Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Regime, mit dem Hinweis auf die soge nannte Annexionstheorie abgelehnt wurde.Ein weiteres Problem,nämlich die ebenfalls von den Nationalsozialisten angeordnete Einführung der obligatori schen Zivilehe, derzufolge die kirchliche Trauung erst nach vollzogener Zivil trauung vorgenommen werden konnte, wurde bereits auf der Herbstkonferenz 1950 des österreichischen Episkopates in Angriffgenommen. Aufgrund der allgemein schwierigen politischen Situation konnte die Kirche aber in diesen Jahren lediglich versuchen, durch Klarstellung der Rechtsfragen künftigen positiveren Verhandlungen, vor allem im Hinblick auf die Konkordatsfrage, vorzuarbeiten. Hatte schon der Wiener Katholikentag von 1949, der unter dem Motto stand: „Gebt Gott, was Gottes ist!" ein neues Krchenbewißtsein erkennen lassen, so leistete die von 1. bis 4. Mai 1952 in Mariazell abgehaltene Studientagung, welche der geistigen Vorbereitung aufden ersten gesamtösterreichischen Nach kriegskatholikentag, der unter dem Motto: ,JFreiheit und Würde des Menschen" stand, dienen sollte, eine entscheidende Weichenstellung. Priester und Laien aus ganz Österreich versuchten damals ge meinsam,die gegenwärtige Situation ihrer Kirche zu analysieren und zu prüfen, um jene Grundlagen zu finden, auf welchen das zukünftige Leben und Wirken aufbauen kormte. Vergangenheit und Gegenwart wurden durchleuchtet, Miß stände erkannt und neue Ansatzpunkte gefunden. Das Ergebnis dieser Beratungen von 1952, welches zu Recht als ,>Iariazeller Manifest" in die österreichische Kirchen geschichte eingegangen ist, zeichnete in grandioser Weise die Konturen einer ,3eien Kirche in einer freien Gesell schaft" vor. Eine solcherart freie Kirche bedeutete daher: „Keine Rückkehr zum Staatskirchentum vergangener Jahrhunderte, das die Religion zu einer Art ideologischen Über baus der staatsbürgerlichen Gesinnung degradierte, das Generationen von Prie sternzu inaktiven Staatsbeamten erzog. Keine Rückkehr zu einem Btlndnis von Thron und Altar, das das Gewissen der Gläubigen einschläferte und sie blind machte für die Gefahren der inneren Aushöhlung. Keine Rückkehr zum Protektorat einer Partei über die Kirche, das vielleicht zeitbedingt notwendig war, aber Zehntau sende der Kirche entfremdete". Eine solcherart freie Kirche bedeutet aber nicht „eine Kirche der Sakristei oder des katholischen Ghettos", eine solche „freie, aufsich selbst gestellte Krche der weltoffenen Türen und ausgebreiteten Arme" ist vielmehr bereit zur „Zusammenarbeit mit allen: zur Zusam menarbeit mit dem Staat in allen Fragen, die gemeinsame Interessen berühren, also iü Ehe, Familie und Erziehung; zur Zu sammenarbeit mit allen Ständen, Klassen und Richtungen zur Durchsetzung des gemeinsamen Wohles; zur Zusammenar beit mit allen Konfessionen auf der Grundlage des gemeinsamen Glaubens an den lebendigen Gott;zur Zusammenarbeit auch mit allen geistigen Strömungen, mit allen Menschen, wer immer sie seien und wo immer sie stehen, die gewillt sind, mit der Kirche für den walüen Humanismus, für "Freiheit und Würde des Menschen'zu kämpfen"'. Als große anstehende Probleme, die der Lösung harrten, wurde die Not der Familien, - zu deren Unterstützung im Jahre 1953 der Katholische Familienver band Österreichs begründet worden war,- das Wohnungselend, - dem die Bischofs konferenz durch die Errichtung der „Gemeinnützigen Bau- und Siedlungsge nossenschaft Frieden" zu begegnen ver suchte;- die Rolle der Frauen, der Schutz der Kinder, - zu deren Erziehung und Lebensgestaltung der Wiederaufbau des katholischen Schulwesens vorangetrieben wurde;- aber auch die Krise des geistigen Arbeiters, dessen sich im Rahmen der Katholischen Aktion in besonderer Weise das Bildungswerk annahm; - und schließlich die Tragödie der hunderttausenden Heimatvertriebenen aufgezeigt. „Die Kirche ist für alle da,fürjene,die an sie glauben, aber auch für jene, die sie bekämpfen, die nichts mehr von ihr wis sen wollen. Im Umbruch der Zeiten steht sie als Hort wahrer Freiheit, als Hüterin wahrer Menschenwürde". ... Sie hat „ihre Situation klar gesehen, ihre Lage geprüft, ihre Aufgabe erkannt. Unbelastet von den Bindungen der Vergangenheit,in unlösba rer Gemeinschaft mit der Weltkirche, schreitet sie in die Zukunft,die sie mitge stalten wird, als freie