Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

leicht beschädigt.Dazu kamen noch Dachund Fensterschäden an über 200 Kirchen. Die Kosten der Wiederherstellung wurden auf rund 150 Millionen Schilling geschätzt. Angesichts dieser völlig neuen Situa tion brauchte man einige Zeit für die Organisation des diözesanen Bauwesens. Zunächst war daran gedacht, die Erhe bung aller Bauschäden an kirchlichen Gebäuden und die Ausarbeitung der entsprechenden Wiederaufbaupläne einem einzigen Architektur- und Ingenieurbüro zu übertragen; im Juli 1945 lag schon ein entsprechender Vertrag zur Unterschrift vor, doch wurde dieses Projekt, das den kirchlichen Wiederaufbau geradezu zu einem Monopol einer einzigen Firma gemacht hätte, nicht verwirklicht. So betraute am 17. August 1945 Kardinal Innitzer als erste Maßnahme Frau Architekt Dipl. Ing. Helene KitscheltBuchwieser mit der Aufgabe, ,jnit den alliierten Behörden in Wien wegen der Wiederinstandsetzung der zerstörten kirchlichen Bauten und Kunstdenkmäler in Verbindung zu treten"'. Schließlich errichtete Kardinal hmitzer am 12, Oktober 1945 ein eigenes kirch liches Bauamt für die Erzdiözese Wien. Die Gründungsurkunde lautet'; „Errichtung eines kirchlichen Bauamtes Der Krieg mit seinen argen Verwü stungen gerade auch an kirchlichen Bau werken. vom ehrwürdigen Stephansdom angefangen bis zu so vielen Kirchen und Kapellen sowie geistlichen Häusern in der Stadt und aufdem Lande, hat mich veranlasst, ein eigenes Kirchenbauwerk zu schaffen, das mit Rücksicht auf seine Aufgaben eine weit über unsere Zeit hin ausgehende Bedeutung hat. Die Leitung dieses Werkes hat alle Bauten zu planen, die vorgelegten Prospekte zu prüfen und ihre Durchführung zu beaufsichtigen. Diese umfassenden Aufgaben etfordeni viel Erfahrung, Umsicht und Tatkraft. Ich habe deshalb den verdienten Direktor der Ordinariatskanzlei Prälat Josef Wagner zur Leitung des Werkes ausersehen. Wie er in den vergangenen Jahren mit Hin gabe und Opferfreudigkeit seinen Dienst erfüllte, wird er auch jetzt seine ganze Persönlichkeit in den Dienst der grossen bedeutenden Sache stellen. Ich erwarte auch vom ganzen Klerus und allen Ka tholiken die treueste Mithilfe. Möge das neue Werk viel Erfolg und Segen haben! Wien, 12. Oktober 1945". An Prälat Josef Wagner*, der als Se kretär (seit 1909) bzw. Direktor des All gemeinen Wiener Kirchenbauvereines, reiche Erfahrung auf dem Gebiet des kirchlichen Bauwesens gesammelt hatte, sowie als langjähriger Direktor der Ordi nariatskanzlei (seit 1929)mit allen Berei chen der kirchlichen Verwaltung vertraut war, erging unter gleichem Datum ein entsprechendes Ernennungsschreiben'. Die Schwierigkeiten des kirchlichen Wiederaufbaues waren durch die Zwangsbewirtschaftung bzw. das Fehlen der nötigen Baumaterialien gekennzeich net. So konnte etwa infolge des Fehlens von Kohlezuliefenmgen 1945 kein Ze ment hergestellt werden.Im Diözesanblatt liest man die Bitte des ,Jdrchlichen Bau amtes" um Meldung von unbenützt ste henden Baracken vom Typ der „ehemaligen Reichsarbeitsdienstbarakken"'. Leistungen des erzbischoflichen Bau amtes von 1945 bis i960 Im Jahr 1951 wurde Domkurat Alois Penall, der seit 1940 die Abteilung „Sachaufwand" der erzbischöflichen Finanzkammer geleitet hatte, zum stell vertretenden Direktor des Bauamtes bestellt. In mehreren Aufsätzen hat er in den Jahren 1951, 1955 und 1960 über den Stand des kirchlichen Bauwesens berichtet. Seine Berichte geben ein ge treues Bild von den Aufgaben, vor denen das Bauarat stand, welche Probleme zu bewältigen waren und welche Erfolge im Dienste des kirchlichen Wiederaufbaues erzielt werden konnten. Im Wiener Diözesankalender 1951 führt Penall gleichsam als Bilanz zum fünfjährigen Bestehen des Bauamtes an'. „Wie Staat, Länder und Gemeinden stand auch die Kirche am Ende des Krieges vor ungeheuren Aufgaben. Von vornherein war klar, daß viele Jahre vergehen wer den, bis alle Wimden, die der Krieg schlug, geheilt sind. Denn die Mittel, die dem Wiederaufbau zur Verfügung stehen, sind beschränkt. Dennoch wurden von den gänzlich zerstörten Kirchen bis zum Ende des Jahres 1950 zwölf so weit wieder hergestellt, daß Gottesdienst gehalten werden kann. Die schweren Schäden sind zum allergrößten