Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

zepte, die er bei jeder Gelegenheit mit teilte, war:„Vereinfache das Komplizierte und kom-pliziere nicht das Einfache'". Und so hat dieser neue Papst, der sich in seinen geistlichen Äußerungen,nachzu lesen in seinem „Geistlichen Tagebuch", einer mitunter fremd und fern anmuten den klerikalen Frömmigkeit des 19. Jahrhunderts bediente, der das alte Proto koll im wesentlichen beibehielt, weil er dachte, das müsse so sein, der nie daran dachte, die Kirche im Sinne so mancher postkonziliarer Vorstellungen zu refor mieren, das Gesicht der Kirche, nicht durch Lehr- und Disziplinarentscheidungen, sondern einfach durch seine Menschlichkeit, gleichsam über Nacht verändert. Und dieser Papst, der in den Augen der eigenen Amtsbrüder,eigentlich nur als „Übergang" gedacht war, hatte nun den ,3mfall"des Konzils. Auch wenn er in späteren Rückblicken seinen Konzilsplan als eine plötzliche Eingebung hinstellte, welche ihm am 19. Jänner 1959 zuteil wurde, wissen wir heute, daß „der Papst damit Gedankenschrille und Aktivitäten aus den voraus gehenden Monaten im Rückblick zu sammenzog". Die historische Bedeutung seines Gespräches mit Kardinal-Staatsekretär Tardini vom 20. Jänner 1959 für dasZustandekommen des Konzils bestand in dessen Überzeugung von der Notwendigkeit eines solchen Planes. Die Aiücündigung am 25. Jäimer 1959, vor 17 in Rom anwesenden Kardinälen, rief alsbald organisierten Widerstand hervor, welcher den Papst. - infolge seiner „in luperu"ein auf dem Boden des Ersten Vatikanums bleibenden Inanspruclmahme seiner päpstlichen Vollge walt"' - überhaupt nicht beeindruckte. Später notierte Johaiuies XXUI,; „Menschlich hätten Wir erwarten kömien, daß die Kardinäle, nachdem sie Unsere Ankündigung gehört hatten, sich um Uns geschart hätten, um ihre Zustimmung und guten Wünsche auszusprechen. Statt dessen gab es - ein frommes und eindnicksvolles Schweigen. Erklärungen folgten in den nächsten Tagen". Sie reich ten von versteckter Kritik bis hin zu offe nem Entsetzen:,3ie Kirche wird 50 Jalire brauchen, um sich von den Irrwegen Johannes XXDI. zu erholen" meinte der Erzbischof von Genua, Kardinal Siri; - „Wie kaim er es wagen, ...niü drei Mo nate nach seiner Walil ein Konzil einzube rufen? Papst Johaimes ist vorschnell und impulsiv. Seine Unerfalirenheit und sein Mangel an Bildimg ftllulen ihn zu diesem Schritt, zu diesem Paradoxoii..." entrüste tet sich der Erzbischof von Bologna, Kardinal Lercaro; und Giovaiuii Battista Montini, der Erzbischof von Mailand und spätere Papst Paul VI, riefam Abend des Ankündigimgstages einen alten Vertrau ten, den Oratorianerpater Giulio Bevilacqua, an, mit den Worten: „Dieser hei lige alte lOiabe scheint nicht zu merken, in was für ein Homissennest er da sticht'". Der Papst hatte es inzwischen offenbar Selm wohl bemerkt imd setzte einen ent scheidenden Schaclizug mit der Ernen nung von insgesamt 55 neuen Kardinälen, darunter Kardinal Santos, den ersten Filipino; den ersten Schwarzafrikaner, Kardinal Rugambwa, den Jesuitenpater und Beichtvater Pius XU., Augustin Bea, der nicht einmal Bischof war, und nicht zuletzt auch den Wiener Erzbischof Franz König: Diese massive Erweiterung und Intemationalisierung des Kardinalskolle giums, welche die Kurienkardinäle zur Minderheit machte, sollte entscheidend für das Konzil werden. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Sicht des Metropoliten Nikodim, der die Stimmung dieser Zeit so be schreibt: „Vom Augenblick an, als die Einberufung des Konzils bekaimtgegeben wurde, sali sich die gesamte Hierarchie der römischen Kirche - und nicht nur deren Spitzen - in die Auseinanderset zimg um das Konzil hineingezogen. Da und dort wurden in den Ortskirchen Be fürchtungen laut, die jenen der Kurien kardinälen sehr nalie kamen. ... Die kon servativen Kreise des Episkopats waren in Verwimmg. Doch die Mehrzahl der Bi schöfe hielt das Konzil schon allein des halb für notwendig, um den kirchlichen Status des Episkopates zu untersuchen und festzulegen, der nach dem Ersten Vatikanum unklar geblieben Die Diözesanbischöfe, die sich in unmittelba rem Kontakt mit ihrer Herde sowie mit deren Nöten, Ansprüchen und Stimmun gen befanden, verstanden die Wirkliclikeit erheblich besser als die vatikanischen Kurialen"". So berief der Papst am 25. Dezember 1961 kraft der