Die einzige Möglichkeit, der Unordnung entgegen zuwirken, sei die Beigabe eines Koadjutors mit dem Rechte der Nachfolge, der, mit speziellen Fakultäten versehen, sofort die Regierung der Diözese überneh men könnte. Die Schwierigkeit liege in dem Umstand, eine geeignete Persönlichkeit für dieses Amt zu fin den. Doch sei dies vielleicht Msgr. Nagl. S. Majestät mögen diesen Gedankengängen ihr Wohlwollen zu wenden. Mit Dank und Segenswünschen für die ganze kaiserliche Familie schließt das von Pius X. unter zeichnete Schreiben^). Darauf wurde von Kaiser Franz Joseph zwar „als Seiner Heiligkeit wohlgewogenem, gehorsamstem Sohn", aber in Erinnerung an seine kirchlichen Rechte bei den Bischofsernennungen voll zustimmend so geantwortet: „Eure Heiligkeit! Die Angelegenheit, welche das hochverehrte Schreiben vom 4. August erörtert, liegt Mir seit längerer Zeit am Herzen. Um so größer ist Meine Genugtuung, daß die Sorgen E. H. mit Meinem Urteil über den Stand der Dinge in der Wiener Erz diözese übereinstimmen, und Ich hoffe umso mehr, daß die Abhilfe bald erreicht sein wird, als Ich auch dem von E. H. vorgeschlagenen Mittel, dem greisen Kardinal Fürsterzbischof Gruscha einen Koadjutor mit dem Rechte der Nachfolge und mit den erforderlichen Vollmachten für die gänzliche Ver waltung des Erzbistums einschließlich der Mensa an die Seite zu geben, nur beizupflichten vermag. End lich gereicht Mir die Hindeutung E. H. auf die Per son des Bischofs von Triest Msgr. Franz Xaver Nagl zur Befriedigung, weil Ich dadurch die Anschauung, welche Ich Mir über das bisherige stets von Gott gesegnete Wirken dieses Prälaten gebildet habe, von der berufensten Autorität bekräftigt sehe. Deshalb stimme Ich völlig dem Mir gütigst mitgeteUten Plane bei, daß von Seite E. H. der Kardinal Gruscha in rücksichtsvollster Form von der Notwen digkeit der in Rede stehenden Maßnahme überzeugt und veranlaßt werde. Mir ehestens sein darauf abzie lendes Gesuch zu überreichen. Ich werde sodann die Ernennung Msgr. Nagls zum Koadjutor mit dem Rechte der Nachfolge vollziehen und E. H. die dies bezügliche Nominations-Urkunde überreichen lassen. Über die weiteren Einzelheiten, welche sich noch an die Durchführung dieser Veränderung anschließen werden, namentlich über das Ausmaß der für den Kardinal aus den Wiener Mensal-Einkünften zu reser vierenden Bezüge, wird sich sodann alsbald eine Eini gung zwischen den Regierungsbehörden E. H. und den Meinen erzielen lassen. Auch zähle Ich auf das Entgegenkommen und die Förderung E. H. bei der* ebenfalls sehr bedeut samen Ernennung eines vollkommen geeigneten Nachfolgers Msgr. Nagls für das Bistum Triest-Capo d'lstria. Indem Ich E. H. für die in dieser hochwichtigen Angelegenheit ergriffene Initiative wärmstens danke und deren günstigen Ausgang dem Segen des All mächtigen anheimgebe, flehe Ich zu Gott für das Wohlergehen und die glückliche Regierung E. H."'') Nicht uninteresssant mag nun ein Schreiben sein, das der Minister für Kultur und Unterricht am 26. November d. J. an den Kammervorsteher Baron Rumerskirch richtete: „Auf die im ah. Auftrage Sr. k. u. k. Hoheit des durchlauchtigsten Erzherzog Franz Ferdinand mir zugekommenen Anfrage gebe ich mir die Ehre, die nachstehenden Informationen Eurer Exzellenz zu übermitteln. Anfangs August 1. J. langte ein eigenes Hand schreiben von S. H. bei S. M. ein (s. o.), in welchem auf das Alter des Kardinal-Fürsterzbischofs von Wien hingewiesen und betont ist, daß dadurch sowohl die Disziplin des Klerus wie auch die Mensalverwaltung umso schwerer geschädigt würde, als auch das Wir ken des Generalvikars keinen vollen Ersatz für die mangelhafte Aktionsfähigkeit des Oberhirten biete. S. H. müßte daher den Gedanken der Beigabe eines Koadjutors mit dem Rechte der Nachfolge und der Befugnis zur gesamten Diözesanverwaltung einschließ lich der Sorge für die f. e. Mensa in Erwägung ziehen. Die Auswahl der Persönlichkeit sei zwar eine schwie rige, doch dürfte sich eine solche im Episkopate fin den, wie es etwa der Bischof von Triest Msgr. Nagl wäre. Nachdem dieses Schreiben zunächst dilatorisch beantwortet worden war, erhielt ich Ende August den ah. Befehl zur meritorischen Antragstellung und habe, da die Gründe für die Beigabe eines Koadjutors offen sichtliche sind und da schon seit einem mehrere Jahre zurückliegenden Zeitpunkt S. M. den Bischof Nagl für die Nachfolge nach Kardinal Gruscha in Aussicht zu nehmen geruht haben, in einem mündlichen Vortrage vom 27. September den a. u. Antrag auf Aufnahme der päpstlichen Propositionen gestellt. In diesem Sinn ist auf die Anregungen Sr. H. unmittelbar von Sr. M. ah. persönlich alles erwidert worden, so daß mit der Tatsache der bevorstehenden Bestellung Msgr. Nagls zum Koadjutor des Fürsterzbischofs von Wien mit dem Rechte der Nachfolge zu rechnen ist. Endlich bin ich zur Kenntnis gelangt, daß Kar dinal Gruscha eine diesbezügliche Aufforderung von Seite des Heiligen Stuhles erhalten und zunächst all gemein in befriedigender Weise beantwortet, sich je doch noch eine Berichterstattung über den Stand der Diözese vorbehalten habe. Ein Schritt des Kardinals bei Sr. M. ist dagegen, soviel ich unterrichtet bin, noch nicht unternommen worden. Indem ich diese Informationen E. E. zur Verfü gung zu stellen die Ehre habe, glaube ich noch darauf hinweisen zu sollen, daß S. M. die streng vertrauliche Behandlung dieser Angelegenheit ganz besonders anzuordnen geruht haben, was ich E. E. freundlich zur Kenntnis zu nehmen bitte. Am besten wird das Problem mit seinem Drum und Dran nun aus den Notizen für die kaiserliche Audienz vom 27. September d. J. ersichtlich, worin skizzenförmig ausgeführt wird und das am besten gleich wörtlich vorgelegt sein möge: „Kardinal Gruscha tritt am 3. November 1. J. in sein 90. Lebensjahr. Sein Alter und das hiedurch gesteigerte Bedürfnis sowie sein sehr geschwächtes Sehvermögen haben ihn seit längerer Zeit veranlaßt, die Leitung der Erzdiözese fast vollständig dem Gene ralvikar Marschall zu überlassen. Er selbst weilt im Jahre neun Monate fern von Wien. Ein Kontakt mit dem Diözesanklerus existiert nur ganz sporadisch. 26
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