Scelsoi^e unter national sozialistischer Herrschaft und in der Kriegszeit Seit März 1938 war Österreich als „Ostmark" Teil des nationalsozialisti schen Deutschlands. Für die Seelsorge bedeutete dieser politische Umbruch tiefe Veränderungen. Wesentliche Grundlagen, auf denen die Seelsorge bis 1938 auf bauen konnte, genannt seien beispiels weise die vielen katholischen Vereine, gingen mit einem Schlag der neuen Machthaber verloren. Das Jahr 1938 war im wesentlichen durch (Schein)verhandlungen zwischen Kirche und Staat, dann aber durch den immer offener zu Tage tretenden Kirchenkampf bestimmt. Höhe punkt dabei war wohl die Einführung des Kirchenbeitragsgesetzes durch die Natio nalsozialisten im Mai 1939. Die kirchen feindlichen Maßnahmen zeigten tatsäch lich Wirkung: so traten allein im Jahr 1939 m der Erzdiözese Wien 116.815 Personen aus der Kirche aus. Nach Kriegsbeginn im September 1939 und in den folgenden Kriegsjahren wurde zwar der Kirchenkampf nicht noch mehr verstärkt betrieben, die nationalsozialisti schen Machthaber ließen jedoch keinen Zweifel darüber, daß nach ihrem ,3ndsieg" auch mit Kirche imd Christen tum endgültig abgerechnet werden sollte. Die Seelsorge hatte 1938 ihre alten Positionen aufgeben müssen. In unermüd licher, mühevoller und oft auch gefähr licher Kleinarbeit gelang es aber, in Wien vor allem initiiert und stets getragen vom Erzbischöflichen Seelsorgeamt unter seinem Leiter Karl Rudolf, auch unter den geänderten Verhältnissen Seelsorge zu üben. Die Pfarre als Gemeinscliaft der Gläubigen wurde neu entdeckt, Laien in großem Ausmaß zur Mitarbeit herangezo gen. Ab 1943 konnte die Seelsorge tat sächlich ein neues Selbstbewußtsein aufweisen. Die Pläne der Nationalsoziali sten waren gescheitert. So schreibt der Pfarrer einer Stadtpfarre in der Nähe von Wien über die Einführung der Kirchenbei träge: ,Die Einhebung dieser Beiträge mußte die Kirche selbst besorgen. Der Staat verweigerte jedwede Mithilfe. Aber trotzdem ging diese Angelegenheit wider Erwarten überraschend gut. Das Verhält nis zwischen Klerus und Volk wurde dadurch ein viel irmigeres. Der Priester kommt jetzt mit den Pfanmitgliedem viel mehr in Berührung. So hat Gott der Herr auch diese neue, scheinbar unangenehme Sache, doch zum Wohle der Seelsorge geleitet". Und Kurat Velechovsky schreibt bei der Vorstellung der kirchlichen Stati stik des Jahres 1943: „Wenn wir die Ergebnisse mit denen der fhlheren Jahre vergleichen, ergibt sich ein erfreuliches Gesamtbild imd die Feststellung, daß gewisse wesentliche Seelsorge-Zweige in ihrer Bedeutung immer melu erkannt werden und zeitgerechte Berücksichtigung und Fördenmg finden (eucharistische und liturgische Erneuerung, Kinder- und Jugendseelsorge, Eltern- und Mütterschuiung u.a.), d^ ein langsames Wachsen des religiösen Lebens durch eine in die richtigen Bahnen gelenkte Seelsorge erzielt werden konnte". Kriegszeit Am 13. August 1943 fielen die ersten Bomben auf Wiener Neustadt, ab 1944 wurden auch die Gebiete der Erzdiözese Wien immer wieder Ziele von Bomben flügen der Alliierten. Die geängstigte Bevölkerung suchte wieder den Weg zur Kirche und zu Gott. 1943 lag die Zahl der Kirchenaustritte in der Erzdiözese Wien (2.788) schon deutlich unter der der Wie dereintritte (5.486). In den Kirchen wurden so viele Mes sen bestellt, daß ein Dechant das Erzbi schöfliche Ordinariat bat, mehrere Mess intentionen bei einer Messe persolvieren zu dürfen. Am 21. März 1945 erteilte dann das Ordinariat, „um den zahlreichen Gläubigen, die um eine hl. Messe auf ihre Meinung bitten, nach Möglichkeit entge genzukommen" die Erlaubnis, daß „für die Dauer der derzeitigen Verhältnisse" bis zu drei Intentionen in einer Messe persolviert werden konnten. Weiters verfügte das Ordinariat, „daß von einer Partei nicht mehrere Stipendien auf die gleiche Intention angenommen werden". Bei den Luftangriffen waren die Seel sorger bemüht, in den Luftschutzkellern geistlichen Beistand zu leisten. So emp fahl das Erzbischöfliche Seelsorgeamt - auf Bitte von vielen Gläubigen - öfters über die Vollkommene Reue und den Sterbeablaß zu predigen. In geistlichen Häusern und überall dort, wo das AUerheiligste in Luftschutzkellern mitgeborgen wurde, sollte während der Alarmdauer auch gebetet werden. Die diesbezüglichen Empfelüungen