Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

die Bitte zum Himmel steigen: ,Herr, sende einen anderen!' Nur die Uberzeugung, der sich meine Seele mit Sträuben beugen mußte, daß Gott der Herr es ist, der mich Unwürdigen für diese Würde ausersehen, ließ die Kraft mich finden, mein inneres Widerstreben zu überwinden und mein Geistesauge vor dem entmuthigenden Anblick meiner ungenügenden Kraft und Tüchtigkeit zu schließen. Sie ließ im Vertrauen auf den apostolischen Segen, den ich vor Antritt dieser Würde vom hl. Vater für die ganze Diözese, den ehr würdigen Klerus und für mich erbeten habe, den Muth mich finden, dieselbe auf meine schwachen Schultern zu nehmen, weil Gottes Wort uns sagt, ,daß der Herr keinen Menschen über seine Kraft versucht'und keinem mehr auferlegt, als er zu tragen imstande ist; und weil Paulus lehrt, ,daß Gott, der da stark ist in dem Schwachen, oft das Schwache dieser Welt, und was nichts ist in ihren Augen, auserwählt, um seine hl. Absichten auszuführen...!' „Nun du (Petrus) alt bist, wird ein anderer dich führen, wohin du nicht willst', sollte sich auch an mir Unwürdigem erfüllen. Da ich jung war,trat ich, nachdem ich die nothwendige Vorbildung mir erworben hatte, in mein liebes Stift, dem ich selbe danke, und wirkte, durch die feierliche Profeß ihm einverleibt, als Ordensmann und Priester mit Liebe und hl. Freude in verschiedenen Stellungen, die meine Oberen mir zugewiesen haben, zuletzt als Abt, zu welchem das Vertrauen meiner Brüder mich gewählt hatte. Nun ich alt werde, rief mich Gottes Wille als Ihren Bischof in Ihre Mitte. Ich folge diesem Ruf im Namen Jesu, der mit seinen Aposteln und deren Nachfolgern seinen Beistand gewiß nicht ver sagen wird." Nach der Bitte um Gebet und Vertrauen, da er, zum Unterschied von seinen Vorgängern, als unbe kannter Fremdling in ihre Mitte trete, „der für sich und zu seinem Trost nichts geltend machen kann als die dxirch seine Ernennung und deren Umstände ihm aufgenötigte Überzeugung, daß Gott es ist, der ihm diese schwierige Stellung aufgetragen hat", bittet er seine engste Mitarbeiterschaft, den Generalvikar Dok tor Angerer, das Metropolitankapitel und das Konsi storium") um bereite Mithilfe, legt den „praktisch tätigen Arbeitern im Weinberg des Herrn", den Dechanten „als Stellvertretern des Bischofs" und den Pfarrern und Kooperatoren — sie gleichsam als ver vielfältigten Bischof bezeichnend — die cura ordinaria und da wiederum vor allem die Kinderunterweisung sehr ans Herz, erinnert als ehemaliger Mittelschulleh rer mit aller Wärme die Religionslehrer an ihren „wichtigen und heiligsten Beruf, da sie den Nach wuchs jener Stände in den Glauben einführen, in deren Hände das geistige und leibliche Wohl der nächsten Generation gelegt ist." Nach der hl. Versicherung, daß er sich stets be mühen werde, nach allen Seiten hin gerecht zu wer den, spricht er als Ordensmann in besonderer Weise die Ordensleute an: „Der Trennungsschmerz, mit dem ich, warum soll ich es verschweigen, von meinem lie ben Kremsmünster und von meinen Brüdern schied, findet darin Trost, daß ich hier so viele hervorragende, bestverdiente Ordenshäuser und Ordensgesellschaften finde, die unter der Leitung frommer, hochverdienter Vorstände durch Erziehung und Unterricht, durch För derung der Wissenschaft, durch Eifer in der Seelsorge sich auszeichnen oder durch Krankenpflege,Erziehung und Schutz der Kleinen, durch Unterstützung der Armen und Verlassenen Werke geistiger und leiblicher Barmherzigkeit üben und so große Verdienste um die Menschheit, um Kirche und Staat sich erwerben, zu gleich aber durch fromme selbstlose Übung dieser Liebeswerke ihre eigene Vervollkommnung nach Mög lichkeit zu fördern sich bemühen." In einem fast dreimal so umfangreichen Hirten schreiben begrüßt er nicht minder herzlich seine neuen Diözesanen, entwickelt vor ihnen mit fast professoraler Ausführlichkeit die Heilsgeschichte, ruft sie zur Glau bens- und Kirchentreue auf „in der religiös gleichgiltigen, so tief bewegten Zeit, in der auf wissenschaft lichen, politischen, sozialen, ja allen Gebieten nicht selten einander widersprechende Anschauungen und Bestrebungen gegenseitig bekämpfen vmd nach Gel tung ringen", und wendet sich dann direkt an die schöne Residenz- und Hauptstadt und seinen Metro politansitz: „In deinen Mauern, friedliebendes Wien, im lebendigen Verkehr mit deinen gemüthreichen Be wohnern kommen... die Sonderwünsche und Bestre bungen, die als Folge verschiedener Nationalität, ver schiedener Anschauungen und Überzeugungen auf politischem und sozialem Gebiete unter den Völkern derMonarchie, oft mehr als gut ist, nach Einfluß und Geltung ringen, zum Schweigen. Sie werden aufge hoben und verklärt", führt er dann aus seiner ihm in Fleisch und Blut übergegangenen und für ihn so cha rakteristischen tiefen Verehrung gegen seinen Kaiser aus,„in den höheren,edleren Gefühlen der Liebe,Treue und Hingebung an den gemeinsamen Monarchen von Gottes Gnaden, den allverehrten, heißgeliebten Vater auf dem Throne... Deshalb gib, theures Wien, dieser angestammten Liebe zum Kaiser... die heilige Weihe, die festeste, unerschütterliche Grundlage dadurch, daß du als katholische Stadt auch gerne Gott gibst, was Gottes ist." Mit der Mahnung: „Besuchet gerne den imponierenden Stephansdom, das heilige Wahrzeichen, ohne den Wien Wien nicht wäre und die übrigen schö nen Gotteshäuser", schließt er. Zustimmend hiezu ver merk die Neue Freie Presse^^), dieser gemütvolle und bescheidene erste Hirtenbrief „schlägt einen ruhigen, ungemein versöhnlichen Ton an und hält sich von der Polemik gegen den liberalen Staat fern. In einer Stelle schimmert auch die Auffassung durch, welche der neue Bischof dem österreichischen Staatsgedanken im Sinne seines den Föderalisten abholden Vorgängers Rauscher entgegenbringt." Eine der ersten öffentlichen Funktionen Gangi bauers — noch vor einer offiziellen Romreise mit ihrem Höhepunkt der einstündigen Audienz bei Papst Leo XIII. am 2. November und von der er am 8. No vember wieder zurückkehrte — war die Weihe des nach (Ober-)Hollabrunn verlegten Knabenseminars und die Benediktion der Zöglingskapelle darin am 2. Oktober 1881, genau 25 Jahre nach der Eröffnung des durch Kardinal Rauscher in Wien VI. „ob der Laimgrube" begründeten kleinen Seminars"), womit er sein Versprechen einlöste, die Pflanzstätten des geistlichen Nachwuchses der Erzdiözese zu besuchen und die hochverdienten Vorsteher, Erzieher und Leh rer daselbst persönlich zu begrüßen"). Der dabei aus26

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