Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

des italienischen Tafelkreuzes, dem croce dipinta, wie man es seit dem 12. Jahrhundert im umbrisch-toskanischen Raum kennt'. Die Mehizahl dieser Kreuze wurde eindeutig für Kirchen der Minderbrüder hergestellt, womit die Vermutung einer franziskanischen Be stimmung des Wimpassinger Kreuzes bekräftigt wird. Vor allem darin, daß Christus nicht als Leidender und in ex trem überlängten Proportionen wiederge geben ist, unterschied sich aber das Wim passinger Kreuz von den bekannten italienischen croci dipinti^". Engere stilistische Verbindungen ergeben sich dagegen zu Werken einer in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auch in Österreich tätigen venezianisch-paduanischen Malerschule, namentlich zu den Fresken der Nikolauskirche in Matrei/Osttirol". Andrea Berger-Fix weist in ihrer Untersuchung auch auf Zusammenhänge mit Werken der Buchmalerei, die dieser Schule zuzu zählen sind, vor allem mit einem in Salz burg entstandenen Missale aus Seitenstetten, hin'^ Mit ihr können wir somit annehmen, daß das Wimpassinger Riesenkreuz um 1260 im nordalpinen Bereich, vielleicht in Salzburg,entstanden ist. 2. Das sogenannte Lettnerkreuz Das wegen seiner letzten Position so bezeichnete ,Xettnerkreuz" hing bis 1844 in der Krrizifixkapelle, neben der Capistrankanzel". Dort wurde es damals durch eine noch an Ort und Stelle befmdliche Kopie aus Zinkguß von Mohrenberg ersetzt und in der Katharinenkapelle angebracht, bis es 1925 als Triumphlaeuz am Eingang des Mittelchores über der Stelle, wo ehemals der Lettner stand, aufgehängt wurde". Hier verbraimte es in den Apriltagen 1945. Nur der (beschädigte)Kopfund die fragmentierten Hände blieben übrig. Diese Reste verband der Bildhauer JosefTroyer mit einem neu geschnitzten Corpus und einem einfachen ungegliederten Balkenkreuz, welches an der Südwand des Apostelchores auf gestellt wurde". Flankiert von den damals von der Außenwand des Chores hierher versetzten Passionsreliefs bildet es seither ein Denkmal für die Gefallenen, unter welchem ein mittlerweile wieder entfernter Kreuzaltar stand". Der ursprüngliche Crucifixus, eine monumentale ungefaßte Eichenholzskulp tur, war zuletzt an einem neugotischen Holzkreuz befestigt". Mit leicht nach rechts geneigtem Haupt, durchgestreckten Gliedmaßen,die Arme nur wenig von der Waagrechten abweichend, den rechten Fuß über den linken genagelt imd den Körper leicht nach rechts gebogen, schien die sehr geschlossene Figur von Ruhe, aber auch von einer gewissen Spannung erfüllt. Der Grundlypus entsprach jenem des monumentalen Triumphkreuzes in St. Lorenz in Nürnberg aus der Zeit um 1450". Durch Verlikalisienmg im Gesamten und größere öffrtungen im Haar- und Beinbereich sowie durch sanftere Drapierung des Lendentuches unterscheidet sich freilich das Ntlraberger Kreuz vom ehemaligen ,Xettnerkreuz" des Stephansdomes. Entgegen älteren Ansichten ergeben sich noch größere Unterschiede in Richtung, öflhung imd Bewegung der Formen gegenüber der Kunst Niclas Gerhaerts, sowie in Gestaltungsmotiven und Gesamtausdruck gegenüber noch späteren „nachgolischen" Schöpfungen". Werm auch die gestreckte Gesamtform und vor allem die kleinteilige Richtungsvielfalt der Draperie in der Kunst um 1400 bei uns noch nicht möglich sind", weist doch besonders das Haupt noch charakteristische Züge des Weichen Stiles auf: So findet sich die durch dicke wellige Strähnen stilisierte Bildung des Haupthaares, das auf der einen Seite zur Brust herab,aufder ande ren in den Nacken fällt, beim sogenaimten „Zahnweh-Herrgott" in St. Stephan ebenso wie an anderen Werken des aus gehenden Weichen Stiles^'. Auch die Stilisierung des Barthaares mit seinen spiralenfbrmig endenden Kringeln, ge paart mit realistischer Faltenbildung des Gesichtes, ist noch ein Erbe des Weichen Stiles". So deutet alles daraufhin,daß das sogenannte Lettnerkreuz von St. Stephan aus der Zeit um 1440 stammt". Daß das jetzige Bildwerk mit dem be schädigten alten Haupt" keineswegs eine getreue Kopie des alten Lettner&euzes ist, sondern eine neue künstlerische Interpretation des alten Vorbildes, macht ein Vergleich mit Aufnahmen des alten Kreuzes klar: Die ursprünglich gespannte und gestreckte Haltung ist ruhiger Statik mit geändertem Ausdruck gewichen. So ist der rechte Arm abgewinkelt, folgt der Körperumriß ganz der Vertikalen, ist das Lendentuch in sanfte dünne Falten gelegt und die Oberfläche von einem Relief feiner Adern bedeckt. Nichtsdestoweniger ist das Kreuzin seiner heutigen Form eine beachtliche denkmalpflegerische Leistung mit bedeutender ktostlerischer und hi storischer Aussagekraft. 