Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Wann immer wir mit unserem Erzbischof Kardinal Dr. Franz König zusam mengetroffen sind, hat er uns die Lektüre der Konzilstexte ans Herz gelegt. Mir war das dicke Konzilskompendium über lange Zeit zu umfangreich und ich schaute nur hinein, wenn ich mußte. So etwa,als mein Pfarrer befand, wir sollten unsere Mai predigten über die Kirchenkonstitution ,JLumen gentium" halten-da habe ich sie zum ersten Mal ausführlich durchgearbei tet - und so bearbeitet verwende ich sie auch heute noch! Alles in allem gesagt, habe ich damals vom Konzil und seiner Bedeutung relativ wenig begriffen. Mir, als jungem Kaplan, war alles neu und so lernte ich halt,„daß die Veränderung das einzig Bleibende sei". Da und dort kann ich mich aber auch an manches Unver ständnis und manchen Ärger derer erin nern, die meinten, in vielem eine ge wohnte Heimat verloren zu haben. Damals theologisch recht unbedarft und pastoral wenig erfahren, bin ich sehr unreflektiert mit dem Aufbruch des Konzils mitgewachsen. Vieles hätte ich mir gar nicht anders vorstellen können. Die damalige Aufbnichsstimmung der Kirche hat mein Lebensgefühl zutiefst geprägt und es war ein äußerst schmerz licher Lernprozeß, Jahrzehnte später das Stocken dieses Aufbruchs und manche gegenläufige Entwicklungen wahrnehmen zu müssen und auch begreifen zu lernen. Die Angst vieler Menschen in unserer so komplexen und vom Pluralismus gepräg ten Welt ist größer geworden - daher wachsen die fundamentalistischen Versu che,gewohntes Leben und Gläubigsein zu bewahren. Persönlich wünsche ich mir, daß „gaudium et spes"(Freude und Hoff nung) wieder melm das Antlitz unserer Kirche, der Gemeinden und der einzelnen Christen prägen und daß die Kirche wie der das ,Xumen gentium", das Licht der Völker,werden möge. Kanonikus Anton Berger, 1964 zum Priester geweiht, ist Bischofsvikar des Vikariates Wien-Stadt. Als Priester mitdem Zweiten Vatikanischen Konzil mitgewachsen Von Gustav Pirich Als ich i960 in das Wiener Priester seminar eintrat, war die Idee eines Kon zils schon längst geboren, aber alles noch fernab eines innerkirclüichen Bewußt seins. Die Strukturen der universitären Ausbildung waren noch immer von der Rautenslrauch'schen Reform des 18. Jahrhunderts geprägt, während sich die Inhalte am bewährten Muster der Neoscholastik orientierten. Das darf nicht negativ verstanden werden, denn eine gewisse traditionelle Gediegenheit erweist sich bis heute als Vorteil im Hinblick auf neue Denkstrukturen. Auch das Leben im Priesterseminar war bei allem Gemeinschaftserlebnis und bei aller Aufgeschlos senheit der Leitung in seinen Struktiuen starr, die Hausordnung normativ und das Studium, wie schon gesagt, vom unwider sprochenen,absoluten „De fide" geprägt. Doch schon die Vorbereitimgsarbeiten zum Konzil, die ja nur sehr bruchstück haft und oft vage medial vermittelt wur den, ließen gewisse Hoffnungen aufkei men. Innerkirchlich sprach man zwar von diesem oder Jenem Gerücht, aber Authen tisches war nicht zu hören. Wir waren stolz auf die Berufimg von Kardinal Kö nig in eine wichtige Position des Konzils und auf die Berufung von Karl Raliner und Ferdinand Klostermann zu Konzilsberatem. Unvergeßlich werden mir die Bilder von der Eröffnung des Konzils am 11. Oktober 1962 bleiben. Der lange Zug der Bischöfe über den Petersplatz zur Basi lika, Am Ende des Zuges der Papst. Alles in feierlicher Würde ein Zeichen der Weltkirche wiedergebend. Wir Priesterstudenten verfolgten gespamit die Meldungen aus Rom. Erster Infonnationspunkt auf unserem Weg zur Universität war immer ein Zeitungskiosk in der Währingerstraße. Die großen Über schriften lasen wir schon an den Zei tungsexemplaren am Ständer vor der Türe und das Näliere dann in den Zeitungen, die an der Universität, im Hörsaal (auch wäluend der Vorlesungen) von Hand zu Hand gingen. Die Ergebnisse wurden diskutiert, Visionen gestaltet und so mancher Alumne versuchte zaghaft bei den wöchentlichen Ausgängen das Kollare gegen eine Krawatte einzutauschen. Es gab auch manche Aufregung. An zwei Ereignisse erinnere ich