Kirche in freier Gesellschaft, als eine wahre Kirche des 20. Jahrhunderts"*. Die Hauptveranstaltungen des Katholi kentages selbst waren, einer Tradition der österreichischen Katholikentage folgend, um das Fest Maria Namen am 12. Sep tember gruppiert. Gewissermaßen inoffi ziell eröffnet wurde er am 10. September um 6 Uhr früh in Amoldstein, als Kardi nal Innitzer, als persönlicher Vertreter des Heiligen Vaters zum Katholikentag, aus Rom kommend,die Grenze passierte. Die Fahrt nach Wien gestaltete sich zu einer Fahrt der Begeistenmg'. In den darauffolgenden Tagen entfal tete sich ein mitreißendes Fest „eines neuen Geistes", wie es Karl Rudolf aus drückte*: im wiedererstandenen Dom zu St. Stephan, dem allerdings noch die große Orgel fehlte und dessen hoher Turm auf viele Jahre eingerüstet bleiben sollte, fand am 11. September der feierliche Eröffnungsgottesdienst statt. Beim darauf folgenden feierlichen Eröflhungsakt im Großen Musikvereinssaal sprach Prof. Hugo Rahner zum Thema dieses Katholi kentages, von der Würde und Freilieit des Menschen, die ,jiur in der Treue zu Got tes Gesetz, nur in der Liebe, die Christus verkündet hat, nur in der Gemeinschaft, die wir Kirche nennen,für alle Menschen gesichert und entfaltet" werden könne». Und darum könne „auf diesem Katholi kentag von Würde und Freiheit des Men schen nur katholisch gesprochen werden". Von Anfang an stand fest, daß dieser Katholikentag sich nicht bloß in äußerer Manifestation erechöpfen, sondern daß vielmehr sein religiöses und geistiges Anliegen den Menschen nahegebracht werden sollte: eine Reihe von sogenann ten Komitees,- für geistige Planung,unter dem Vorsitz von Otto Mauer,für religiöse Veranstaltungen, unter dem Vorsitz von Karl Rudolf, für kulturelle Veranstaltun gen, sowie für Propaganda, um den Katholikentag über die Grenzen des kirchlichen Raumes hinweg zu einer Angelegenheit des ganzen Volkes zu machen, schließlich aber auch ein Komi tee für Finanzen, leisteten jeweils auf ihrem Gebiet, unterstützt von allen Stellen der Katholischen Aktion, sowie von den verschiedensten katholischen Organisa tionen die notwendige Basisarbeit. Feierliche Pontiflkalmessen an ver schiedenen Orten, Musikalische Vespern, Jugendkimdgebungen und Priesteiprozessionen, sowie ein großer Fackel^ der katholischen Jugend prägten die festlichen Tage. Am Sonntag, den 14. September fand auf dem geschichtsträchtigen Heldenplatz die feierliche Haupt- und Schlußkundge bung des Katholikentages statt. Als letzter RedSier zeichnete Otto Mauer, als Geist licher Assistent der Katholischen Aktion Österreichs, ein aufrüttelndes Bild der - damaligen - Gegenwart,das auch ein Bild unserer Kirche, am Ende des 2. Jahrtau sends angelangt, sein könnte: „Unsere zeitgenössische Welt liegt sichtbar im „argen". Millionen auf der westlichen Hälfte des Planeten glauben noch immer an den Götzen der Entwicklung und des Fortschrittes, glauben an die Allmacht der Technik und erhoffen von ihr ein para diesisches Zeitalter auf Erden, kraft menschlicher Intelligenz und mensch licher Energie - und fmden dieses Para dies in allen seichten Genüssen einer uniformierten Zivilisation. Ohne feste Weltanschauung, ohne unerschütterliche sittliche Gesetze werden sie zum Spielball jeder modischen Irrlehre und fallen wider standslos in die Hände routinierter Machtmenschen, die ihnen Gedankenund Gewissensfreiheit unter dem Titel der Lebenssicherheit abnehmen; In der Nacht dieser atheistischen Welt, die sich nach und nach,zuerst von der Einheit des mystischen Leibes der Kirche, dann vom Gottmenschen Jesus, endlich vom leben digen Gott selbst und seinem moralischen Gesetz im Gewissen getrennt hat, ist die Kirche eine erleuchtete Stadt auf dem Berge..." Die Kirche, die in einen ,3>ristenzkampf' eingetreten ist, wie Otto Mauer sagt, dürfe aber aufkeinen Fall in eine ,JCatakombenromantik" verfallen und duldend und seufeend die Welt dem überlassen, den Paulus „den Gott dieser Welt" nennt. Sie hat ihren Auftrag nicht vergessen, der Welt, über das leibliche Heil hinaus, das ewige Heil anzutragen, denn: „Jesus ist nicht gekommen,um den Hunger der Massen zu stillen, die Spitäler überflüssig zu machen imd ein vollkom menes Wirtschaftssystem einzurichten ... er hat die Versuchung des Satans zurUck23

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