3.Das gotische Chorgestuhi Um 1476 begaim man ein neues Chor gestühl für St. Stephan herzustellen". 1486 oder knapp danach muß es vollendet worden sein, deim diese Jahreszahl stand auf einem Relief zu lesen". Da zwischen 1485 und 1507 ein Bildschnitzer Wilhelm Rollinger genaimt wird", körmte es sich bei diesem um einen filhrenden Schnitzer am Gestühl handeln. Nach der 1469 er folgten Erhebung Wiens zum Bistum wurde dieses Chorgestühl errichtet um dem neuen Domkapitel und den Churgeistlichen beim Chorgebet Platz zu bieten. Hierzu kamen bei größeren Feier lichkeiten auch Diözesanpriester und Universitätsmitglieder, die sich hier mit dem Bischof versammelten". Dieser saß darm, irunitten eines Dreisitzes, flankiert vom Dompropst und Domdechant, an der Rückseite der Abschrankung gegen das Langhaus. Auch diese wurde damals, nachdem der alte steinerne Lettner ent fernt worden war, neu errichtet, mußte aber um die Mitte des 17. Jahrhunderts dem heute noch bestehenden Schmie deeisengitter weichen". Die damals einsetzende Barockisienmg des Domes verschonte aber das gotische Chorgestühl, doch errichtete man damals darüber prunkvolle Oratorien für Bischof und Kaiser. Diese fielen ebenso wie das goti sche Chorgesttlhl dem Brand des Domes am 13. April 1945 zum Opfer". Eine Statuette des hl. Sebald und ein Relieffiagment blieben als letzte Reste über. Das 17 Meter lange, beiderseits des Mittelchores aufgestellte Chorgesttlhl bestand ausje einer oberen Bankreihe mit 23 und einer unteren mit 19 Sitzen. Den ausgezeichneten Platz der figürlichen Darstellimgen hatten die insgesamt 46 Reliefs der beiden Rückwände mit neutestamentlichen Szenen, größtenteils (38) der Passion Christi, irme. Typologische und andere Szenen des Neuen Testaments zeigten die Seitenwangen. An den Zwi schenwänden der oberen Sitzreihe standen auf Konsolen unter Baldachinen 44 Statuetten von Heiligen, Aposteln und Propheten". Läßt das figurale Programm auch keine Beziehungen zum neuen Bischofssitz erkennen, so werden die vielen Darstel lungen imterschiedlicher Heiliger doch dem Patrozinium des Domes im allgemei nen und des Mittelchores im besonderen „Zu allen Heiligen" gerecht, Außerdem finden sich darunter auch Heilige, denen die besondere Vorliebe Kaiser Friedrichs m. galt, wie sie am Wiener Neustädter Altar und in seinem Grabmal begegnen. Das Interesse am Passionsgeschehen , wie es in den Hauptreliefs zum Ausdruck kommt,zeigte sich auch in den damaligen Passionsspielen. Der daran beteiligte Bildschnitzer Wilhelm Rollinger war selbst als Leiter von Passionsspielen tätig". Fand der Gesamtaufbau im Chor gesttlhl von Konstanz seine umnittelbare Vorstufe, hatten Einzelmotive in der zeitgenössischen Druckgraphik ihr Vor bild, so zeigte es im Stilistischen enge Zusammenböge mit der Kunst des Niclas Gerhaert van Leyden". Ahnlich wie im Friedrichsgrab manifestierte sich im Wiener Chorgestühl die Tendenz, frühere ähnliche Beispiele an Reichtum und Aufwand zu übertreffen. 4. Die Hutstockersche Kreuztragung, 1523» Die Hutstockersche Kreuztragung war ein großes, aus zahlreichen Teilen gearbeitetes Steinreliefin derjetztleeren,oben miteinem flachen Bogen geschlossenen Nische an der Außenwand der Nordschräge des Chores von St. Stephan neben der C^istrankanzel". Dirö Namen hatte sie nach ihrem Stifter Johann Hutstocker, dessen Wappen neben dem seiner Frau zweimal,nämlich links und rechts,im oberen Teil des Reliefs angebracht waren". Über den linken Wappen stand ursprünglich die Jahreszahl „1523", das Steibejör Johann Hutstockeis, doch war dies vor dem letzten Krieg ebensowenig mehr zu lesen wie das Monogramm „CV" auf der Gürteltasche Simons. Beide Etetails läßt der Stich bei Tschischka 1832 erkennen, wo auch das Monogramm als das eines - sonst nicht weiter bekannten - Bildhauers 12

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