veranschaulichen die extremen Verhältnisse der Schutzsuchen den: „Werm größerer Luftverbrauch we gen geringer Lüftungsmöglichkeit nicht angängig ist, möge wenigstens ein Lektor allein vorbeten (Allerheiligenlitanei, Herz Jesu-Litanei, Rosenkranz, Weihegebet des Hl. Vaters u. ä)> bei längerer Dauer lasse man aber auch wenigstens eine kurze Besiimungspause ganz still!". Im Februar 1945 verfaßte ein Kapuzinerpater, nach dem er im Luftschutzkeller geistlicher Schwestern, die er betreute, „den auffal lenden Schutz Gottes" erfahren hatte, das folgende „Gebet nach einem Luftangriff", das dann vom Ordinariat dann auch für die allgemeine Verwendung approbiert ■ wurde: „Göttlicher Heiland! Wir riefen zu Dir in dieser Stunde der Not und Gefahr und Du hast uns wieder erhört. Wir danken Dir dafür! Durch Dich kommt uns alles, was wir smd und haben: Du erhältst uns, beschützt uns, segnest und begnadest uns. Je mehr Du uns solche unverkennbare Beweise Deiner Huld und Liebe gibst wie eben jetzt, umso liebevoller und treuer wollen wir Dir anhangen und Dir dienen. Ja, das soll unser bester Dank sein, o Jesus: Liebe um Liebe, Treue um Treue! Wir gedenken auch der vielen Un glücklichen, tlber die jetzt bitteres Leid und schwere Sorge gekommen sind. Laß sie nicht verzweifeln in ihrer Heim suchung, göttlicher Heiland, sondern erinnere sie daran, daß der Kreuzweg der sicherste Weg zum Himmel ist Sei Du selbst ihnen Tröster imd Helfer in Un glück und Not Uns aber gib den Geist des Mitleides und der Liebe, daß wir trauern mit den Traurigen und weinen mit den Weinenden, daß wir helfen, wo wir helfen dürfen und können. Und die der Tod jetzt hinweggenom men und vor Dein Gericht geführet, Herr, nimm auf in Dein Reich. Rechne ihnen die Angst und den Schrecken, die ihrem Ende vorangingen, als Sühne an für ihre Schuld und gib ihnen die ewige Ruhe, den ewigen Frieden. Amen". Aus vielfach gegebenem Anlaß wurde im Seelsorgeamt auch eine Weisung üb» das Verhalten bei der „Unterbrechung der heiligen Messe" ausgearbeitet. Darin heißt es: ,JDie heilige Messe darf bei unmittelbar eingetretenen kriegerischen Ereignissen und einer anderen drohenden Leb^sgefahr abgebrochen oder unterbro chen werden. Dabei muß folgendes beach tet werden: 1) Vor der hl. Wandlung darf die hl. Messe ganz abgebrochen werden, oder weim die Unterbrechung der heiligen Messe nicht länger als eine Stunde ge dauert hat, wieder an der Stelle, wo sie unterbrochen worden ist, fortgesetzt wer den. 2) Nach der heiligen Wandlung aber genießt der Priester die allerheiligste Eucharistie am Altar (in höchster Gefahr kann er die heiligsten Gestalten mitneh men, um sie nachher zu konsumieren). Die heilige Messe darf auch zeitweilig unterbrochen werden, wenn einem Ster benden die Taufe gespendet oder die Beichte abgenommen werden soll". Als sich der Krieg im Osten immer mehr auch den Grenzen der Erzdiözese Wien näherte, verfaßte der spätere Weih bischof Dr. Josef Streidt am 19. Septem ber 1944 ein als „vertraulich" bezeichne tes Papier „Vorsorgliche Maßnahmen für eine eventuell notwendige Evakuierung" Anlaß waren „schriftliche und mündliche Anftagen aus den an der Ostgrenze des Reiches gelegenen Pfarren unserer Diözese". Folgende Hauptpunkte werden darin besprochen: ,J. Bergung wertvollen Kirchengutes". ,JI. Verbringung älterer geistlicher Personen" ,jn. Weiterführung der Seelsorge nach einer Evakuierung auf fi"eiwilliger Basis". ,JV. Heimholung unserer ausgewiesenen Priester". Unter Punkt in. heißt es: „Werm die Evakuie rung nicht zwangsweise erfolgt, müßte der Bischof die Seelsorger zum Bleiben ver pflichten". Unter den ausgewiesenen Priestern" werden genannt: Dr. Dorr (Tübingen), Dr. Stur (Woikowitz), Dr. Hesse (Brünn), Dr. Samida (Freiburg), P. Dr. Götz (Freiburg) und P. BichliMyer. Streidt malmte dabei, diese Priester un bedingt „mit Rücksicht auf die außeror dentlichen Verhältnisse, zumal in Gebie ten mit überwiegender tschechischer Bevölkerung" vor einer allfälligen Evakuienmg freizubekommen. Am 29. Jänner 1945 erließ dann das Erzbischöfliche Ordinariat die Mitteilung „Vollmachten bei Evakuierungsmaßnah men". Diese Vollmachten betrafen vor allem Ehefragen mid waren für den Fall gedacht „daß das Erzb. Ordinariat infolge 17
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