Apostolischen Konstitution ,J4umanae salutis" für 1962 ein „ganz anderes" Konzil ein; ein solches, für das, im Gegensatz zu frülieren Konzilien, kein aktueller Anlaß bestand; ein, wie er als bald fonnulierte,„Ökumenisches Konzil", ein ,JCon2il für die Gesamtkirche",- zwar niu soweit sie römisch-katholisch und müert war, - aber mit der wörtlichen „freundlichen und neuerlichen Einladung an unsere Brüder der getrennten cliristlicheii Kirchen, mit uns an diesem Fest mahl der Gnade und Brüderliclikeit teilzunelunen, auf das so viele Seelen in jedem Winkel der Welt hoffen". Tatsäch lich wurden in der Folge die getremiten Kirchen eingeladen, amtliche Beobachter zum Konzil zu entsenden, was auch geschah. Der Papst kündigte auch ein „Pastoralkonzil" an, mit der Aufgabe, auf Weltebene die besten Voraussetzungen für eine zeitgemäße Verkündigung des Evangeliums in der Welt zu schaffen. Der Begriff des "aggiomamento", welchen er in diesem Zusammenhang prägte, wurde oft und oft - wohl auch mit Absicht - mißdeutet, meinte aber im Sprachge brauch des Papstes: vor allem üuiere Er neuerung luid Verlebendigung des Glau bens und des Gemeinschaftslebens in der Kirche. Glaube und cliristliches Leben sollten eine Sache „des Tages", eine Sache von heute werden und nicht eine inelir oder weniger schöne Tradition olme prägende Kraft für Gegenwart und Zu kunft. ... Imiere Erneuerung aber bedeutet, daß Glaube und christliches Leben sich positiv in Beziehung zur Welt setzen, in der sich beide abspielen". - Mit schlechter Anpassung hatte dies nichts zu tun. Die große Stunde Papst Johannes XXin.schlug am 11. Oktoben,1962,als er die erste Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils feierlich eröflhete. Unvergessen bleibt der Wortlaut seiner Eröffnungsrede, die, - vollständig von ihm persönlich erarbeitet, in unerschüt terlichem Vertrauen auf die Führung des Heiligen Geistes auf dem ganz unüber sehbaren Weg des Konzils, - an Deut lichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Unter anderem stellte der Papst nämlich fest: ,dn der täglichen Ausübung Unseres Apostolischen Hirtenamtes geschieht es, daß bisweilen Stimmen solcher Personen Unser Ohr betrüben, die zwar von religiö sem Eifer brennen, aber nicht genügend Sinn für die rechte Beurteilung der Dinge noch ein kluges Urteil walten lassen. Sie meinen nämlich, in den heutigen Ver hältnissen der menschlichen Gesellschaft nur Untergang und Unheil zu erkennen. Sie reden unablässig davon, daß unsere Zeit im Vergleich zur Vergangenheit dauernd zum Schlechteren abgeglitten sei. Sie benehmen sich so, als hätten sie nichts aus der Geschichte gelernt, die eine Lehrmeisterin des Lebens ist, und als sei in den Zeiten früherer Konzilien, was die cliristliche Lehre, die Sitte und die Frei heit der Kirche betrifft, alles sauber und recht zugegangen. Wir aber sind völlig anderer Meinung als diese Unglückspro pheten, die überall das Unheil voraussa gen,als ob diese Welt vor dem Untergang stünde In der gegenwärtigen Entwick lung der menschlichen Ereignisse muß man viel eher einen verborgenen Plan der göttlichen Vorsehung anerkennen". - Es sei daher „wahrhaft nötig", sagte der Papst,„daß die gesamte christliche Lehre vor allem durch ein neues Bemühen ange nommen wird; dabei muß die Substanz der alten, im Glauben enthaltenen Lehre von der Formulierung ihrer sprachlichen Einkleidung wohl untersclüeden werden". In diesem Bemühen müsse vor allem der pastorale Gesichtspunkt im Vordergnmd stehen. Mit dieser Zielsetzimg ging das Konzil in seine erste Session, welche bis zum 8, Dezember 1962 andauerte. Ein halbes Jahr darauf, am 3. Jimi 1963, verstarb Papst Johannes XXUI.,und die ganze Welt nalun Anteil an seinem Todeskampf und trauerte um ilm. Aber umnittelbar danach erhob sich die bange Frage nach dem weiteren Schicksal des Konzils. Wird der Nachfolger, wer immer es sein wird, dieses fortsetzen oder es abbrechen? Am 21. Juni 1963 wurde Giovaimi Bat tista Montini, Erzbischof von Mailand, in die Schuhe des Fischers berufen. Zögernd und sorgenvoll nahm er die Walil an. Und als Paul VI. erklärte er nur wenige Tage danach, daß er das Konzil fortsetzen würde und zwar so, wie es Johannes XXin. in großen Zügen geplant hatte. So wurde das Konzil durch den neuen Papst am 27. Juni 1963 offiziell wieder einbeni39

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