mich besonders genau. Einmal war es die Einfügung des hl. Josef in den ersten Kanon der hl. Messe und das andere Mal eine Mahnung, die Vorlesungen, besonders jene in Dogmatik, in lateinisclier Sprache zu halten. Unser Dogmatikprofessor nahm das auch tatsächlich sehr ernst und gestaltete einige Male eine Zusammenfassung seiner Vor lesungen in Latein. Die guten Lateiner im Seminar korrigierten dann die Fehler in der Vorlage mit rotem Kugelschreiber und so war das Ganze nach wenigen Versu chen wieder vorüber. Gegen Ende des Studiums machten sich jedoch die neuen Denkweisen immer mehr bemerkbar. Ich erinnere mich noch gut an jenen Eklat in der Dogmatikvorlesung, als Priesterstudeiiten aus Graz zu Gast waren und ganz imgeniert fragten, warum man die Wandlungsworte nicht in der Muttersprache sprechen könne. Die Folge war ein Zomcsausbruch des Profes sors und die Gaststudenten gingen knapp an einen Verweis aus dem Hörsaal vorbei. Ein weiteres Zeichen des Konzils in der Diözese war, daß Kardinal König nach Abschluß einer Sitzungsperiode Gastbischöfe aus aller Welt nach Wien brachte. So lernten wir im Seminar immer wieder Kardinäle und Bischöfe aus ande ren Erdteilen mit ihrem Christsein, ihren Sorgen imd Nöten und ihren Vorstellun gen kennen. Obwohl die Konzilstexte in so manche Vorlesimgen Eingang fanden, beschäftigte ich mich erst nach der Priesterweihe intensiver mit den Ergebnissen des Kon zils. Als junge Priester machten wir die schrittweise Verwirklichung der Liturgieemeuerung mit und waren sicher für manchen „Chef junge, besorgniserregen de Experimentierer. Dabei beriefen wir uns natürlich immer aufdas Konzil. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Flut von theologischen Büchern, die das Konzil kommentierten, alle nur möglichen und auch manchmal unmöglichen Neue rungen daraus ableiteten, an die vielen neuen Meßbücher „ad experimentum", die neue Lesungsordnung mit den dazuge hörigen Lektionaren. Mit kommt noch in den Sinn, wie die Konzilstheologen nach Beendigimg des Konzils 1965 erst richtig an die Arbeit gingen und Karl Rahner, Piet Schoonenberg, Edward Schillebeeckx,Hans Küng oder Yves Congar u.a. unentwegt publizierten, um die Ergeb nisse des Konzils zu kommentieren und daraus neue Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Der Aufbruch, den diese theologische und pastorale Literatur aus löste, erfaßte uns damals und ließ uns weiter und weiter vorangehen. Die Zeit wurde reif, in der man Dogmen hinterfra gen durfte, die Bibel mit neuem Blick lesen konnte und ich schäme mich nicht zuzugeben, daß ich die ganze Tlieologie noch einmal lernte, olme dabei den tradi tionellen Fundus abwerten zu wollen. Die Pastoral bekam mein und melir einen neuen konstitutiven Schwerpunkt. Der Mensch und sein Leben traten mehr mid mehr ins Blickfeld und nun stellten sich die Probleme und ihre Fragestellungen ganz anders. Was bei einem so rasanten Vorwärtssclireiten zu erwarten und zu befürchten war, trat aber ebenso ein. Die Bremsmanöver durch Restaurationsversu che und Rückschläge in Form von Maßre gelungen mancher llieologen durch Rom ließen nicht allzu lang auf sich warten. Einunddreißig Jahre nach dem Konzil wissen wir erst, wie notwendig und geislgeleitet dieses Konzil war. Pastoral wären heute die vorkonziliaren tlieologischen Kriterien nicht mehr denkbar. Auch wenn die gegenwärtige kirch liche Situation schwierig erscheint und viele Seelsorger und Seelsorgerinnen unter dem Druck der neuen Ansprüche und Enttäuschungen leiden, so war doch das Konzil jener Aufbruch, der sich in seiner ganzen Tragweite auch heute noch nicht abschätzen läßt, und ein Fundus,der noch lange nicht ausgeschöpft ist, ja, ich wage zu sagen, noch gar nicht erkannt ist, demi wer von uns kennt die Konzilstexte und ihre Intentionen wirklich genauer? Die Konzilsväter haben viele Kompro misse geschlossen und damit (vielleicht auch ungewollt) erreicht, daß die Tradi tion bei allem neuen tlieologischen Den ken und pa.storalem Aufbruch weiterlebt imd so ein kirchliches Kontinuum gewahrt

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