohl übertrieben wäre, hierin allein die Ursache der Übergehung des so beliebten Volksbischofs erblicken zu wollen, und weist dann noch auf andere Gründe und Vorgänge
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