Teil behoben, nur Fas saden und Türme wurden vernachlässigt. Die Dächer(einschließlich des gewaltigen Daches von St. Stephan) sind alle in Ordnung gebracht. Von den ganz zerstör ten Pfanhöfen sind vier wieder bewohn bar". Zusammenfassend schreibt Penall: ,Jmmer wieder hört man in unserer unru higen Zeit den Einwand der Pessimisten, ob es derm Sinn habe, so viele Anstren gungen auf sich zu nehmen, wo doch neues Unheil und Verderben drohe. Da gegen ist zu sagen, daß das Christentum von jeher aus Hoffnung und Vertrauen lebte und in dieser Gesinnung seine Kul turwerke schuf. Auch wir legen alle un sere Werke in die Hand Gottes. Seiner weisen Vorsehung kommt es zu, damit zu tun, was er will. Uns aber obliegt es, unsere Pflicht zu erfüllen imd auf Gott zu vertrauen,daß er unsere Werke segne"'. Fünf Jahre später, gleichsam zum zehnjährigen Bestehen des erzbischöf lichen Bauamtes, berichtet Alois Penall unter dem Titel „Gott soll bei uns woh nen**,im Wiener Diözesankalender wieder über die Kirchenbautätigkeit in der Erzdiözese Wien'; Von den 22 völlig zerstörten Kirchen waren in der Zwi schenzeit 17 wieder aufgebaut worden: St. Leopold, Wien II; St. Anton, Wien X, Namen Jesu, Wien XII, Allerheiligen, Wien XX, Schwechat, Guntramsdorf, Alland, Eibesthal, Puchberg am Schnee berg, Klosterkirche Gumpendorferstraße (Barmherzige Schwestern), Anstaltskirche Notre Dame de Sion, Kirche auf dem Leopoldsberg, Gaiselberg, Landegg, Siegersdorf, St. Georgs-Kirche in Wiener Neustadt. Noch in Bau waren: Neuler chenfeld, Liesing und Siebenhirten. Als Ruinen waren noch verblieben: die Januariuskirche in Wien KI und die Dorfkirche Katzelsdorfa. d. L. An den übrigen Kirchen waren die Kriegsschäden zu 90 Prozent behoben worden; die verbliebenen 10 Prozent betrafen vor allem Kirchtürme und Innen ausstattung der Kirchen. Penall motiviert diese „scheinbare Vernachlässigung" so: „Gewiß! Der Turm ist vielfach das schön ste architektonische Bauglied an unseren Kirchen. Er bildet oft das weithin sicht bare Zentrum eines Dorfes, er ist der Finger,der diejenigen zum Himmel weist, die in seinem Schatten wohnen. Für den Gottesdienst aber ist er von untergeordne ter Bedeutung. ... Zuerst ging es um die Wiederherstellung des Opferaltars, damit die gläubige Gemeinde wieder in würdi ger Weise das heilige Opfer feiern kaim"'®. Die Aufgaben des Bauamtes beschrän ken sich aber nicht aufden Wiederaufbau: neu entstandene Siedlungen in und um Wien verlangten nach Neubauten. Penall beschreibt die damit verbundenen Schwierigkeiten: „Überall dort wolmen Menschen, die seelsorglich betreut wer den sollen und auch betreut werden wol len. ... Die Schwierigkeiten beginnen aber irmner bereits bei der Suche und Auswahl eines geeigneten Grundstückes. Früher haben die Stadtplaner immer auf die Freihaltung eines Platzes für die Kirche im neuen Stadtgebiet Rücksicht genommen. Heute ist das vielfach nicht mehr der Fall". Als erste Abhilfe bezeich net Penall die Errichtung von Notgottes dienststätten. „Aufgelassene Werkstättenund Wehrmachtsbaracken wurden ange kauft und in Gottesdiensträume umgestal tet. Trotz ihrer Armut sind sie oft recht stimmungsvoll und anheimelnd geworden. Wände, die früher dem Kriege dienten, sind zur Wohnung Gottes geworden, und wo früher geflucht wurde, ertönen heute Lieder einer frommen Gemeinde". Über die Finanzienmg führt Penall aus: ,Jiiebei ist die Kirche ganz aufsich allein gestellt...Aus dem Erlös der Kirchenbei träge fließt ein Großteil in den Baufonds der Diözese, aus welchem je nach Dring lichkeit die Kirchenbauten imterstützt werden. Der allgemeine Wiener Kirchenbauverein sucht durch Werbxing, durch Veranstaltung von Lotterien, durch Sammlung von Briefmarken und Spenden zusätzliche Mittel aufzubringen und wen det diese besonders den Notgottesdienst stätten zu". Dazu kommen noch die zu erhaltenden Kirchen: ,J!)ie Erzdiözese Wien hat 601 Pfarrkirchen zu erhalten. Daneben existie ren in Filialorten Filialkirchen und Orts kapellen. Durch den Umstand, daß wäh rend der Kriegsjahre keine Reparaturen gemacht werden komrten, und unmittelbar nach dem Kriege die Behebung der um fangreichen Kriegsschäden vordringlicher 26

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